von David Wonschewski
Zugegeben: Als ich den früh legendär gewordenen und seltsamerweise immer noch lebenden Pete Doherty das erste Mal live sah, in Berlin 2008, da war das ein Konzert komplett zum Vergessen. Die Libertines gab es seinerzeit schon lange nicht mehr, Pete war mit seinen Babyshambles da, was jedoch gar nicht einmal das Problem darstellte. Das Problem war zweierlei, zum einen, dass Pete Doherty schon strunzbesoffen auf die Bühne getorkelt kam. Und zum anderen, dass ich schon strunzbesoffen in die Halle getorkelt gekommen war. Punk eben. Oder wie man das sonst nennt, wenn man die eigene Lieder- und Lasterhaftigkeit zu Rebellentum umzudeuten versucht.
Es ist also gut möglich, dass das Konzert auch legendär und somit kein Stück zum Vergessen war, nur haben ich und gewiss auch Pete eher wenig mitbekommen davon, alles vergessen. Ist aber irgendwie auch reichlich egal, verhält es sich doch mit den durchaus tollen Babyshambles doch wie mit, tja, Paul McCartney’s Band “Wings” oder John Lennon im musikalischen Gespann mit Yoko Ono. Hat was, hat aber nie wieder DAS. Kann also scheinen und genialisch glitzern wie es will, es bleibt eine Enttäuschung. Vermutlich habe ich mir das auch nur deswegen mit einiger Prozenthilfe antun können. Ging Pete Doherty bestimmt genauso. Der soll zwar schon bei den Libertines seltenst clean gewesen sein (wie auch ich einige tolle Konzerte in jenen Jahren nicht sah, obschon ich laut abgerissener Eintrittskarte und hämisch amüsierten Zeugenaussagen da gewesen bin), aber was soll’s, Baum pflanzen, Haus bauen, Kind zeugen, Pete Doherty live erleben – eins von vier Dingen, die ein Mann tun soll, habe ich erledigt. Passt.Man kann sich das heute kaum noch vorstellen, dass Pete Doherty und Carl Barât, als sie Anfang der 2000er als Studenten im englischen Camden musikalisch zusammenfanden, es zunächst mit halbwegs gesitteten Klängen, adretten Frisuren und in guten Anzügen versuchten. Es waren halt (noch) andere Zeiten, Rock und Punk waren mausetot, Grunge schon lange, sogar Britpop seit kurzen – Dance regierte. Pop. Erst die amerikanischen Strokes vermochten den Fokus ab 2001 zurück auf eher traditionelle Rockmusik zu lenken. Ein Zeitgeist, auf den sich auch die beiden Libertines, nachdem die kurzlebige Sache mit der Nettigkeit gefloppt war, setzten. Und wie. Selbstzerstörerisches Mucker- und Mackertum par excellence wurde zum Erfolgsvehikel der Band, zu der auch Drummer Gary Powell und Bassist John Hassall gehörten. Drogenumfleuchte Prügeleien zwischen Carl und Pete prägten ihr Bild und wurden begierig von der Presse aufgenommen, in ihren abgespackten Lederjacken, mit den fahlen und umschatteten Gesichtern sahen sie auch aus, als sei Sid Vicious höchstselbst auf die Erde zurückgekehrt. Um sich genauso intensiv dann immer wieder ihrer gegenseitigen Freundschaft, ach was sage ich denn: Liebe zu versichern. Bipolar im Duo, gewissermaßen.
Was dabei echt, was inszeniert gewesen ist, nun, schwierig zu sagen. Man darf dabei nicht vergessen, dass die Libertines zeitweise von Alan McGee gemanagt wurden, dem Großmeister des anstößig-skandalumwitterten Indierock, der schon The Jesus & Mary Chain oder Oasis auf ähnliche Weise zu prügelnden Haudrauf-Lieblingen der Presse und somit maßgeblich auch in die kommerzielle Erfolgsspur geschossen hatte. In seinen Erinnerungen “Randale, Raves und Ruhm” (2021, mehr dazu: HIER) erählt der Schotte McGee, dass er die beiden front-Libertines einmal in seinem Landhaus übernachten ließ und eines nachts Carl in seinem Zimmer auftauchte und ihm der Augapfel des rechten Auges halb heraushing, so immens hatten die beiden, also Carl und Pete, sich in ihrem Gästezimmer gegenseitig auf die Fresse gegeben. Ich persönlich glaube diese Story kein Stück, aber geil is’ schon….
