David Wonschewski | Musikjournalist & Schriftsteller

Melancholisch-sarkastische Literatur für Schwarzhumoriker, Musikenthusiasten und andere glückliche Menschen.

Von einem, der ging und einem, der blieb. Soeben ausgelesen: Klaus Mann – „Mephisto“ (1936)

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von David Wonschewski

Vorabfazit: 4 von 5 Sternen

Natürlich regt der Klaus Mann-Klassiker „Mephisto“, dieser Roman über eine Künstlerkarriere im Dritten Reich, dazu an ihn überzuinterpretieren. Vor allem in persönlicher Hinsicht. Denn Klaus Mann und Theaterlegende Gustaf Gründgens (der, kaum verschleiert, das Vorbild für Romanprotagonist Hendrik Höfgen war) kannten sich, waren lange Zeit befreundet, beruflich gemeinsam künstlerisch aktiv. Mit Machtergreifung der Nazis entschwand der homosexuelle (auch das ist in diesem Kontext von Belang) Klaus Mann ins Exil, der homosexuelle Gründgens aber blieb, stieg unter den Nazis sogar, heftig protegiert von Hermann Göring, weiter und immer weiter auf. Erkämpfte sich einen honorablen Ruf, den er bis heute (zurecht) in der Theater- und Filmszene behalten hat. Was Mann in Summe, so zumindest deute ich den Roman, nie recht verstanden und noch viel weniger verwunden hat. So wie Gründgens den „Mephisto“ niemals verwinden konnte. Seine Nachfahren klagten nach dessen Tod, 1963, gegen den damaligen Verlag des Buches und bekamen 1966 Recht, weswegen es dort nicht mehr publiziert werden durfte. Woraufhin der Roman bis zu Beginn in der achtziger Jahre zumindest in Westdeutschland nicht zu beziehen war (der Ausdruck verboten trifft es hier juristisch nicht korrekt, denn das war „Mephisto“ nie, jeder andere Verlag hätte den Roman jederzeit veröffentlichen können, was bis 1981 – als sich Suhrkamp zu einer Neuauflage durchrang – jedoch unwahrscheinlich war).

Hatten Gründgens Nachfahren alles Anrecht das Buch als beleidigend und rufschädigend zu erachten? Ja, es mag moralisch fragwürdig sein, jemand Reales für jedermann erkennbar auf Buchlänge zu sezieren, in denkbar schlechte Lichter zu rücken – doch was ist schon Moral im thematisch gewählten Zusammenhang des Dritten Reiches? Was war und ist korrektes Verhalten in Zeitens eines Unrechtsregimes?
Hendrik Höfgen ist ein Protagonist, der – wie viele Künstler – über einen etwas zweifelhaften, sehr wankelmütigen Charakter verfügt. Er ist ein wenig mondän, ein wenig cholerisch, überaus begabt, eitel, publikumsaffin. Unzweifelhaft ist, dass er einzig und allein für nur eines lebt: seine Kunst. Und bereit ist der Durchsetzung seiner artifiziellen Ziele alles andere unterzuordnen.
Kritiker von „Mephisto“ – dazu gehörte Gründgen selbst nebst Nachfahren – warfen und werfen Mann eine persönliche Schlammschlacht in Romanform vor. Einen Ego-Rachefeldzug aus dem französischen Exil, gleichermaßen billig wie feige.

Nun, nachvollziehen kann ich das nicht – und bin genau deswegen beeindruckter von diesem Roman als ich es selbst zunächst vorhatte zu sein. Erwartet hatte ich eine ebensolche durch-den-Kakao-Zieherei, eine Moralschelte mit erhobenem Zeigefinger. Bekommen habe ich genau die aber nicht. Im Gegenteil: Für mich macht Klaus Mann wie wenige andere Autoren greifbar, warum selbst ein eher unpolitischer, ganz sicher jedoch nicht nationalsozialistisch gesinnter Mensch nach 1933 zum Teil des Systems werden konnte. Opfer und Täter zugleich. Gerade dass Klaus Mann Höfgen (Gründgens) zubilligt zu 120 Prozent Künstlernatur zu sein, rettet aus meiner Sicht dessen Ruf hier sogar ganz ungemein. Auch selbstgerecht ist der zeitig ins Exil abgedampfte Mann hier selten, gibt es in dem Roman doch mehr als genug Erläuterungen und Anstöße, warum „mit Widerwille Teil des Systems werden“ vielleicht tatsächlich die integere, aufrichtigere Lebensform war. Viel mutiger und heroischer als jegliche Exil-Existenz.

