David Wonschewski | Musikjournalist & Schriftsteller

Melancholisch-sarkastische Literatur für Schwarzhumoriker, Musikenthusiasten und andere glückliche Menschen.

Die große Ernüchterung oder: Hilfe zur Selbsthilfe.

Ich will ehrlich sein: Ich hatte mich darauf eingestellt mit nunmehr über 40 Jahren nie nie nie wieder reine, naive, kindliche Freude erleben zu dürfen. Und nun das. Ich habe mir die Oldschool-Retro-Aktion gestattet, mir in diesen modernen Zeiten ein Printmagazin zu abonnieren. Habe mich nach, ehm, 25 Jahren Bedenkzeit für das die Visions entschieden.

Warum Abo? Zum einen als spezielle Corona- und generelle Printmedienunterstützung und so. Und zum anderen, da ich mein abendliches Versprechen „Ich spazier mal fix zur Tanke, Schatz, nur schnell ’ne Musikzeitschrift holen, maximal halbe Stunde bin ich zurück“ sich bisher immer – immer immer immer – als bodenlose Selbsttäuschung im Grenzbereich zur Lüge entpuppt hat. Wer geht schon abends zur Tanke, um sich nur eine Zeitschrift zu holen, lächerlich.

Gerade habe ich mein erstes Abo-Exemplar aus dem Postfach gezogen. Und da ist sie, diese juvenile, sich mit einem piepsstimmigen „Hihihiijuhuhu“ Bahn brechende Freude, von der ich doch dachte, sie würde nie wieder Teil meines Lebens sein! Das muss ich erklären, in so einer Abo-Ausgabe ist eine Extra-Sampler-CD drin (von der ich schon gar nicht mehr weiß, wie ich die zum klingen kriege), ein sogenanntes „Artprint“ von den Deftones (das ich nirgends hinhängen kann) und ein exclusives Cover hat die Ausgabe auch (so exklusiv, dass ich im Netz nur das reguläre Cover mit den Doktoren finden konnte). Kurzum: Lauter endsteiler Plimplam, den keine Sau braucht – es ist herrlich! Hach!Gut, über das Album des Monats („War on Women“) könnte ich mich nur aufregen und der Eels-Miesepeter Rezensent gehört nach allen Regeln der Kunst, ehm, ausgeschimpft, so richtig die Leviten lesen sollte man dem feinen Herrn Besserwisser! Jawohl! Eifrige Musikpostillenleser wissen aber: Ein Musikmagazin, das man nicht alle vier Seiten an die Wand klatschen will, hat diese Genrebezeichnung nicht verdient.

Und so schließe ich mit der Versicherung, dass ich für dieses werbemäßige Posting NICHT bezahlt wurde, einfach einmal alle grüßen möchte, die noch eine Zeitung oder Zeitschrift abonnieren anno 2020. Wobei, dass ich nichts mehr kriege, das stimmt nicht, ich kriege noch die Abo-Prämie. Ha. Eine Matt Berninger-CD. Zum pittoresken in die Wand stellen. So. Und jetzt mal googlen, was die Jungs von Yps eigentlich so machen mittlerweile….

5 Kommentare zu “Die große Ernüchterung oder: Hilfe zur Selbsthilfe.

  1. tala2019
    17. November 2020

    Ich kann das toppen, ich hab noch zwei Magazinabos, die die letzten 15 Jahre überdauert haben. In dieser Hinsicht bin ich treu 😛

  2. davidwonschewski
    17. November 2020

    Das Problem hatte ich mit der abonnierten Wochenzeitung, die Zeit. Die stapelte sich bei mir, ich kam nicht dazu und es nervte mich tierisch unterm Strich vielleicht 5 Prozent von einer Ausgabe gelesen zu haben. Das ist ja so ein verdinglichtes schlechtes Gewissen, dass dir iN Stapelform allabendlich vom Tisch aus zuwinkt, die ure Seelenpein!;-) Bei der Musikzeitschrift weiß ich, dass ich zuvorderst den Rezensionsteil hinten brauche und die Specials. Den rest oberflählich-isiere ich eher durch, das Musikerinterviewrad wird eh nicht mehr neu erfunden, haste erstmal 500 Interviews gelesen, kannst du die passenden Antworten problemlos sebst geben.

  3. davidwonschewski
    17. November 2020

    Ja, die SPEX fehlt mir auch. Die waren immer so herrlich „drüber“, ich mochte das. Die Visions hat bei mir das Rennen gemacht, weil es einfach die einzige deutschsprachige Zeitschrift ist, deren Musikausrichtng mich nahezu fläcendeckend anspricht. Ich stürze mich auch zuvorderst auf die Rezensionen und die Specials. Alles andere schmökere ich manchmal, oft aber auch nicht. Dieses Interview-Prmo-Gemisch ist halt letztlich auch immer das gleiche, in der Tat.

  4. lapismont
    17. November 2020

    ja, das Ende der Spex-Printausgabe hatte mich auch hart getroffen.Deren gedrechselte Artikel lesen sich im Sessel und mit dem Duft der Seiten einfach besser. In der Visions fand ich das nicht, wenn ich mal ein Exemplar kaufte. Für lange Bahnfahrten aber eine Ergänzung zur Geo.

  5. Kathrin Clara Jantke
    16. November 2020

    Mein letztes Abo habe ich nach 6 Jahren, in denen sich die Themen dann doch immer wiederholten gekündigt. Doch ich kenne diese kleine kindliche Freude, ein buntes Heft mit allerlei mehr oder weniger Lesenswertem, einem Extra und einem weiterverwendbaren Inhalt in den Händen zu halten, auch wenn ich die letzten 20 Ausgaben dann doch nur noch im Zeitschriftensammler deponiert habe, Dieses Inderhandhalten eines noch nicht durchgeblätterten, unzerknickten Magazins weckte in mir immer dieses Gefühl von Zeitlosigkeit wie als Teenager, als ich sobald es erschienen und am Kiosk gekauft war, sofort zu Hause auf dem Bett liegend druchgeschmökert , ja verschlungen habe. Nur dass ich mir als Erwachsener immer nur vorgenommen habe, es an meinem freien Nachmittag durchzulesen. Die Vorfreude aber und die Freude in dem Moment als es ins Haus kam blieb 😉

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Dieser Eintrag wurde veröffentlicht am 29. November 2020 von in Nachrichten und getaggt mit , , , , , , , , , .

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