von David Wonschewski
Selten einen so düsteren Text gelesen. Selten so viel Todessehnsucht und Abkehr vom Leben, Ekel vor Liebe auf derart engem Raum erspürt wie hier. Und zugleich: so viel Poesie, soviel Mystik, so viel Träumerei und Surrealismus begegnet.
„Es gibt im Leben Wunden, die wie die Lepra, langsam, in der Einsamkeit an der Seele zehren.“
So beginnt die “Blinde Eule”, das Haupt- und Meisterwerk des Iraners Hedayat. Ein Satz, der nicht nur den lebensunfähigen, zu Paranoia und Visionen neigenden Protagonisten charakterisiert, sondern auch Hedayat selbst. Der war zwar als hochbegabter Spross einer aristokratischen persischen Familie in Teheran aufgewachsen, übersetzte Werke von Tschechow, Rilke, Poe, Schnitzler, Sartre und Kafka – kam aber mit dem Leben kaum besser klar als der Hauptakteur in der “Blinden Eule”, verabschiedete sich 1951 in den Suizid.
Im Roman sind Szenen und Erinnerungen oftmals rauschartig ineinander verflochten, sodass sich keine klare dramaturgische Handlung kaum nacherzählen lässt. Umgeben von einer – wie er denkt – besitzergreifenden Stiefmutter und einer – wie er glaubt – Ehefrau, die ihn nicht schätzt und schon gar nicht liebt – flüchtet sich der namenlose Schreibetui-Maler in die Abkehr, Einsamkeit und selbst gewählte Krankheit. Seine Gedanken sind abwechselnd geprägt von Angst, Hass und Furcht, beständig erlebt (oder träumt?) er Dinge bar jeder Erklärung, nimmt seinen eigenen Verfall wahr, sieht sich verfolgt von grausam lachenden, hässlichen Greisen. Und entwickelt selbst einen Hang zu Gewalt, der erste Leichnam pflastert seinen Weg:
“Ich zögerte nicht länger. Ich holte ein Messer mit Knochengriff, das sich in der Kammer befand. Zuerst schlitzte ich mit unendlicher Vorsicht das dünne schwarze Gewand auf, das ihren Körper gefangenhielt wie ein Spinngeweb, den einzigen Schleier, der sie bedeckte. Sie schien größer geworden zu sein. Ich fand sie von größerem Wuchs als bisher. Dann schnitt ich ihr den Kopf ab; ein paar kalte, geronnene Blutstropfen kamen aus ihrer Kehle; zuletzt trennte ich ihr Arme und Beine ab. Rumpf und Glieder legte ich wohlgeordnet in den Koffer; ich bedeckte sie mit ihren Kleidern, ihrem schwarzen Gewand. Zuletzt schloss ich den Deckel und steckte den Schlüssel in die Tasche. Als dies getan war, seufzte ich erleichtert auf.”
Wer bei Poe und E.T.A. Hoffmann das Schaudern kriegt und wenn bei Kafka die seelische Beklemmung an der Kehle packt, sollte Hedayat lesen. Es mag sich ein wenig sarkastisch lesen, aber es scheint: der Mann wußte, warum er verfrüht und freiwillig aus dem Leben schied. Und so schrieb er auch. Um so beeindruckender, dass Hedayat – nicht zuletzt dank seiner “Eule” als moderner iranischer Klassiker gilt.
Wenn der depressive Musikredakteur den selbstverliebten Radiomoderator erschlagen möchte.
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