von David Wonschewski
Der Anfang erschloss sich mir nicht. Es war 1988, ich war zehn Jahre alt – und beim unerlaubten Stöbern im Zimmer meiner älteren Schwester entdeckte ich zwei, tja, große gläserne Plaketten, durchaus hochwertig gemacht. Auf beiden das gezeichnete Konterfei von Elvis Presley. Meine Schwester mochte damals Depeche Mode, was sie plötzlich mit Elvis zu schaffen hatte, den sie nie hörte und nie erwähnte, ich konnte mir keinen Reim drauf machen. Ebenso wenig verstand ich, dass es sich beim schön unter die Konterfeis hingeschnörkelten Namen Morrissey keineswegs um den Künstler handelte, der diese Elvis-Portraits zuwege gebracht hatte. Sondern um den dargestellten Künstler höchstselbst, der also nicht Elvis war. Nur ich sah dort Elvis und frage mich bis heute, ob ich da näher dran war am Mysterium Morrissey als all die Leute, die mich auslachen, wann immer ich ihnen erzähle, ich hätte damals Elvis und Moz verwechselt. Für mich jedenfalls war es Elvis und der ergab im Jahr 1988 im Zimmer meiner großen Schwester genauso wenig Sinn wie die beiden großen blauen Müllsäcke, die sie beschrieben und dann wie Poster an die Wand gehängt hatte. Irgendwas von einer Familie Schmidt übersetzte ich mit meinem damaligen Erstenglisch. Irgendwas mit einer toten Königin, Queen, stand da drauf. Freddie Mercury kannte ich, der hatte in den Gemächern meiner Schwester aber genauso wenig zu suchen wie Elvis. Große Teenagerschwestern sind toll. Man peilt zwar nichts, merkt aber wie man an deren Unsinnigkeit zu was Intellektuellem emporwächst. Auch, dass meine Schwester nun weiß, wie sich Joan of Arc sich fühlt, stand da. Wer immer Joan of Dings auch sein sollte. Und warum auch immer Teenagermädchen ihre adoleszenten Tagebuchergüsse an Wände schmieren zu müssen glauben. Aber darum stapft man als junger Bruder ja da hoch, kaum ist die ältere Schwester aus dem Haus. Immer schwer was los in den Zimmern älterer Schwestern. Immer mächtig Rätselraten. Zieht man noch hinzu, dass sich in jenen Wochen auch ein Fußballergebnis an ihren Wänden fand, in dem zu erfahren war, dass ein Team aus London zu Hause mit 0 zu 4 gegen ein Team aus einem Ort namens Hull baden gegangen war – mehr so ein Hinweis für Genre-Spezialisten – so erklärt sich so manche Gabelung meines eigenen späteren Lebens wohl recht schnell. Bis hin zu dieser feinen Musikrubrik hier. Ohne große Schwester, ohne blaue Müllsäcke und ohne Elvis, der gar nicht Elvis war, wäre mir gewiss was entgangen. Ich würde heute Max Giesinger oder Rea Garvey hören und es für Musik halten.
Dass man den gezeichneten Dave Gahan, den es im Zimmer meiner Schwester per se zuhauf gab, über den gezeichneten Morrissey legen und die Quintessenz des ganzen dann über einen gezeichneten Elvis Presley legen kann, um am Ende exakt das Resultat zu bekommen, für das Ingmar Bergman mächtig viel Cineastenschmalz haben musste, um es als Persona (1966) mittels Frauengesichtsmontage zum Filmklassiker werden zu lassen, ach, hol’s der Hamster. Ich erwähne das nicht aus Langeweile, sondern weil The Queen Is Dead und die Beschäftigung mit The Smiths, gerade Morrissey mich oft an den Film denken lässt. Ingmar Bergman wurde wie auch Fassbinder als Frauenfilmer berühmt. Von Frauen gefeiert, dann aber kehrte sich das Schwert, das sie erschufen, sich gegen sie. Ihr Interesse zuvorderst an Frauen war nicht woke, es war sexistisch. Ihre Fokussierung auf Frauen nicht mehr begleitet von einem befreiten endlich!, sondern einem stöhnenden noch immer! Morrissey war ein Fan beider und um diese LP zu verstehen, hilft es Bergman und Fassbinder zu kennen. Was aber wohl der Kardinalfehler von ihm ist. Ab einer gewissen intelligenzstufe war es schon immer von Vorteil, den eigenen Humor und die eigene Cleverness unter Verschluss zu halten. Dass The Smiths nie die Beatles wurden, obschon sie unter Musikern fast ähnlich angesagt sind, liegt zuletzt daran. Paul McCartney, sogar John Lennon waren immer die, die keinem was beweisen wollten oder mussten. Es aber taten, wieder und wieder, wie aus dem Hinterhalt. Ups, Lied geschrieben, ups, Welt oder Musik revolutioniert. Morrissey war immer genial mit Ansage. Und das zeitigt immer einen Ruhm, der nur von kurzer Dauer ist, von Freaks getragen wird.
