David Wonschewski | Schriftsteller

Kulturjournalist – Romancier – bipolarer Bedenkenträger

Bekenntnisse eines bipolaren Bedenkenträgers. Heute: Und wenn, am Ende aller Tage, auch ich nur ein hundsgewöhnlicher Popschlamperich bin?

von David Wonschewski

Erst seit ich, unschwer erkennbar, über ein eigenes prä-seniles Discozimmer verfüge und, auch brandneu, einen Vinylplattendreher, werde ich richtig seltsam. War ich psychopathologisch besehen wohl schon immer, neuerdings aber auch kulturell. Zum Beispiel habe ich mir 2006 die zehn größten Rolling Stones-Alben auf CD gekauft, fand sie aber allesamt sehr altherrenrockig, fast schon “booring”. Vor paar Wochen aber das Vinyl der 1966er Aftermath für paar Euro geschossen, Nadel drauf – geil! (Exakter Erfahrungsbericht: HIER) Keine Ahnung, ob das Sinn ergibt, oder ob es nur zeigt, dass sich in Kunst & Kultur Logik zu Unlogik verkehrt und vice versa. Der Sinn daran der Unsinn darin ist, Katharsis den Wahnsinn braucht etc. Oder ob ich einfach nur eine akademisch klingende Ausrede dafür suche, dass ich nunmehr ins Alter komme, in dem man die Stones schonmal aufregend finden kann.

Die LP auf dem Foto, “Turn Back The Clock” von Johnny Hates Jazz aus dem Jahr 1987, die hätte ich mir natürlich nie selbst gekauft. Habe ich dann aber. Aus dem simplen Grund, dass ich mir sowas nie kaufen würde. Und nun, Völker der Welt, schaut auf dieses Foto! Sogar ablichten lässt er sich damit. Um es vorneweg zu sagen: Die Platte ist schwer zu kriegen, wurde nie neu aufgelegt, seit Vinyl wie Zombie seinem Grabe entstieg. Und wahnsinnig gutgeil ist sie auch. Hätte ich mir als CD nie gekauft, auf dem eitlen Vinylmarkt der Abgegriffenheiten aber – wow. Und ich frage mich das echt: Ist es das Vinyl, dass den Wert erkennbarer macht als die CD? Oder ist es andersherum, war ich schon immer eine Popchartsschlampe, so quergeschossen auf Ebay und auf Vinyl traue ich mich aber erstmalig dazu zu stehen? Mein bester Kumpel aus Berliner Zeit, also vor etwa 12 Jahren, würde sagen: Es ist das Cover, adrette hübsche Jungs in Anzügen waren schon immer dein Ding. Verdrehte Hetoreromaskulinität ( ich kann das Wort nicht einmal schreiben, so nervös bin ich) sozusagen, die Stones als Overstatement, Johnny Hates Jazz als Understatement. Würde ich dieser Theorie nun zustimmen, ich wäre wohl zeitgeistig woke. Wobei ich den Style der drei Jungs da echt ganz smooth finde.

Johnny Hates Jazz hat drei große Hits: Shattered Dreams, I don’t wanna be a hero und eben Turn back the Clock. Alles so um 1988. Mal reinhören? Ganz unten ist ein Clip eingebunden. Und als popkultureller Theoretiker frage ich mich schon, warum ich z.B. heutige Popstars wie Ed Sheeran oder Adele oder diese Blonde aus den USA, deren Name mir nicht mal einfällt, die aus dem Country kam…ehm…furtzboring und Plastik finde. Ich habe es echt versucht, ich höre da nix, ich spüre nix. Ich höre nur Geldgeilheit, die die Naivität junger Menschen ausnutzt.

Hätte ich das vor zehn Jahren schon gut gefunden, was Johnny Hates Jazz da taten? Hm. Gewiss nicht. Warum also jetzt? Simple Nostalgie, 1988 war ich 11, eventuell? Auch, aber nicht hauptsächlich. Ich glaube mir gefällt dieses betont britische, dass es in der Popmusik jener Tage gab. Im Outfit -die Band Hurts versuchte sich vor diversen Jahren an einem temporär erfolgreichen Revival. Selbst Boybands wie Bros oder Brother Beyond trugen diese Mode, Hemden, die den Adamsapfel zerquetschen, Popperscheitel, hochgekrempelte Jeans, klobige Schuhe. Selbst Jason Donovan stockaitkenwaterman-te sich so zum Star, Rick Astley sowieso. Es heißt, die Grenzen zischen Indie und Mainstream seinen neuerdings nicht mehr so stark gezogen. Ich sehe das anders, sie sind stärker gezogen denn je. Die neuen Popstars sind vom Outfit her, von den Clips her oft Indie, progressiv, woke. Pop stand ja mal für konservativ, tut es nicht mehr. Zugleich sind hinter der Optik aber die Aussagen schwächer geworden.


Wenn der depressive Musikredakteur den selbstverliebten Radiomoderator erschlagen möchte.

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Natürlich ist I don’t wanna be a Hero genauso wenig Punk wie ein feministischer Song von der Blonden aus den USA da, ich komme immer noch nicht auf den Namen, Rekorde hat sie, Rekorde Rekorde Rekorde. Es scheint mir aber eine kapitalisierte Emanzipation zu sein.

Oder ich bin ein Kolonialist. Einer, der lieber so tut als wünsche er sich die britische Kulturhegemonie zurück als denn zuzugeben, dass er drei schmucke adrette Typen gut findet, die was von Love singen.

Weitere bipolare Bekenntnisse (bitte nicht verwechseln mit bisexuellen Bekenntnissen, was öfter passiert als man gemeinhin glaubt) – HIER.

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Ein Kommentar zu “Bekenntnisse eines bipolaren Bedenkenträgers. Heute: Und wenn, am Ende aller Tage, auch ich nur ein hundsgewöhnlicher Popschlamperich bin?

  1. diespitzedeseisbergs
    16. Oktober 2023

    Hab die Platte (Johnny hates Jazz) damals geschenkt bekommen und fand sie klasse. Finde ich übrigens bis heute. Über den Look lässt sich streiten 🙂

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