David Wonschewski | Schriftsteller

Kulturjournalist – Romancier – bipolarer Bedenkenträger

Bekenntnisse eines bipolaren Bedenkenträgers. Heute: Warum es mehr offen homosexuelle Fußballspieler braucht – ja, warum eigentlich?

von David Wonschewski

In der Fußball-Bundesliga, so heißt es allenthalben, wären mehrere, vielleicht sogar viele homosexuelle Männer. Man erfährt es nur nicht, weil die alle nicht den Mut haben sich zu outen. Das sei nachvollziehbar und sage Trauriges über uns als Gesellschaft aus, heißt es weiter – dennoch sei es supermegawichtig, dass die sich outen wollen, sich outen können, es endlich tun. Warum das so supermegawichtig ist, erfährt man selten, ahnt es mittlerweile aber: Von wegen Zeichensetzen und so. Sie wissen schon, das aktuelle Lieblingshobby der Deutschen. Für Werte eintreten mittels luftig-leerer Symbolik. Und nein, ich mache mich nicht lustig und echauffiere mich auch nicht: Ich hörte von Mitbürgern, ach was sage ich denn: lieben Freunden! – die nachts kaum noch in den Schlaf finden. Bei dem Gedanken, dass da lauter Heteros über den Bundesliga-Rasen büffeln. Und eben ein paar versprenkelte heimliche Schwule. Ich weiß nicht, was für diese Mitbürger schlimmer ist, der Gedanke, dass da vielleicht eben doch gar nicht mal so viele Homosexuelle sind, der Heteroschuppen wahrhaftig ein solcher ist – oder das Wissen darum, dass man keinen Schimmer hat, wer es denn nun ist, so denn da welche sind. Und es müssen doch welche da sein. Es müssen!! Festzuhalten ist, offenbar ist es wichtig, dass da welche sind. Weil wenn da keine sind, dann irgendwas doof ist, kaputt. Oder so.

Sie merken schon: Nah an der Paranoia gebaut, diese seltsame Sehnsucht nach möglichst vielen sich outenden Personen öffentlichen Interesses. Wobei das Interesse in anderen Branchen nicht so ausgeprägt ist, der Männerfußball muss so gesehen eine besonders wertvolle Attitüdenbastion sein, die es dringlichst einzunehmen gilt. Nun, wäre ich so drauf, ich würde wohl auch mies schlafen. Ich für meinen Teil aber schlafe ziemlich gut. Eben, weil sich da keiner outet. Die homosexuellen Fußballer, die es gewiss und gottlob gibt, einen Teufel tun und einem Trend hinterherrennen, der von Leuten entfacht wird, die eh nicht die Birne oder die Hacksen hinhalten müssen. Die sich oftmals im Übrigen ganz allgemein nicht die Bohne für Fußball interessieren. Dafür umso mehr für Tortendiagramme.

Beim Damenfußball gilt es wundersamerweise als verpönt. Man stelle sich einmal so eine Initititive vor, jemanden, der sich live im TV wünscht unsere Nationalheldinnen würden mal offenlegen wie sie denn privat intim so drauf sind. Da wäre hier aber was los! Bei den Männern geht das nicht nur, sondern ist, genau: supermegawichtig. Für mich ein ziemlich eindeutiger Hinweis darauf, dass es hier nur bedingt um Schwulenrechte geht. Sondern mehr so eine antipatriarchale Nummer ist. Die man halt gerne auf dem Rücken von homosexuellen Fußballern ausgetanzt sähe. Ist halt keine Statue, so eine Fußball-Bundesliga. Kann man nicht mal eben fix in die Themse werfen.

Zugegeben, ja, es mag an meiner eigenen geistigen Beschränktheit liegen, dass ich dieses permanente Zeichensetzen und arg plakative Wertevertreten mittlerweile als ziemlich kontraproduktiv in Sachen echtem Fortschritt und wirklicher Veränderung erachte, und das ist auch gerne mein persönliches gesellschaftsphilosophisches Problem. Warum dieses sich outen supermegawichtig ist, raffe ich aber auch dann nicht, wenn ich mich rausnehme und hochempathisch in „die anderen“ hineindenke. Wenn ich mir zum Beispiel vorstelle, ich wäre so ein homosexueller Fußballstar, würde ich mich jetzt, im Jahre des Herrn 2023, outen? Nein, mit Sicherheit nicht. Und ich würde auch jedem anderen solchen davon abraten, das zu tun. Allerdings weniger aus Sorge vor Hetzern und Hatern, Ewiggestrigen. Nein, auf traditionelle Idioten und plump argumentierende Hinterwäldler kann man sich halbwegs einstellen, tut man als Betroffener doch eh schon seit Lebzeiten. Ganz schlecht klar käme ich mit denen, die es eigentlich gut mit mir meinen – oder zumindest denken, es zu tun. Ja, oder glauben Sie echt, nach meinem Star-Outing würde mich der woke Teil der Gesellschaft in Ruhe kicken lassen, mich nur noch nach meiner Leistung bewerten?! Mit. Sicherheit. Nicht. Binnen weniger Tage würde ich doch zum Grüßaugust ihres Achtsamkeitszirkus instrumentalisiert werden, mit einem Male wäre ich Wonschibär, der am Nasenring durch die Anständigkeitsmanege gezogene Dribbeltanzgrizzly. Eine Attraktion, ich bekäme Einladungen hierhin und dorthin, dürfte mit meiner Visage für dieses Tolle und jenes Großherzige stehen. Vermutlich würden sogar meine Chancen steigen, einen Anruf von Hansi Flick zu kriegen, so grenzdebil wie der DFB pr-mäßig in Katar drauf war. Zurecht, mit einem wie mir wirkte man gleich nicht mehr ganz so doof auf dem moralinsauren Mannschaftsfoto. Vermutlich kämen nach meinem Promi-Outing sogar dauernd Leute zu mir, nur um mich zu umarmen, mir zu versichern, dass ich ein ganz ganz wertvoller Mensch sei oder mir buddhamäßig über den Wanst zu streicheln. Weil ich ja so wunderbar schwul sei. Mir würden, jede Wette, dauernd fremde Leute ungefragt und fettbackig grienend erzählen, wie tolerant sie selbst seien und ich würde blöd zurück grienen, mich aber insgeheim fragen, ob ich mich jetzt bedanken soll und wenn ja, wofür nochmal?! Das wäre dann auch exakt der Zeitpunkt, an dem ich mich, mit Verlaub, übergeben würde. Offen schwul leben, gerne. Aber sich outen? Nein, danke.