Also mir. Verdammt.
Klappt der geneigte Hörer die LP des dritten The Smiths-Album “The Queen Is Dead” heute, so viele Jahre später, auf, so fällt dem woken Geist zunächst der Schriftzug am Gebäude auf, vor dem Morrissey, Marr und Co. posieren: Salford Lad’s Club, also ein Raum, wo die Weibers unerwünscht sind, es den Hunden gleichtun dürfen: draußen bleiben. Ja, tatsächlich, das war ursprünglich ein reiner Kerlefreizeitschuppen. Doch auch wenn der Club mittlerweile im Titel um “Girls” erweitert wurde und es viele Menschen gibt, die glauben, das öffne einer besseren Gesellschaft die Tür, Vorsicht, oftmals ist der progressive Gedanke der rückständige: Denn dieser Club war nie Upper Class, sondern mehr eine soziale Angelegenheit, geschaffen, um die Kids der Arbeiterklasse von der Straße und den damit verbundenen üblichen Schwierigkeiten fernzuhalten, sie stattdessen einige Tugenden ausbilden zu lassen. Einer Gefahr zu begegnen, der wiederum Jungs viel schneller begegnen als Mädchen. Wie gut das gelang ist schwierig zu sagen, festzuhalten ist jedoch, dass der Club zu einer guten und bleibenden Erinnerung vieler Männer wurde, die als Kinder dort abhingen und später als Rockstars zu professionellen Herumtreibern wurden. Und so finden sich Reminiszenzen und Ehrenbezeugungen an den Salford Lad’s Club nicht nur bei den Smiths, sondern auch bei Joy Division/New Order, The Hollies, Oasis und The Fall. Und und und. Jungs aus Manchester, deren Leben auch ganz anders hätten verlaufen können. Ohne diesen Anlaufpunkt für Jungen aus prekären Verhältnissen.
Als das Album im Juni 1986 erschien, machte es sich zunächst gekonnt aufregender als es war. Der Titel war im monarchieverliebten England nicht nur per se provokant, er erinnerte auf verdrehte Art auch an den Skandal, den knappe 10 Jahre zuvor die eher monarchiegehässigen Sex Pistols mit ihren God Save the Queen entfacht hatten. Dazu das Cover, dem man, so man es wollte, die düstere Huldigung einer Frauenleiche unterstellen konnte. Nun, die Leiche war jedoch keine Leiche und nicht einmal eine Frau, es ist Alain Delon in einer Filmszene aus Die Hölle von Algier (1964), der Titel hingegen ein Verweis auf den ebenfalls 1964 erschienen Roman Last Exit to Brooklyn von Hubert Selby Jr. Wer Film und Buch kennt – ein Hinweis darauf wie wenig provokant aber sehr woke Morrissey bereits war als es das Wort noch gar nicht gab. Und somit auch eine Erklärung, warum er heute, weit über 30 Jahre später, genau andersherum wahrgenommen wird: sehr provokant, wenig woke. Dass er sich seit 1970 vegetarisch und seit dem Jahr 2000 vegan ernährt und einer der ersten Künstler war, die die eigenen Depressionen transparent machten, müsste seinen Ruf retten, hilft aber seit geraumer Zeit nicht mehr. Der Mann, der woke gewissermaßen mit erfand, wird von seiner eigenen Revolution gefressen – bemerkenswert. Ob zurecht oder zu Unrecht – definitiv bemerkenswert. Und ein Detail, das es all die Jahrzehnte später im Kopf zu haben lohnt, wenn man sich den Stücken von The Smiths widmet.
