David Wonschewski | Schriftsteller

Kulturjournalist – Romancier – bipolarer Bedenkenträger

Bekenntnisse eines bipolaren Bedenkenträgers. Heute: Meine Zahnärztin hat mit mir Schluss gemacht.

von David Wonschewski

Meine Zahnärztin hat mit mir Schluss gemacht.

Ich weiß, was Sie nun denken. Das gleiche wie ich. Dass so ein toller Anfangssatz doch in einen Roman gehört, in so einem Posting aber regelrecht verschleudert ist. Stimmt. Ist aber nicht das Einzige, was stimmt. Was auch stimmt ist, dass meine Zahnärztin wirklich mit mir Schluss gemacht hat. Nach zwei Psychotherapeutinnen, die mit mir Schluss machten, nun also die erste dentalbegabte Person.

Ach, ach. Die einen schauten mir in die Seele, die andere in den Mund – und nahmen Reißaus. Ach, ach.

Verstehen Sie mich nicht falsch, ich stelle mich auf den Kopf, schiele, lasse die Rollläden herunter, mache alles duster – und erkenne da immer noch ein Muster. Als bipolarer Mensch neigt man ja zu einer Überpathologisierung seiner selbst, aber das hier kreischt doch regelrecht nach Analyse. Muss ja nicht gleich auf Freud-Niveau sein, hier, dieser TV-Lumpi tut es auch, Precht oder wie der heißt. Super Typ, kocht zwar auch nur mit Wasser, aber verständig schauen, sich durch die langen Haare fahren, intellektuell aufgeblähten Mist von sich geben, nein, das kann keiner so gut wie er. Und da er ein Kerl ist, irgendwie, würde er die akademisierte Ahnungslosigkeit mit Sicherheit immerhin zu Ende bringen.

Ich bin aber auch doof. Mache mich seit jeher lustig über Frauen, die zu einem Frauenarzt gehen, also einem Kerl. Und was mache ich seit Jahr und Tag? TherapeutIN. ZahnärztIN. Ich fühle mich bei Frauen in Sachen Gesundheit einfach besser aufgehoben. Klischee? Hm. Ich denke, die sind ehrlicher. Im Sinne, dass die mich nicht verstehen. Nichtmal bei Karies. Nicht verstanden zu werden ist oftmals heilsamer als alles Verständnis der Welt. Vielleicht drückt sich da aber auch doch was Toxisches aus. Sie wissen schon, die Frau als neverending Trümmerfrau, kachelt den Schrott aus Seele und Gebiss weg. Natürlich war ich auch schon bei Männern. Aber die sind öde, die wissen immer sofort was los ist, binnen 15 Minuten hat man einen Wisch in der Hand und wird aus der Praxis komplimentiert. Ts. Muss man auch aus versicherungstechnischer Sicht sehen, ich zahle doch nicht zu, um so gar kein Entertainment zu haben.

Dennoch, allein dieses beständig-bornierte Therapeutinnenausgewähle werde ich gewiss zum Gegenstand meiner nächsten Therapie bei einer weiteren Therapeutin machen. So geht das gewiss bis an mein Lebensende, die Nachfolgerin darf immer den Mist der Vorgängerin ent-traumatisieren. Andere spielen zweimal die Woche Doppelkopf oder werden Eltern, ich mache halt das.

Nein, das wird nun kein Gejammer. Denn wie immer ist die Wahrheit komplexer. Denn wenn ich so darüber nachdenke, hm, vielleicht habe auch ich Schluss gemacht mit allen oben Genannten. Ich halte es für möglich, dass nicht meine Dentistin, sondern ich die Schuld an unserem romantischen Karies-Aus trage. Wie man das halt so macht als Mann, man benimmt sich einfach so lange daneben bis ihr endlich der Faden reißt. Sie auskreist, sie zornig ruft: “Ich bin doch nicht dein Heiopei!”. Und man moderner Mann genug ist, sich beim rückwärts Hinausgehen zu erkundigen, ob es nicht genaugenommen “Heiopei-in” heißen müsste. Oder zumindest “Heiopeiende”. “Heiopei mit Uterus” ginge auch, las ich (ohne Witz) dieser Tage. Das sei die ganz hohe sprachsensible Schule. Und nein, es ist wirklich kein doofer Witz.