Erstmal in das ganze Album “Up The Bracket” reinhören? Gerne:
Die Jahre ab 2002 bis 2005 waren für mich eine Art musikalischer Erweckung. Ich war erst ab 1998 etwa, stilecht mit meinem Umzug nach Berlin, in den Bereich Indie gelangt, hatte Blut geleckt. Und zäumte, man kann es hassen, man kann es lustig oder sogar effizient finden, das Pferd ab da von hinten auf. Im Indiebereich tauchten damals, für mich erstmalig, Menschen auf, die sparsam agierten, Stimme, Akustikklampfe, fertig. Singer-Songwriter nennt man das, James Blunt brachte es einige Jahre später in die Charts, Ed Sheeran verbilligte und verpoppte das Konzept. Ich kam über Ryan Adams – Chartshörer: nicht Bryan, sondern Ryan – und kam auch über Belle & Sebastian, landete in meinem Wahn nur dadurch bei Nick Drake, Gordon Lightfoot. Mit Punk und Post Punk verhielt es sich ähnlich. Punk war bekannt, doch war das damals zu so einer Fun-Nummer geworden, selbst Green Day konnte man nur bedingt ernst nehmen damals, mehr Hitlieferant und Spaßeulen als denn Sozialkritiker. Und ja, ich fing an Joy Division zu hören, weil Interpol mir den Weg dahin bahnten – nicht andersherum, was zeitlich logisch ist.
Der Zusammenhang ist von Belang, den derweil Singer/Songwriter und Post Punk schnell griffen, blieb Punk für mich Altherrenmusik. Billiges Skandieren von Stammtischparolen, angeblich links, eigentlich aber pubertär. Dass die Sex Pistols, die Ur-Punkband, am Reißbrett entworfen worden ist von einem Modemacher ist hinlänglich bekannt. Und so hörte es sich für mich auch an. Und dann kamen die Libertines und gaben mir “Up The Bracket”, aber so richtig. Ich habe nie zuvor und auch nie mehr danach so gut nachempfinden können was Punk in seiner ursprünglichen Form – nennen wir es gerne Proto-Punk – zu tun vermag. Warum es da ab Mitte der 70er Jahre eine Zeit gab, wo es kurz aufflammte. Wie Sau.
Ja, wie beim Post Punk Marke Maximo Park, Interpol und Bloc Party waren auch die Libertines des Jahres 2002 letztlich nur ein Revival, also Aufguss. Die Briten als zu spät geborene Kopisten abzutun ist jedoch so falsch, wie ähnliches über die Strokes zu denken, die Anfang des Jahrtausends kurz einmal als wichtigste Rockband der Welt galten. Eben, weil es nie nur Kopie war. Und die gesanglichen Ähnlichkeiten zwischen Julian Casablancas von den Strokes und Pete Doherty eventuell Zufall, aber auch ein gemeinsames Zeichen jener Jahre, jener Zeit sind. Etwas, was im Übrigen auch für die in den Charts unsagbar erfolgreichen Schweden von Mando Diao galt. Zu weiß, zu privilegiert, zu wohlstandsverwahrlost um so authentisch zu sein wie die Originale. Aber genau darum ging es, das war das Plus. Da schließt sich der Kreis, denn dass es ab Ende der 80er Jahre etwa findige Musikmanager brauchte, um weiße junge Rocker gefährlich scheinen zu lassen, ja, es spricht Bände. Warum, in den 70ern, John Lydon von den Sex Pistols als Hooligan sich bei Spielen von Arsenal London die Vorderzähne ausschlagen ließ, man versteht es. Warum Pete Doherty Kate Miss liebte und sich Schuss um Schuss setzte – Fragezeichen. … Antwort: Die frühen 2000er eben.
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Karten auf den Tisch: Mick Jones von The Clash produzierte “Up the Bracket” und es ist den Punkromantikern überlassen zu urteilen, welchen Anteil er an dem Resultat hatte. Meine Ahnung: einen großen, weil geringen. Klingt widersprüchlich, ergibt aber Sinn, wenn man sich The Clash anhört, die seinerzeit schon weit mehr waren als Punk, auch wenn sie sich prächtig dort einsortieren ließen. Und so war Mick Jones es, vielleicht, der den Libertines erklärte, worauf es ankommt: sich nicht vereinnahmen zu lassen von einer nostalgischen Idee. Taten nicht einmal The Clash, deren Musik Blues, Reggae, Dub beinhaltete. Was nun auch die Libertines beherzigten. Denn so simpel, knackig und Up The Bracket es auch klingt, musikalisch ist die Platte enorm vielschichtig.
