von David Wonschewski
Geht das eigentlich? Dass man etwas knallegeil findet, es dennoch mit der Kneifzange nicht anfasst? Klar geht das. Wie ich an der BILD-Zeitung feststelle, die ich gleichermaßen wichtig wie unsagbar gut gemacht finde, überhaupt jubelnd festhalten möchte: Super Ding, das!! Und die ich doch das letzte Mal gelesen, ach was sage ich denn, angefasst habe am 31. Oktober 2004. Dass ich dieses Datum noch im Kopf habe, aber nicht mehr, was an jenem Tage drin stand, zeigt mein Problem mit der BILD auf. Denn dieses ist nicht ethisch-moralischer oder gar pressefachlicher Natur, politischer noch viel weniger. Es steht mir schlichtweg zu wenig drin. Die BILD lesen ist für mich wie Luftschokolade futtern. Es bleibt nichts hängen, macht mich nicht satt. Ist somit (nur) hinsichtlich meiner Info-Gelüste eine Mogelpackung.
Gelesen habe ich die BILD täglich vom 01. Februar 2001 bis eben jenem 31. Oktober 2004. Man ahnt es bereits: Ich musste es tun, beruflich. Zunächst als Praktikant, dann freier Mitarbeiter und schließlich Volontär bei Berliner Radiosendern. Da musste man sich allmorgendlich durch den bundesrepublikanischen Blätterwald lesen, um Nachrichtenredakteuren zuzuarbeiten und für die diversen Shows als Themenschleuder fungieren zu können. Bevor ich dort anfing, Februar 2001, fand ich neben der politisch konservativen BILD auch die linksliberale taz widerlich. Das waren für mich beides populistische Drecksblätter, die längst verboten gehören, weil sie das machten und machen, was heute so luftleer “Hass und Hetze verbreiten” heißt. Woher ich das so genau wusste, tja, keine Ahnung. Denn ich las beide bis zum 01. Februar 2001 betont und ostentativ nicht. Aus Anstand, aus Moral. Und sonstigen eitlen Gründen. Die, wie das so geht, wohl mehr über mich aussagten als über die beiden Zeitungen.
Dann kam der Beruf, ich musste beide Zeitungen lesen, lernte auf theoretischer Ebene, was für ein breites Presseangebot es braucht, um eine “wehrhafte Demokratie” zu sein. Und lernte auf der praktischen Ebene, wie journalistisch herausfordernd es ist, nah an den Leuten zu agieren. Ja, ich bekam zunehmend Respekt vor jener übel in Verruf gebrachten Kunst, auf höchstem Niveau populistisch und daneben zu sein – und doch stets ein menschliches Grundgefühl zu treffen damit. Was für eine immense Verantwortung das sein muss, ein solches Blatt, mit im Falle der Bild 12 Millionen Lesern täglich zu führen, wow, wow und nochmal wow. Heutzutage wird gerne suggeriert, jeder und jede könnte eine Führungsfigur sein, wenn man sie und ihn nur mal ließe. Nun, dem ist nicht so. Dass der gebürtige Bielefelder Diekmann nicht so ein nur auf Auflage schielender Geld- und Machtkopf sein kann, wie er mir, bei allem Respekt vor der Zeitung, dennoch lange vorkam, schwante mir zwar schnell. Ich fand nur, wie seine vielen selbsternannten Feinde, selten Belege dafür. Er machte es einem denkbar schwer, ihn zu respektieren.
Muss man berufsbedingt jeden Tag viele Zeitungen lesen, weiß man den Moment, in dem man endlich zur BILD oder taz kommt, im Übrigen schnell zu schätzen. Denn die sind lustig, da geht es rund, alleine deren Titelblätter und diese Schlagzeilen, zumeist zwischen albern und unverschämt. Und genau darum, leider, auch meistens clever bis lustig, gerade in der heillosen Überzeichnung, wie jeder gute Humor, dampfablassend befreiend. Beispiele? Gerne:
BILD: “Diese Affenhitze – Werden wir jetzt alle Afrikaner?” / “Rudi, hau die Saudi!”/ “38 Prozent aller Studentinnen sind weiblich.” / “Wir sind Papst!” / “Bundeswehrsoldaten immer dicker – brauchen wir bald neue Panzer?”
taz: bzgl. Flughafenchaos “Berlin kriegt keinen hoch!” / als die Sozialdemokraten 1995 in Berlin nur selten schwache 23 Prozent einfuhren “SPD deutlich über 5 Prozent” / im November 1989 “Die Mauer tritt zurück, wann geht Kohl?”)
