von David Wonschewski
Ach, ich bin so leicht auszurechnen. Da lauschte ich im Deutschlandfunk einer Buchbesprechung zu Frank Rudkoffskys neuem Roman “Fake”, hörte, dass es ein nettes, aber thematisch arg zerfasertes Buch sei, gewissermaßen weder Fisch noch Fleisch. Und war im Grunde schon weg, hatte mich längst entschieden dieses Buch nicht zu erwerben. Und dann sagte der Herr Hörfunkrezensent doch tatsächlich was von einer fragwürdigen politischen Botschaft, die dieses Buch aussende. Sinngemäß sei “Fake” daher ein latent übles Machwerk, mit Vorsicht zu genießen.
Schwupp, war ich wieder im Boot, zack: gekauft, gelesen. Even bad promotion is good promotion.
Der Plot von “Fake” ist schnell erzählt: Sophia und Jan sind Mitte zwanzig, wollen Karriere machen, wollen die Welt sehen, wollen Geld und Abenteuer. Doch dann wird Sophia ungewollt schwanger, beide möchten das Kind eigentlich nicht bekommen, empfinden es als üble Störung, zu früh, zu viel – und kriegen es dennoch. Jan hatte sein Unbehagen deutlich formuliert, Sophia sich, eigenmächtig und spontan, dann doch dafür entschieden. Obschon anderer Meinung hatte Jan sich hundertprozentig hinter seine Freundin gestellt, mit der Geburt ist es dann aber zuvorderst Sophia, die sich als Gedeppte fühlt. Jan aber auch, denn: Sophia hat bereits einen fulminanten Job bei Mercedes, heftiges Karrieredings, nicht mal die mütterliche Auszeit vermag es sie da rauszukegeln. Jan hingegen ist Journalist, beziehungsweise will so einer werden. Derweil Sophia zu Hause hockt und widerwillig und angenervt den Säugling aufpeppelt, schreibt und läuft und klinkenputzt sich Jan die Hacken ab, um auch so etwas wie eine Karriere hinzukriegen. Und scheitert. Es kommt was kommen muss: Mit Ende des Mutterschutzes findet Sophia, dass nun aber sie “mal dran” ist. Wenn Jan eh keine Kohle verdient und zu Hause rumsitzt, kann er sich doch auch bestens ums Kind kümmern. Und Jan denkt: Es geht doch schon immer nur um ihre Wünsche, um das was sie will. Das Kind, überhaupt Stuttgart, wohin er ihr zuliebe gezogen ist. Weg aus Berlin, wo für Medienschaffende immer was geht, direkt ins Loch, ins eigene Karriere-Abseits. Er ist dran, seine Zeit muss endlich mal anbrechen – nicht schon wieder nur ihre Zeit!
Das ist der Hauptstrang des Buches und der gelingt Rudkoffsky unfassbar gut. Ein junges, aufgeschlossenes Paar, ausgestattet mit allen Perspektiven, allen Möglichkeiten – schafft es einfach nicht die Weichen positiv zu stellen. Frei nach dem von Rudkoffsky wiederholt eingeflochtenen Bonmot: Die Welt stand uns offen – und wir entscheiden uns für Stuttgart!