“Boys in the Band”, in der Aussage so traditionell, deckt viel ab: vom Funk abgeleitete Riffs, Doherty auf der Spitze seiner abgenudelt und zugleich gefährlich wirkenden Sangeskunst – um dann in einem fast schon eloquent-eleganten mehrstimmigem Gesang zu enden, wie gemacht für zufriedene Leute. Der Track steht durchaus stellvertretend für das Album, auch für die zuvor beschriebene Attitüde der frühen 2000er, wohlstandsverwahrlost. Man ist zwar sauer, kultiviert genug, um derlei Harmonien aus dem Ärmel zu zaubern auch.
“Time for Heroes” hingegen gibt unumwunden zu, dass Doherty nicht nur Nostalgiker ist, sondern einer, der die Straße kennt. Er nahm in den frühen 2000ern an vielen linkspolitischen Demos teil, dass er von der Polizei in Gewahrsam genommen wurde und auch ordentlich auf die Mütze bekam von ihnen ist keine idyllische Erfindung, sondern belegt. Auch das half wohl, denn während sein charismatischer Mitstreiter Carl Barât stets den Anflug eines elitären Schönlings im Gesicht trug, war Doherty auf eine Art real, die schon beim Zuschauen wehtat. ….
Kritiker bemängelten schon damals, dass die Libertines und ihr Erfolg eher ins Reich guter PR mitsamt einem passenden Zeitgeist gehört. Doherty, drogensüchtig und krawallbereit bis zum Anschlag, Carl Barât hübsch genug für Posterboy, schmissige Lieder, wilde erfundene Rüpelgeschichten und dazu eine Covergestaltung, die mehr Politik vorgaukelte als drin war. Auch das: frühe 2000er eben. Und es stimmt, schaut man sich die Songs und Lyrics akribisch an, da geht es schon mehr ums Feiern, Drogen konsumieren, geile Weiber in geilen Pubs. Als denn um Rassismus oder Aufstiegschancen. Doch vielleicht ist es gerade das, was die Libertines zu einer so großartigen Punkband machten und Up the Brackets zu einem verspäteten Punkklassiker: Sie brannten nur ein Album lang. Und reihen sich damit ein in die Riege der meisten großen Punkbands, die nur ein Album lang brannten, loderten.
Etwas tiefer gedacht und mit Abstand, hatten die Libertines allerdings ein Problem, dass die Sex Pistols oder The Clash nie hatten: Sie wurden schneller bei der Musikindustrie beliebt als denn bei den sozial Abgehängten. Andere Zeiten eben. Dass die Libertines heute fast wie eine Castingband wirken, obschon sie nie eine waren, derweil die Sex Pistols nie wie eine wirkten, aber so eine waren, ist aus meiner Sicht Kern des Problems und auch Teil dessen, was zur schnellen Auflösung der Band führte: Das Korsett, in das gerade ihre Authentizität sie führte.
Als die Libertines sich trennten, 2003, ich erinnere mich, war ich stocksauer. Ich war eh spät dran, 26 Jahre alt, mit so etwas wie meine Generation. Ich ahnte damals wohl schon, dass jede Musikfangeneration eigene Stones braucht, abgehalfterte Meilensteine, die einen durch die Jahrzehnte schleppen. Wie es aktuell aussieht, haben Interpol und Maximo Park diesen Job übernommen und erfüllt. Tocotronic sowieso.
Nostalgisch denke ich aber zurück an das einzige Album, dass mir nahebrachte, was an Bullendresche auch mal spaßig, mal berechtigt sein kann. Wohl, weil es nie wirklich ernst gemeint war damit. Die Gründe für derlei idiotische Gedankengänge nicht Resultat soziologischer Verwerfungen waren, sondern Ergebnis von einem zu guten und zu sicheren Leben. Der Langeweile, dessen, der es ganz gut getroffen hat im Leben.
Frühe 2000er eben.
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Die bisherigen Folgen
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