David Wonschewski | Schriftsteller

Kulturjournalist – Romancier – bipolarer Bedenkenträger

Bekenntnisse eines bipolaren Bedenkenträgers. Heute: Nicht antimuslimisch, schlimmer – menschlich enttäuscht.

Da wurde ich vorgestern von offizieller Seite und über die Presse doch tatsächlich darauf hingewiesen, dass es bei aller Aktualität nicht die Zeit sei, gerade jetzt antimuslimische Ressentiments zu kultivieren, zu schüren, gar neue zu züchten. Dann wurde ich gebeten, auch nicht zu pauschalisieren. Nur eine minimale Minderheit arabischer Muslime hier in Deutschland sei so radikal, das barbarische Abschlachten von über 1200 Israelis durch die Hamas öffentlich zu feiern, Süßspeisen zu reichen dazu.

Ja ja, die Doofen sind noch immer die anderen. Es braucht aber auch die Schlauen, die sich diese Doofen halten. Und die sich dann durchaus mal fragen dürfen, warum sie das eigentlich tun. Also sich Doofe halten. Es war schon immer die Mehrheit, die die Minderheit am Nasenring durch die Manege führt. Ist es andersherum, darf die Frage danach, wer hier eigentlich der Doofe ist, neu gestellt werden. Genau das scheint mir hier der Fall zu sein.

Das erstere, das mit dem Kultivieren antimuslimischer Ressentiments, ist schnell decodiert: Natürlich ist gerade jetzt die Zeit dafür, denn wäre es gerade nicht die Zeit dafür, es müsste nicht extra betont werden. Das kennen wir von der Würde des Menschen, die unantastbar ist. Wäre die Würde des Menschen unantastbar, man müsste es nicht hochtrabend in jede Verfassung kloppen. Muss man aber. Weil es nicht real ist, eher eine Vision, die dem Sein des Menschen zuwider geht.

Und so bitter es ist: Eine so blitzsaubere Vorlage, derartige antimuslimische Ressentiments auszubilden als das, was am 07. Oktober 2023 geboten wurde, tja, wurde selten gegeben. Wer von anderen erwartet, dieses Abschlachten nicht zu einer fundamentalen Neubewertung zum Anlass zu nehmen, erwartet Unmögliches. Und duckt sich vor allem selber ab. Wer an den denkbar falschen Stellen lacht, gehört immer kritisiert. Hier wurde an der denkbar schlechtesten Stelle gefeiert, eine tiefergehende Charakterprüfung ist die logische und natürliche Folge.

Irgendwer muss hier auf die psychotherapeutische Couch und ich habe so eine Ahnung, dass ausnahmsweise nicht ich es bin.

Der zweite Punkt, von wegen nicht pauschalisieren, der erscheint kniffliger, ist es bei näherer Betrachtung aber nicht. Und da können gerade wir Deutschen mitreden. Drei NSU-Idioten und zwei weitere im Hintergrund haben vor einigen Jahren gereicht, um über 80 Millionen Deutschen global wieder den Stempel als Vollnazis aufzudrücken. War das überzogen, geschah das zu Unrecht? Nein. Denn je größer die anständige Mehrheit, desto desaströser die Gesamtbeurteilung. Wir sind Deutsche, wenn wir keinen Zugriff auf rechtsradikale Faschos haben, dann hat ihn niemand. Es war unsere Verantwortung, den NSU oder zumindest dessen Attentate zu verhindern. Haben wir nicht, also haben wir versagt. Uns als 80 Millionen Vollnazis zu sehen ist letztlich nur die Sprachkeule uns dieses Versagen um die Ohren zu hauen.

Der Begriff der Sippenhaft ist nicht per se Nonsens, er wurde dereinst aus gutem und hilfreichem Grunde ersonnen.

Auf Muslime aber haben wir keinen Zugriff, da sind wir als Deutsche und christlich geprägte Bürger letztlich zugriffs- und machtlos. Klar, wir haben den Staat, die Gesetze, aber das kommt immer erst, wenn es längst zu spät ist. Und wirkt aus Sicht des Delinquenten letztlich immer etwas oberlehrerhaft, nie real, kaum praxisbezogen. Nur eingewanderte Muslime haben Zugriff auf eingewanderte Muslime. Darum heißt es ja: Community. Die große Mehrheit der anständigen Muslime, diejenigen, die sich hier in Deutschland wirklich toll integriert haben (was immer das konkret auch heißen soll), die den Terror ablehnen, die keinerlei Probleme mit Juden und/ oder Israelis haben, die die Hamas widerlich finden – tja, sie haben versagt. Aber komplett. Die barbarische Attacke der Hamas kam so überraschend wie die Attentate der NSU, der Ungeist innerhalb der eigenen Community aber ist mittlerweile steinalt und verjüngt sich mit jeder neuen Generation aufs Neue.

Ich bin nicht empört oder erschrocken, wenn ich sehe, dass Muslime ihren antijüdischen Ressentiments freien Lauf lassen, sich aber davor verwahren, selbst Opfer von Ressentiments zu werden. Ich bin etwas viel Schlimmeres: zutiefst enttäuscht.

Der Wütende und der Empörte, die beiden kämpfen. Der Enttäuschte lässt los, ergibt sich der Perspektivlosigkeit. Wird zur stummen Mehrheit.