Ja, das Spiel mit popkulturellen Referenzen, es zieht sich durch die Karriere der Smiths und auch durch dieses Album und allein das ist schon ein Grund, warum die Band im Generellen und von Musikkritikern im Speziellen so geliebt wurde. Denn wie viele Musikkritiker ist auch Morrissey kein akademisch sonderlich gebildeter Mann, die Schule beendete er früh, doch während es gleichaltrige bildungsferne Jungen aus Manchester eben doch auf die Straße zog, widmete er sich von klein auf erst der Literatur, dann der Musik und schließlich dem Film. Ein Eigenbrötler, der las, hörte, sah, las, hörte, sah. Verdammt früh intellektuell wurde, aber eben auch seltsam, besserwisserisch, ein Querulant. Ein Trennungskind, eine etwas perfide Mischung aus sensiblem Mamakind und Abseitigkeitsfanatiker. Ein Typ, der auch aufgrund seiner frühen Depressionen tagelang das verdunkelte Schlafzimmer nicht verließ – und es doch schaffte in den Szenekreisen von Manchester schon als no name eine gewisse Bekanntheit zu erlangen. Der er sich als obskurer aber stilsicherer Musikauskenner betätigte, zudem optisch mit einem ihm nicht abzusprechende Charisma gesegnet war.
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Das alles gilt es im Hinterkopf zu behalten, wenn man “The Queen is dead” hört und sich der Frage hingibt, warum das eigentlich so gut, so kultig ist – sogar und gerade denn, wenn die Grenze zum Fremdschämen gar nicht so weit weg ist, zumindest all die Jahrzehnte später? Some Girls Are Bigger Than Others, das grandiose Abschlusstück des Albums ist ein Paradebeispiel dafür. Sieht man einmal von der popkulturellen Referenz auch in diesem Lied ab, einen Hinweis auf den in England sehr bekannten Film Carry On Cleo von, klar, 1964, ist das Ding so platt wie peinlich. Denn Morrissey beschreibt dort mit dürren Worten die rein optische Erkenntnis, dass nicht alle Frauen fett sind, manche aber schon. Man ist es mittlerweile gewohnt, den doppelten Boden zu suchen, die Ironie, die eigentlich das Patriarchat diskreditiert. Doch da ist nichts, Morrissey ist zu dem Zeitpunkt 26 Jahre alt und wundert sich, dass manche Frauen fett sind, andere nicht. Selbst wenn die Uhren 1986 noch anders tickten – wie wird so etwas zum Kultsong? Zumal es sich hier um keinen Einzelfall handelt, was ähnlich gelagerte spätere Liedperlen wie Girlfriend in a coma oder You’re the one for me, Fatty bezeugen. Ist es der Schmelz in seiner Stimme oder das Tieftraurige in und an ihm, das selbst dann Oberhand gewinnt, wenn er textlich eine Botschaft übermittelt, die von Malle-Ballermann gar nicht so weit weg ist? Morrissey bekannte später mal, das Schwierige an diesem Song sei für ihn, dass niemand ihn so nähme, wie er gemeint war: ernst. Denn Morrissey war nicht nur ein abgekapselter Sonderling, etwas verhirnt, er war nie rein heterosxuell. Und womöglich, der Blätterwald raunt mehr als er weiß, nicht einmal sexuell. Es gibt diverse Interviews, in denen er Dinge sagt, die darauf schließen lassen, dass das einzig misogyne an ihm sein könnte, dass er sich nie sexuell für irgendwen interessierte, für Frauen schon gar nicht. Er habe das allgemeine Interesse für und an Sex nie verstanden, habe jahrelang zölibatär gelebt, könne mit Körperlichkeit wenig bis gar nichts anfangen, sagte er einmal. Und habe eben erst mit 26 Frauen mal näher angeschaut. Ob das nun stimmt oder Masche ist (auch dafür gibt es Hinweise), sei dahingestellt, es ändert für mich alles. Das oberflächliche Lied bekommt plötzliche eine unfassbare sensible Tiefe.