Je zwangsintensiver ich die BILD (und eben auch die taz) las, desto klarer wurde mir, dass sie hüben genauso wenig blöd sind wie drüben – und auch nicht so platt konservativ oder platt links, wie es scheint. Und doch, auch als ich mich inhaltlich mit der BILD ausgesöhnt hatte, politisch geht es eh halbwegs in meine Richtung, mit Kai Diekmann (der 2001 mit gerade einmal 36 Jahren Chefredakteur und somit einer der mächtigsten Männer unseres Landes wurde), hatte ich meine Schwierigkeiten. Wie der schon aussah. Nämlich exakt so, wie man sich auf der linken Seite des Politspektrums zu heiß gebadete Emporkömmlinge auf der rechten Seite so vorstellt. Die etwas längeren Haare immer feucht und straff nach hinten gegelt, auch Anzug, Hemd und Einstecktuch mehr so Marke Hamburger Reederdynastie. Es brauchte einige Zeit, bis ich erkannte – und Diekmanns Erinnerungen “Ich war BILD” bestätigt es in Ansätzen – dass dieser Look zu Beginn tatsächlich seinen hilflosen Versuch darstellte, zu einer Klasse dazuzugehören, in die er selbst nicht geboren worden war. Ab einem gewissen Punkt jedoch mehr dem politisch-atheistischen linken Gegner galt, wo man bekanntlich bis heute sehr anfällig für Teufelsersatz ist, das personifizierte Böse, so platt gezeichnet, dass man noch gemeinsam aufmarschieren kann.
Je tiefer der Leser eintaucht in Diekmanns Schilderungen seiner Zeit als Chef der BILD, desto klarer wird einem, dass der Mann zwar konservativ bis in die mittlerweile nicht mehr gegelten Haarspitzen ist, in erster Linie jedoch ein gleichermaßen hochbegabter wie, und das wird unterschätzt, wagemutiger Journalist. Sein Leben und das seiner Familie wurde gleich mehrfach sehr konkret von Rechten bedroht, mit denen er sich beispielsweise in der Flüchtlingskrise anlegte (die BILD war der Inbegriff der Willkommenskultur und Diekmann einer der wenigen Mächtigen, die sehr schnell privat Flüchtlinge bei sich daheim wohnen ließ). Auch Linke und Islamisten beließen es nicht nur bei Worten und Witzen unter der Gürtellinie, nahmen seine Frau, seiner Kinder gleich mit ins Visier tätlicher Angriffe. Auch dürfte Kai Diekmann der Mensch sein, der hinter den jeweiligen Bundeskanzlern die meisten Strafanzeigen bekam. Nicht nur tausende “kleiner Leute” sind über die Jahre gegen ihn vorgegangen, auch Kollegen, Politiker, Staatschefs. Dass er mit seinen Schlagzeilen und Themen nicht immer den besten Ton getroffen hat, weiß er selbst und wird nicht müde, es wohltuend oft zuzugeben. Dass es ihm dabei jedoch neben der Auflage auch immer um die Pressefreiheit und demokratische Werte ging, von denen alle etwas haben, ist der Bonus dieses Buches, das genau das, sauber nach den großen Themen seiner 16 Jahre aufbereitet, erklärt. Denn angefüttert mit allerlei Hintergrunddetails und aus der Brille eines Mannes beschrieben, auf dessen Schreibtisch nun einmal die ganz großen Bretter landen, nicht selten lange bevor sie auf anderer Leute Schreibtischen landen, versteht man, was für Kämpfe Kai Diekmann kämpfte und warum er sie kämpfte. Und so wird die Lektüre dieser Erinnerungen auch deswegen zum fast schon philosophischen Genuss, da man nicht umhinkommt sich beständig zu fragen: Tja, wie hättest du da entschieden?
Klingt anstrengend, ist es für Diekmann persönlich gewiss auch gewesen, ist als Leser von “Ich war BILD” auf knapp 540 Seiten jedoch nicht nur erkenntnisreich und horizonterweiternd, sondern vor allem amüsant. Die Nummer, wie ihm der damalige Bundespräsident Christian Wulff drohend auf den Anrufbeantworter quatschte und damit seinen eigenen Sturz in die Wege leitete – herrlich. Wie Diekmann daran erinnert, dass Gerhard Schröder nicht umsonst den Beinamen Medienkanzler trug, nicht nur in Sachen Ego, sondern auch an Schlagfertigkeit und Instinkthumor kaum zu überbieten war – großartig. Die Scharmützel, die sich Diekmann mit seinen großen Gegnern Günter Wallraff und der taz lieferte – köstlich. Und so geschildert, dass nicht etwa Kai Diekmann als großer Held stehen bleibt, sondern alle Seiten ihre Stiche machen, Diekmann sich sogar outet als einer, der ohne Wallraff nie Journalist geworden wäre und der findet, dass die taz der BILD in Sachen grandioser Titelseiten mittlerweile sogar den Rang abgelaufen hat.