Wären nur „die Rechten“ das Problem, ich täte es vermutlich. Vielleicht auch, wenn die Kickerkarriere in Sand gesetzt ist und ich nicht einmal mehr Angebote aus der Saudi-Liga kriege, ich einen finanziellen Plan B als hipper Influencer brauche. Aber sonst, ne.

Vor einigen Monaten las ich ein Interview mit einem homosexuellen Filmregisseur, der ordentlich gegen Hollywood auskeilte. Weil die mit Blockbustern wie „Brokeback Mountain“ oder „Green Book“ etc. Diskriminierung, sagte er, eher befeuern, als solche zu bekämpfen. Schwulsein, meinte er, werde nur prämiert, wenn es das totale Drama ist, wenn rundherum alle total feindlich und aggro sind, wenn es am Ende ordentlich heroisch wird und dauernd von Geigen untermalte Pathossätze fallen wie: Sei einfach der, der du bist! Tut dir der Schwule oder Farbige nicht ordentlich Leid, bringt er dich nicht Minimum zum Lachen, dann kommt er auch nicht rein in den Film. Weil wozu? Und wenn bei der Oscar-Verleihung die ganze Mainstream-Mischpoke mit ganz gerührten Fratzen standing ovations gibt, sich aber eigentlich mal wieder nur selbst abfeiert, ist der Anstand nun wirklich komplett im Eimer, wütete er. Ein hilfreicher schwuler Film sei ein Film, wo Homosexualität kein Thema ist, nicht wichtig für den Plot, schon gar nicht für die Tragödie oder den Spannungsaufbau, von Humor ganz zu schweigen. Da sind einfach ein oder zwei schwule Paare in der Handlung, die wiederum mit Homosexualität nichts zu tun hat. Es gibt den ganzen Film über keine Homo-Hetze, keinen fiesen Spruch, auch kein „seit ich lebe, werde ich diskriminiert!“-Geheule. Die sind da einfach, er Anwalt, sein Mann repariert Autos und schmeißt den Haushalt. Frei nach dem Motto: Hier gibt es nichts zu sehen. Gibt es nämlich auch gar nicht.

Weil Schwule, und nun festhalten, surprise, steile These nach unten – nie zuvorderst schwul sind. Das ist da, Teil der Identität, klar. Aber nicht so charakterprägend, dass es ins Schaufenster gehängt werden muss.

Mir sprach der Herr aus der Seele, musste ich ihm doch zu meinem eigenen Bedauern recht geben. „Brokeback Mountain“ hat mich zuvorderst John Wayne und dem Marlboro Man nahegebracht. Eine richtige Macho-Klatsche habe ich durch den Film gekriegt. Und „Green Book“ ließ mich Dank einer Meisterleistung von Viggo Mortensen mit dem Bedürfnis zurück, mich noch mehr mit US-Italos und ihrem patriarchalen Ostküsten-Mackertum beschäftigen zu wollen. Auch das Sibylle Berg-Fiasko „GRM“ zählt dazu. Das Buch hatte sehr offensichtlich (auch) die Intention auf fiese maskuline Züge zu verweisen. Leider aber hat kaum ein Buch in mir den Wunsch befördert, ab jetzt selbst so ein richtiger toxischer Sack zu werden. Einfach weil es in der Täter-Opfer-Beschau zu nuancenschwach war, mit der Brechstange alles wollte, entsprechend nichts hinbekam.

Nun könnte man abschließend darauf verweisen, dass ich leicht reden habe, als nicht Betroffener. Dabei bin ich doch betroffen, ich bin die Mehrheitsgesellschaft. Es sind letztlich Leute wie ich, die mitgenommen, überzeugt werden sollen. Und das funktioniert garantiert nicht mit mehr schwulen Outings im Profifußball, das geht nach hinten los, für alle Beteiligten und Nicht-Beteiligten. Aber was beschwere ich mich, der depressive Teil meiner bipolaren Ader ist per se etwas konservativer als der Maniker. Soll ja auch supermegawichtig sein, dass Frauen Männerspiele kommentieren, diese sogar pfeifen.Ganz ehrlich? Ist es nicht, es ist okay, es ist egal im allerbesten Sinne. Sobald es supermegawichtig wird, ist es falsch.

(kleiner Zusatz: Teile dieses Textes werden sich auch in meiner dieser Tage veröffentlichten Besprechung zum neuen Bret Easton Ellis-Roman “The Shards” finden. Durch den erst “kam ich drauf”).

Lesen Sie auch: „Suizid war gestern. Von einem, der sich erst all seiner Möbel, dann seines Ich-besoffenen Lebens entledigte.“ / Auszug aus dem Roman „Blaues Blut“ von David Wonschewski HIER.

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