Links von der AfD krepeln sich Politiker und engagierte Bürgerinnen und Bürger seit Jahrzehnten daran ab, Ausländer, Migranten, Asylanten willkommen zu heißen. Und hier erwähne ich gerne zuvorderst jene, die ich innenpolitisch als Liberalkonservativer gerne mal anmetere: 68er, Grüne, Antifa. oder auch einfach nur Sozialpädagogen. Diese Menschen mahnen und warnen vor rechts, wo sie nur können und es gibt Gegenden, da wagen diese Menschen echt mehr, als sich einen fiesen rechten Spruch einzufangen. Um Einwanderern den Rücken zu stärken, freizuhalten. Nun ist es mal andersherum, diese Menschen, wir alle, bräuchten Muslime, die das für uns tun. Man nennt es Gemeinschaft. Ich selbst gehöre nicht zu den Menschen, die sich den Kampf gegen ausländerfeindliche Ressentiments zur Lebensaufgabe gemacht haben, aber ich bin mit dem Rucksack mehrere Wochen durch Palästina gereist, war mal Mitglied in der DPG, habe Islamwissenschaften studiert und Arabisch gelernt, auch ich habe meine 50 Cent in die Gemeinwohlkasse gezahlt, auf meine Art. Ich bin informiert genug, ich kenne auch die historischen Zusammenhänge, die politischen Gegenargumente der arabisch-islamischen Welt. Ich sehe den Konflikt als solchen gewiss nicht einseitig. Nach vier Wochen in Ramallah dachte ich – klingt zynisch, ist aber wahr – dass ich, müsste ich dauerhaft als junger Mann da leben, auch keinen Stein in die Hand bekommen dürfte.


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Darum aber geht es hier nicht. Ich frage mich: Kriegt die muslimische Community hier in Deutschland denn wirklich gar nicht mit, was hier schon vor der Hamas-Schweinerei abging? Dass die AfD gerade zur neuen Volkspartei wird, Deutschland sich an den Migrationswellen abmüht, die sogenannten bürgerlichen Kräfte alle Hände voll zu tun haben, Anstand und Vernunft die Oberhand behalten zu lassen? Ich verstehe deren Gemütslage und verstehe auch, dass einem Araber die deutsche projüdische Bekümmertheit fremd ist, das ist letztlich wohl nur menschlich. Ich arbeite mich ja auch bis heute am Schicksal meines Wehrmacht-Opas ab, natürlich dürfen auch Palästinenser das, müssen es wohl sogar. Ob es jeder Muslime und Araber (also die vielen Nicht-Palästinenser) dann automatisch mittun muss, hm, sehe ich anders. Das ist nicht Sippenhaft, sondern Korpsgeist der übelst verruchten Art.

Was ich aber nicht verstehe: Warum man nicht in seiner Bude bleibt. Da mit vier Freunden abklatscht, sich Süßigkeiten bis zum geht-nicht-mehr reinzwängt, dann gemeinsam zum Lachen in den Keller geht. Charakterlich immer noch daneben, aber eine andere Geschichte. Denn im Glauben, den Israelis oder Palästinensern mit ihrem hirnlosen Gefeiere etwas zu sagen, haben sie vor allem der deutschen Mehrheitsgesellschaft etwas gesagt: Wir sind keine Deutschen. Und haben auch nicht vor, welche zu sein. Wir tanzen auf euren Werten. Auf eurer Vergangenheit. Eure psychologischen Untiefen sind uns nur Heiterkeit. Und wir unterstützen euch auch nicht dabei euren deutschen Bioladen zusammenzuhalten, auch wenn es nicht viel dafür bräuchte, zumindest hier, an dieser Stelle ein einfaches wäre.

Ich wage eine steile These: Wenn die anständige muslimische Mehrheit nun aufsteht und was dagegen unternimmt, öffentlich das Wort erhebt gegen diese ehrabschneidende Vereinnahmung der Radikalisierten, das Damokles-Wort “Integration” ist vom Tisch.

Wer sich ein wenig mit der psychopathologischen Seite des Islamismus befasst, weiß, dass es hier auch um Minderwertigkeitskomplexe geht. Wir Westler denken zwar immer nur das Beste bezweckt zu haben, stimmt aber nicht, wir zogen über die Welt um zu unterdrücken. Für eine Weltidee wie die Islamische eine Demütigung. Nicht nur politisch, auch kulturell. Als bei uns dunkles Mittelalter war, war bei den Arabern Wissenschaft, Fortschritt, Toleranz. Das Einende ist auch der Islam, es ist aber auffällig, dass dieser bis in die 80er Jahre mitunter noch als sozialistische Idee daherkam, Frauen und Feminismus spielten eine größere Rolle, deutsche Feministinnen verzweifeln bis heute an diesem Zwiespalt. Mittlerweile ist er wieder patriarchal, klerikal, beleidigt und verschlossen. Nein, nicht alle, nicht überall. Aber: siehe oben.

Wir hätten da ein paar Kohlen im Feuer, liebe Muslime in Deutschland. Holt sie raus. Oder gebt uns zumindest das Gefühl, ihr würdet es versuchen. Nicht vergessen: Auch du bist Deutschland.

Ja oder nicht?

NAZIS IN NAHOSTHIER


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Dieser Eintrag wurde veröffentlicht am 22. Oktober 2023 von in Bekenntnisse eines bipolaren Bedenkenträgers und getaggt mit , , , , , , .
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