Ja, es ist Morrissey. Auch Morrissey. Denn vor allem ist es die Musik von Johnny Marr. Der, immer abgestoßener vom Plastiksound des im Sterben liegenden New Wave, eine Klangmischung aus den Stooges (Iggy Pop) und Velvelt Underground (Andy Warhol, Lou Reed) aus den Spätsechzigern in die Mitachtziger retten wollte. Lustigerweise auf der Basis dieser beiden US-Acts neben den Kinks die Blaupause für den prototypischen UK-Sound schuf, einen, auf dem bis heute nahezu alles britische aufbaut. Und der, also Marr, diesen Text, den Morrissey ihm zu seinem Demo ablieferte, gerade deswegen nie leiden konnte. Du revolutionierst als hochveranlgter Songschreiber ja nicht die Musikwelt, um dann so einen Text drüber zu zuckern. Und doch ließ Marr seinen seltsamen Sänger machen,h da er längst gelert hatte dessen Themeninstinkt zu vertrauen und um den Gewinn, den es brachte, wenn er einen schwer Ausrechenbaren ab und an das Unerwartete machen ließ. Oder wie Drummer Mike Joyce dem NME im Jahr 2011 gegenüber bekannte: Nur Morrissey kam damit durch -Vegetarianismus, Sexismus und ermordete Kinder.
Wie aufgeregt die heutigen Zeiten sind im Vergleich zu 1986, zeigt gerade einer der größten Singlehits der Smiths, Bigmouth Strikes Again. Der seinerzeit ein musikalischer Volltreffer mit einem bestenfalls enigmatischen Text war. Morrissey zelebriert hier ein weiteres seiner bevorzugten Stilmittel: Die Selbststilisierung, um nicht zu sagen Ikonisierung zum Märtyrer von Gottes Gnaden. Eigentlich als Medienschelte gedacht, eine Kritik an deren brutaler Gnadenlosigkeit und Ausschlachtung vergleicht er sich mit ebene Jeanne of Arc, der heiligen Johanna. Unterstellt ihr im Lied eine römische Nase zu haben und auf dem Scheiterhaufen einen Walkman im Ohr gehabt zu haben. Eigentlich ein gutes Bild, gehört ein gewisser Starrsinn doch zum Märtyrersein gewiss dazu und auch die historische Ungenauigkeit der holden Johanna einen 80er Jahre-Walkman unterzujubeln hat viel mehr Ehrenhaftes als denn Despektierliches, zeigt es doch, dass er sie sieht, wie viele auch Jesus werten: als hippen und zeitgeistigen Popstar seiner Zeit. Es hätte Jeanne of Arc besser zu Gesicht gestanden im Bett ihre gottgegebene Arbeit zu erfüllen als denn auf dem Schlachtfeld umher zu tönen, sie habe die Stimme Gottes vernommen, so singt er sinngemäß in Bigmouth Strikes Again. Selbst schuld, wenn sie dann die entsprechende Strafe erhält, die große Täter-Opfer-Umkehr – die aber auch nur als eine solche begreifen kann, wer selbst mehr mit der Erkenntnismachete unterwegs ist als mit der Wahrnehmungspinzette. Selten einen so guten Umgang mit der eigenen Verstiegenheit, der Angst vor der Bedeutungslosigkeit und den hanebüchenen Folgen, die alles Streben, so es schlimmstenfalls von ein wenig Erfolg gekrönt ist, hat gehört. Aber auch das ein Grund, warum die Smith diesen Kultstatus erreichten: Wo andere Sexismus hören, höre ich glasklare Kritik am Patriarchat. Sich mit einer weiblichen Heiligen gleichzusetzen ist so durchschaubar bigmouth, dass es wundert, dass manche Hörer es vorziehen, das Lied auf Level 1 zu hören, wo der Kellergang zu Level 2 doch so eindeutig vor einem liegt. Ein Lied im Lied, gewissermaßen, Form konterkariert hier nicht den Inhalt, sondern unterstützt ihn.
Dass “The Queen is dead” knallevoll mit derlei fragwürdigen Glanzstücken britischer Indiependentmusik ist, liegt gewiss auch daran, dass sich The Smith 1986 in der Phase befanden, die Neil Tenannt, Sänger der Pet Shop Boys, einmal als “imperial phase” benannt hatte. Ein kurzer Augenblick in der Karriere glücklicher Musiker, in denen sie artifiziell alles wagen können – es verkauft sich eh und die Kritiker sind ebenso eh begeistert. Sieht man sich den Status an, den die Smith – so wie die Strokes zu Beginn der 2000er mit dem Status gesegnet, die Rettung der rockigen Gitarrenmusik darzustellen – so trifft das gewiss zu. The Smiths hätten in jenen Jahren auch das wohlbekannte Telefonbuch vertonen können, alle wären ganz aus dem Häuschen gewesen. Textlich ist das alles so gewagt, dass man auch heute förmlich spüren kann, dass der große Reiz, den Morrissey damals verspürte, der war herauszufinden, wie weit die Leute mitgehen. Der Ansatz, die eigene Blödheit ins Schaufenster zu stellen, um zu schauen wie sich die Betrachtenden erst dann, dann selbst entblöden, er wurde musikalisch selten derart kongenial auf die Spitze getrieben. Oder wie es der Kabarettist Serdar Somuncu einmal fragen in den Raum stellte: Was ist schlimmer – der zu sein, der einen miesen Witz macht oder der zu sein, der darüber lacht?