Nein, im gleichen Maße wie Klaus Mann Höfgens Kungeln mit den Mächtigen NS-Schergen kritisiert, stellt er auch seine eigene Flucht an den Pranger, arbeitet sich an ihr ab.
Ob es nötig war, dem Roman nahezu alle homosexuellen Querverweise zu entziehen, ihm dafür jedoch ein paar deftige, offenbar sehr erfundene SM-Anleihen zu geben? Der cholerische Nazigünstling Höfgen, der sich privat von einer Farbigen in hohen grünen Stiefeln auspeitschen lässt, im Berufsleben herrisch und aufbrausend ist, privat jedoch die Knute einer Exotin einfordert. Das mag sich auf den ersten Blick in der Tat ein wenig gewollt und überladen anhören. Psychologischer Bockmist wird daraus dadurch jedoch noch lange nicht. Die Charaktere und psychologischen Profile der führenden Nazis sind längst durchleuchtet, die kleinen Seelen und verletzte Egos führender Persönlichkeiten ebenso – und wie man sich anno 1930 als Homosexueller gefühlt hat, der qua Gesellschaft und Gesetz dazu verpflichtet ist sich mit Frauen abzugeben, mit denen er alles erleben kann, nur eines nicht: ist noch nicht auf den letzten Grund erforscht.
Ganz zu schweigen davon, dass sich bei jeder Passage, in der Höfgens dunkle Venus auftaucht, eine Form von Katharsis einstellt. Der ambitionierte und zugleich verbogene Feingeist, auf dem aufsteigenden Ast, hofiert – und doch eingezwängt, gefangen und gepresst in ein Gesellschafts- und Regimekorsett, das kaum einmal innehalten, kaum atmen lässt. Wem es nicht gegeben ist fortzulaufen, dem ist es gegeben zu ertragen. 

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3 Kommentare zu “Von einem, der ging und einem, der blieb. Soeben ausgelesen: Klaus Mann – „Mephisto“ (1936)

  1. Bludgeon
    9. September 2020

    Der Mann Nachwuchs vor allem Erika und Klaus waren in den 20ern dermaßen dekadent drauf, dass für die sowas so normal war, wie für Hesses Steppenwolf Haller das Automassaker im Kokstausch.

  2. davidwonschewski
    9. September 2020

    Also die Verfilmung mit Brandauer ist natürlich legendär und bekannt (ich glaube auch auf dem Cover zu sehen), die Herkunft ist mir allerdings neu. Das hat natürlich was, ha! Muss ich mir dringend mal anschauen. Die Rassenschande, ja, klar, das spricht oder sprach so gegen aller damaligen „Werte“. Ist vermutlich eher so ein Spätgeborenen-Ding, in Romanen aus den 90ern erwarte ich sowas en masse, 1936 aber, da war Klaus Mann offenbar so weit voraus, dass es sich eben unpassend liest. Interssanter Wahrnehmungsaspekt: am n liest doch nicht Hochkutur aus den 30ern, um abgelegten Quark aus den 90ern serviert zu kriegen. Als wenn klaus Mann je einen begirff der 90er gehabt hätte…

  3. Bludgeon
    7. September 2020

    Da gibt es auch eine zu recht preisgekrönte Verfilmung. Co-Produktion Ungarn-DDR und der Hauptrolleninhaber kam aus Österreich. Höfgen(Brandauer) und Göring(Rolf Hoppe) in Höchstform. Hatte auch ne Oscar-Nominierung, glaub ich.

    Die „Negerin“ als Chiffre: Rassenschande. Unerlaubter Schand-Sex, der peinigt. So muss sich doch jeder Schwule jener Zeit gefühlt haben – im vollen Bewusstsein, etwas total Ungehöriges zu vollziehen.

    Das Buch hab ich nicht durchgehalten, damals in den 80ern. Da fehlte mir wohl doch einiges an Hintergrundwissen zur Lage der Kulturschaffenden jener Zeit und zur Familiensaga der Manns. Gründgens war ja auch Klaus Manns Schwager. Erika Mann (Frau Gründgens) war bekennende Lesbe. Man sieht – alles sehr kompliziert.

    Der Film war gut.

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Dieser Eintrag wurde veröffentlicht am 24. September 2023 von in 4 Sterne, Mann, Klaus, Nachrichten, vor 1950 und getaggt mit , , , , , , .

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