Je länger man eintaucht in seine Erinnerungen, umso weniger bleibt übrig vom öligen Neureichen und konservativen Haudraufbesserwisser, es tritt hervor: ein Vollblutsystemanarcho, der mehr als den Linken den Mächtigen den Kampf angesagt hat. Einem, der schon als junger Mann bei der Bundeswehr die Obrigkeit herausforderte, in dem er erst genau die peniblen Frisuren- und Kleidervorschriften der Armee studierte – und sich dann in unmöglichster, aber rechtlich sattelfester Optik in Reih und Glied wiederfand. Beispielsweise mit zu einem Horn gegelten Stirnhaaren, die er sich über die Stirn runter bis fast auf die Nase zog. Ingo Appelt in extrem, gewissermaßen. Stand nämlich nirgends, dass man das nicht darf als Soldat. Noch schöner, wie er, bereits BILD-Chefredakteur, in den genossenschaftlichen Förderkreis der taz eintrat, artig Mitgliedsbeiträge zahlte und dann vierteljährlich ebenso artig auf den Förderkreisversammlungen auftauchte, von seinem Rederecht Gebrauch machte. Und da dann stand, vor knapp hundert Leuten, die ihn mindestens so hassten wie George W. Bush. Und die ihn nicht hinauswerfen konnten, ertragen mussten, dass er dort die perfidesten, clever am linken Zeitgeist und Selbstverständnis kratzenden Vorschläge machte. Dabei ein kommunistenrotes Shirt trug, auf dem das Konterfei von Che Guevara zu sehen war, nur dass sein eigenes, Diekmanns Antlitz hinein retuschiert wurde in die ikonische Mütze-Bart-Nummer. Ha! Doch, doch, dafür braucht es echt Eier. Und dass Kai Diekmann diese hat, weiß man auch bei der taz, wo man einst einen Bildhauer damit beauftragte, eine Skulptur von Diekmann zu entwerfen, untenrum frei und mit Riesengemächt, das kurz nach Fertigstellung an prominenter Stelle an die Wand des Redaktionsgebäudes der taz geklatscht wurde, sich bis heute touristisch bewundern lässt, wohl sogar in Touristguides auftaucht.
Wie albern, wie geil. Hüben wie drüben. Nur weil etwas Kindergarten ist, muss es ja nicht automatisch schlecht sein. Und wer andere zum Nachdenken und zugleich zum Lachen bringt, hat eh immer recht. Ja, ich liebe die BILD und die taz, auch wenn ich beide weiterhin nicht lesen kann.
In einem Interview sagte Diekmann dieser Tage, die BILD habe in unserem Land in etwa die gleiche wichtige Funktion wie der FC Bayern für den deutschen Fußball, und dem ist wohl wenig hinzuzufügen. Dass Diekmann seinen größten Gegnern so viel Respekt entgegen bringt in diesem Buch spricht für ihn, wirklich schlecht weg kommt eigentlich nur das bigotte Verhalten von Politikern und Promis, die glauben ein Anrecht auf positive karrierefördernde Presse zu haben. Einen Herbert Grönemeyer, der sich stets weigerte, mit der BILD zu reden, lobt er beispielsweise. Manch andere hingegen, die versuchten die BILD zu instrumentalisieren und zu manipulieren, lässt er hervorragend auflaufen. Wer einerseits mit der BILD berühmt sein möchte, ja sogar proaktiv und ungefragt eigene Privatstorys lanciert, andererseits aber unter dem Vorwand von Anstand und Moral, ja sogar mittels gerichtlicher Verfügungen und Klagen gegen die BILD vorgeht, wird von Diekmann hemmungslos durch den Kakao gezogen.
Zurecht.
Selten habe ich bei einem Sachbuch so schallend gelacht, selten hat ein Mann es geschafft, derart Lust auf Politik zu machen. Dass der Job als Chef der BILD mitsamt Macht schweineschwer zu tragen ist, das zeigte nach Diekmanns Abgang sein eigentlich nicht minder begabter, dann aber vergleichsweise schnell und vollkommen zurecht entfernter Nachfolger Julian Reichelt.
Ein persönlicher Dank noch an Kai Diekmann für sein Kapitel zum Thema Flüchtlinge. Wäre dieses Kapitel fiktional, es wäre hochwertige Literatur. Da es das aber nicht ist, ist es immens wichtig.Zeigt es doch, dass für viele Konservative, die etwas lapidar und vorschnell als rechts gebrandmarkt werden, das gilt, was Reinhard Mey einst besang:
Dem einen sitzt meine Nase zu weit links im Gesicht,
Zu weit rechts erscheint sie dem anderen
und das gefällt ihm nicht.
Und flugs ergreift das Wort der Dritte
Und der bemerk alsdann:
Sie sitzt zu sehr in der Mitte
Und ich sollt’ was ändern daran.
Und ich bedenk’, was ein jeder zu sagen hat,
Und schweig’ fein still,
Und setz’ mich auf mein achtel Lorbeerblatt
Und mache, was ich will.
(aus: Mein Achtel Lorbeerblatt, 1972)
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