Es gehört zu den Ungerechtigkeiten der Musikwelt, dass sich alles auf Morrissey fokussiert, wobei Leute, die in gut funktionierenden Bands das selten als ungerecht empfinden, ist der Gefeierte Bandkopf doch auch stets der, der als Erstes auf dem Scheiterhaufen landet, gegrillt wird. Songschreiber und Gitarrist Johnny Marr wurde in Morrisseys Windschatten selbst zur Legende, wie es auch anerkannt ist, dass The Smiths, wie es in nahezu allen großen Bands der Fall ist, nur deswegen zeitweilig die beste Rockband der Welt war, da Bassist Andy Rourke und Drummer Mike Joyce gewissermaßen einen Grundsound fabrizierten, auf denen auch ein Blinder zum Hitruhm marschiert wäre.Bei Umfragen nach den einflussreichsten britischen Bands aller Zeiten liegen nach den Beatles zumeist die Smiths ganz vorne. Denn es stimmt, der Alternative Rock der 90er Jahre, Britpop, auch das sogenannte Croonen, das letztlich zwar auf Frank Sinatra zurückgeht, maßgeblich zur Morrissey jedoch auch zu einem Indie-Stil wurde – die Smiths stehen am Anfang von nahezu allen jüngeren UK-Gitarrenbands. Es ist nicht übertrieben sie gerade wegen The Queen is dead in ihrem Einfluß auf eine Generation und deren Musiker mit den Beatles oder Nirvana gleichzusetzen. Und doch hinkt der Vergleich, natürlich. Seien es die globalen Hits, die puren Verkaufszahlen oder das eingangs erwähnte Ikonenhafte, wofür ein Morrissey eigentlich geradezu prädestiniert wäre – die Smiths haben diesen Status nie erreicht. Warum es Modeketten gibt, die sehr erfolgreich Nirvana- oder Ramones-Shrts an Teenies verkaufen, aber nicht The Smiths, nun, die Frage ist popkulturell interessant. Warum auf jeder deutschen Straße jeder befragte Passant die Beatles kennt mitsamt Liedern. Nirvana und Kurz Cobain auch (da interessanterweise aber seltenst einer ein Lied), sind The Smiths nur im United Kingdom noch wer. Selbst die neuen Kontroversen um Morrissey, der für mich eher ein Boris Palmer ist als denn ein Björn Höcke interessieren nur eine gesellschaftliche Kleinstblase. Die dummerweise meine ist. Die, in der ich selbst auf dem Scheiterhaufen stehe, mit iPod im Ohr, Gott Morrissey säuselt mir ins Ohr. Ach ja, ich und meine eigene Blase.
Ich sage mal so: Now I know how Joan of Arc felt.
Die Smiths, so scheint mir, wurden von just dem Prädikat erhängt, das sie so sehr auszeichnete: Sie waren Meta. Sieht man vermeintliche Simplizitäten wie Some Girls Are Bigger Than Others nicht und schaut stattdessen z.B. auf den namensgebenden Opener The Queen Is Dead, so findet sich zunächst ein komplexer Song, der das Individuum von den Ketten einer jeden Obrigkeit, hier der Monarchie, befreien will. Nicht so harsch wie die Sex Pistols, eher eine lauwarme Version davon, textlich. Da ist jemand nicht sauer, sondern eher so ein wenig unglücklich.
“So I checked in the historical facts, and I was shocked into discover, I was the 18th pale decedent of some old queen or other”, heißt es da. Dass Briten das Wort Queen in einem solchen Kontext auch als Codewort für homosexuell lesen können, ist eine Randbemerkung von minderer Wichtigkeit.