Ja, dieser Erzählstrang hat alles, was das – mein – Herz erfreut. Die Erkenntnis, dass absolute Freiheit die größte aller Fesseln ist, das Wissen darum, dass selbst die größe Liebe nicht vor Egoismus schützt. Und das Gleichberechtigung niemals festgelegt, in irgendeiner Form für alle Menschen und alle Zeiten ausformuliert werden kann. So schön das auch wäre. Sondern permanent neu verhandelt werden muss, nicht nur vorm Partner, sondern auch vor sich selbst. Durchaus wohltuend auch, dass Rudkoffsky – der den Roman wechselnd aus Sicht von Sophia und Jan erzählt – seine weibliche Protagonistin ungehemmt über das mitunter arg ätzende Dasein als Mutter herziehen lässt. Das mag in der Tat nicht jedem behagen, am Heiligenbild “Mutter” lässt man ungern herumkratzen, schon gar nicht einen männlichen Autor. Vielleicht aber ist genau das wichtig, vielleicht genau das hilfreich. Einmal ungefiltert darzustellen, dass Mutterschaft nicht nur Erfüllung und Glück und einen Aneinanderreihung schöner Momente sind. Sondern ein Kampf um Identität, ein stetes Ringen darum die eigene Persönlichkeit sich nicht vollkommen zerbröckeln zu lasen:
“Seit meiner Geburt war meine Vagina ein Unfall, unmöglich wegzusehen. Neunzehn Stunden hatte Max sich Zeit gelassen, am Ende musste er dann aber doch mit dem Kopf durch die Wand und alles einreißen, was sich ihm in den Weg stellte. Wie ein Rockstar ließe er beim Auschecken nichts als Verwüstung zurück.”
Womit wir beim zweiten Erzählstrang wären: Auf die eigene Art stockfrustriert, suchen beide ihr Heil im Internet. Und in Fake-Accounts. Sophia, eine Führungskraft in spé, schafft sich ein gutes Dutzend davon an und entdeckt ihre Fähigkeit der Manipulation. Ergötzt sich daran anonym durch diese und jene Foren zu reiten und immer das zu sagen, was dort unangebracht ist. Andere Menschen gegeneinander aufzuhetzen, unangepasst zu sein, aufzubegehren, nicht immer nur zu tun was von ihr erwartet wird. Schluss mit nettes Mädchen! Es ist wie es ist: sie trollt. Sagt Jan aber nichts davon. Der wiederum entdeckt ein Thema, auf dass er sich journalistisch setzen könnte: Pegida, Wutbürger. Legt sich ebenfalls ein Fake-Profil an, mischt sich unter Rechtsradikale oder Rechtsgesinnte oder Nationale oder wie oder was auch immer das nun ist, was da in Dresden mitläuft und brüllt. Doch nicht nur das: Jan trifft Leute aus “der Szene”, entdeckt, dass es gar nicht einmal eine “Szene” ist und dass dort Menschen mit alltäglichen Problemen laufen, Menschen, denen es nach persönlichen Schicksalsschlägen wesentlich schlechter geht als ihm. Jan läuft bei Pegida mit, denunziert vor Ort einen erfolgreichen Journalisten der taz, der selbst inkognito mitläuft, was dazu führt, dass selbiger von zwei Radikalen ein wenig härter angegangen wird, die dann jedoch zurückgehalten werden von, wir ahnen es: Pegida-Leuten. Jan versucht mehrfach, den vermeintlichen Wutbürgern ausländerfeindliche Sprüche zu entlocken, was ihm jedoch nicht gelingt, geben sich diese doch allesamt zahm und menschlich, nachvollziehbar. Und nicht einmal Pegida-Gründer Lutz Bachmann will so mies wegkommen wie man es sich wünscht. Dennoch schreibt Jan seinen Artikel – und zwar so wie er es gerne lesen will, wie die aufgeklärte Presse ihn haben will. Stellt Pegida-Anhänger als rabiate Ausländerfeinde hin, obschon er es anders mitbekommen hat. Und ihm gelingt damit ein Erfolg, TV und Presse reißen sich um ihn. Doch so richtig Freude hat er nicht daran, denn die Rechten beginnen ihn als Nestbeschmutzer zu verfolgen und die billige Hofierung der Mitte und der Linken, die schmeckt einfach nur schal, widerwärtig.