Dass ihn die Existenz einer Monarchie im Jahre 1986 nicht sauer, sondern eher traurig mache, bekannte Morrissey. Seine Heimat ersticke an der eigenen Größe, Bedeutung und Macht. Es wäre für alles Große besser kleiner zu denken, klingt entsprechend sympathisch, das ist die Aussage und man wäre geneigt aufzustehen und zu applaudieren, wenn sich nicht damals schon Fragen angeschlossen hätten, die sich ein Weltreich nun einmal zu stellen hat, bevor es sich freiwillig minimiert. Es soll Menschen geben, die waren verwundert, dass Morrissey einer der wenigen prominenten Brexit-Befürworter war. Das kann man bemängeln, doch hört man sich die Komplexität des Textes an, so darf es nicht verwundern. Morrissey ist nicht plötzlich komisch geworden. Und ein Simpel schon einmal gar nicht. Er findet nur, dass England mal nicht überall mitmischen sollte. Und ist er damit nicht dem deutschen Befinden bezüglich der eigenen Historie nicht recht nahe? Liest und hört man solche aus meiner Sicht überragenden Texte, so kommt einem der gute Morrissey eher wie einer dieser DDR-Bürgerrechtler vor. Die konnten teilweise auch nicht so schnell hinschauen, wie sie plötzlich gewollt oder ungewollt AfD-nah waren. Sind kein Stück komisch geworden über die Jahre. Der Betrachtungsspiegel hat sich lediglich brutal verändert.
Schlussendlich erwähnt werden sollte noch der beliebteste und vielleicht größte aller Smiths-Songs: There Is A Light That Never Goes Out. Ein schon deswegen bemerkenswertes Stück, da es reinherzig romantisch getextet war, die Streicher aus der Synthesizer-Maschine kamen und – es nie eine Single war bis 1992, als es für eine Best of-Compilation ausgekoppelt wurde. Bis Mitte der 90er-Jahre ein Stück unter ferner liefen. Schaut man jedoch einmal bei Spotify nach den Abrufzahlen von Smiths-Liedern, dann ist ausgerechnet dieses Lied der Oberhit. Obwohl es der nie war. Ganz ähnlich wie Wonderwall bei Oasis, das zwar eine Single war, aber erst über die Jahre hinweg zu dem Oasis-Song wurde. Die Antwort auf dieses seltsame Phänomen ist so gut wie doof: Es war auf dem Soundtrack zum Kultfilm Trainspotting (1993).
Und so verlasse ich Sie und Euch, möchte aber empfehlenlen einmal folgende Songs anzuspielen, wenige Sekunden reichen:
a) Rolling Stones – Hitch Hike
b) Velvet Underground – There She Goes Again
c) The Smiths – There Is A Light That Never Goes Out
Richtig gehört, popkulturelle Referenzen beschränken sich nicht aufs Wort allein. Und man kann auch Johnny Marr heißen, um drauf zu stehen, das drauf zu haben. Das war kein Klau, ist nichts für die Gerichte. Sondern ein Faszinosum britischer Popmusik, das es in vielen Varianten gibt, eine Art subversiver Witz von Musiker zu Musiker.
Weitere Episoden – HIER. Und falls Sie Lust auf Literatur voller Popgeschichten haben, klicken Sie gerne einmal: HIER.
David Wonschewski, Jahrgang 1977, wuchs im Münsterland auf und ist seit 25 Jahren als Kulturjournalist für Radio, Print & Online tätig. Als leitender Redakteur gestaltete er viele Jahre das musikalische Programm landesweiter Stationen, führte Interviews mit internationalen Künstlern (Cliff Richard, Joe Cocker, Pet Shop Boys, Take That, Paul Young) verfasste knapp 450 Musikrezensionen sowie PR-Texte für u.a. Reinhard Mey. Er saß von 2013 bis 2015 in der Jury der renommierten Liederbestenliste, ist Mitbegründer der noch immer existenten Liederatur-Bühne „Geschmacksverstärker“ im Zebrano-Theater Berlin. Sein von der Internationalen Thomas Bernhard Gesellschaft empfohlener Debütroman „Schwarzer Frost“ brachte ihm 2013 erste Vergleiche mit Autorengrößen wie David Foster Wallace, Bret Easton Ellis oder eben Thomas Bernhard ein.