Dieser Strang ist es, der dem Deutschlandfunk offenbar aufstößt: dass einerseits die menschliche Seite von Pegida-Anhängern hervorgekehrt, andererseits mit der beifallheischenden Widerlichkeit der ach so aufgeklärten Mitte zugleich hart ins Gericht gegangen wird. “Sich eindeutig distanzieren von” – jenes zu luftleerer Phraseologie verkommene Selbstvergewisserungsschlagwort der Anständigkeit, nein, das ist so gar nicht Rudkoffskys Sache. Mir selbst will Rudkoffskys Art und Weise der Schilderung dabei keineswegs negativ zu denken geben, im Gegenteil: Nicht nur gelingt es ihm sehr plausibel diverse Wendungen aus Fake und Gegenfake darzustellen, die darin münden, dass schlussendlich keiner mehr weiß was gut und was schlecht ist, wer zuerst und wer als letztes gelogen hat, was anständig ist und was sich einfach nur anständig gibt, in Wahrheit aber bigott und selbstverliebt ist. Nein, Rudkoffsky bildet auch sehr gekonnt ab, wie es einen einzelnen Charakter wahrlich zerreissen kann, so er empathisch einmal nach links und nach rechts hört, es zumindest einmal auf einen Versuch ankommen lässt ohne ideologische Scheuklappen unterwegs zu sein. Klar, das kann man etwas “arschlos” finden, wenn sich ein Autor weigert deutlich Position zu beziehen. Ich persönlich finde es wichtig und mutig, was Rudkoffsky dort betreibt.
“Fake” ist ein in einfacher Sprache gehaltenes, auffallend flüssig zu lesendes Buch, ein regelrechter Pageturner, den ich in anderthalb Tagen durchgesuchtet habe. Die einfache Sprache konterkariert dabei mitunter die diversen gewichtigen Themen des Buches, man ertappt sich dabei Sehnsucht nach etwas mehr Tiefgang zu entwickeln, sich einen doppelten Boden zu wünschen, den Rudkoffsky jedoch nicht bietet. Und so mitreißend die Story auch ist, so klug die Darstellung diverse Fake-Formen hier gerät, auch ich habe ab und an gedacht, dass es sich hier ein Autor vielleicht doch ein wenig zu einfach macht, hier diverse himmelschreiende Sachverhalte mal eben zu einem Brei zusammengepappt hat. Was in der Folge zu einer Verdichtung führt, die daran scheitert sehr plausible Einzelteile zu einem plausiblen Ganzen zu vermengen.
Zu den melancholisch-sarkastischen Romanen von David Wonschewski – HIER entlang.
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Hm. Mir ging es mit der Rezi, wie dir mit der Radiosendung. Dieses Anti-Kind-Gedöns ließ mich fast aufgeben. Aber diese endlich mal nicht so einseitige Sicht auf Pegida – ja, die lässt staunen.
Dieser Jan ist also eine Art von Spiegelschreiber a la Claas Relotius.
Ich schwanke, ob ich das Buch nu doch lesen sollte.
Diese Anti-Kind-Sicht, weil Karriere und Welt sehen- Blabla. Nun ja. Kennt man aus den Medien.
Im Bekanntenkreis blieb ich von dieser Spezies bisher verschont.
Ich hab meine beiden Kinder haben wollen und nicht bereut.
“…für Stuttgart entschieden.” Wie man hört und liest, soll Stuttgart häßlich sein. Und dann reißen sie noch ihren eigentlich alt ehrwürdig chicen Bahnhof ein. Tja. Jeder wie er kann.
Nun ja. Ich versteh diese haltlosen Reiselüstlinge eh nicht.
(Siehe “Mann aus Allemanya”): 20 Länder in 30 Tagen; immer Hotel und small Talk mit dem Kellner und dem Souvenirverkäufer. So lernste dann “den Spanier” oder “den Thai” aber so richtig kennen! Wiederkommen und nix kapiert von der Welt. Aber alles besser wissen wollen.)
Einen Scholl-Latour lesen, spart mehrere tausend Euro, und eröffnet Horizonte – die dich den Kopf schütteln lassen, über die galoppierende Ahnungslosigkeit unserer Tage.
“Man weiß am Ende aller Reisen, doch immer nur die Erde rund.” (André Heller)