Genug des Nicht-Gewitzels, der Hintergund des Nicht-Gefrotzels ist seriöser: Ich bin unzuverlässig. Traditionell. Ich verstehe die Dentistin sehr, wenn ein Zahnversehrter von zehn Terminen bei ihr fünf kurz vor vorher absagt ist das mittlerweile uncool. Charakterlich war es schon immer uncool, neuerdings aber sehr augenscheinlich irgendwie auch wirtschaftlich. Meine Dentistin hat, und sie hat wahrlich jedes Recht dazu, am Telefon sehr eindringlich auf mich eingeredet. Kernsatz: Spontan unpässlich – so geht das nicht!, angefügt dann das Kernargument: Sie sind doch ein erwachsener Mann, rufen sie einfach zeitig an, sagen ab, terminieren um!

Aus irgendeinem Grunde neigen gerade die modernsten Frauen dazu, mit den archaischten Argumenten zu jonglieren. Niemand plädiert, zumindest im Alltag, derart für und auf Männlichkeit wie Feministinnen.

Ich sagte ihr daraufhin, dass Unpässlichkeit aber ja nicht grundlos so heißt, sie widerfährt dem Unpässlichen spontan, woraufhin sie meinte, sie wisse und verstünde das, ich solle dennoch zwei Tage vor der spontanen Unpässlichkeit anrufen, das sei ja das Mindeste, was man erwarten können von einem erwachsenen Mann. Woraufhin ich meinte, gute Frau – wer mich als erwachsenen Mann beleidigt, kriegt es mittels gute Frau knüppeldick zurück – ich sage dann aber mit einer bestenfalls statistischen Wahrscheinlichkeit zu vermutender Unpässlichkeit ab, woraufhin sie meinte: Genau! Sage ich: Aber ich weiß doch dienstags nicht, ob ich donnerstags unpässlich sein werde, sagt sie: Na, dann kommen sie doch jetzt einfach vorbei. Rufe ich: Ich kann nicht! Sie: Warum nicht? Schreie ich: Ich bin unpässlich!! Meint sie: So unpässlich klingen Sie mir aber gar nicht, Herr Wonschewski. Antworte ich: Ach, und das können sie kraft Dentistinnenzauberblick einfach so durchs Telefon durch sehen, ja? Sagt sie: Okay, ich habe durchaus Verständnis für Ihr Unpässlichkeitsproblem – dann kommen Sie gerne übermorgen, 12 Uhr. Sage ich: Okay, gut, ist notiert. Sagt sie: Super. Aber schwören Sie mir, Herr Wonschewski, dass Sie übermorgen 12 Uhr nicht plötzlich nicht wieder unpässlich sein werden. Hand drauf, kann ich mich auf Sie verlassen? Brülle ich: Wie soll ich denn so etwas schwören können? Sagt sie: Okay, verstehe ich, aber rufen Sie bitte morgen an, wenn sie übermorgen unpässlich sind. Dann können wir das Unplanbare planen.

Nun, wir drehten uns noch eine Weile im Kreis und schlussendlich wurde es ihr zu bunt und mir zu mau und sie pfefferte mich in die Umlaufbahn, ich für meinen Teil ließ mich auch gerne aus der Kurve tragen.

In einem Interview wurde ich mal gefragt, was ich als das Schlimmste und Hinderlichste an Depressionen und Bipolarität empfinde. Ich glaube, dem Fragenden stand der Sinn nach Horrorstorys, wie ich 120.000 Euro, die ich nicht habe, für BMWs ausgebe, die ich aufgrund meiner Fahruntauglichkeit nicht einmal fahren kann. Das gibt es und ich bin froh diese große Form von Bipolar nicht zu haben, ich habe eine kleine Form, so klein, dass kaum wer sie erkennt und ich genau daher regelmäßig wenig systemkonform agiere. Klein-depressiv, Klein-manisch. Schon die Bezeichnung “Kleinasien” versteht keine Sau, da ist “Klein-depressiv” noch viel weniger zu kommunizieren, schon gar nicht organisatorisch top aufgestellten Dentistinnen. Oder Arbeitgebern allgemein. Depressive Menschen lachen seltener (dann aber inbrünstiger), aber hört man von einer, mit Verlaub, Triene aus der HR-Abteilung “na, dann rufen Sie einfach kurz an und melden sich krank, wenn der Beelzebub wieder da ist”, dann schüttet sich so ein Depressiver aus vor Lachen. Anrufen, wenn der Beelzebub da ist, das ist wie eine Unpässlichkeit zwei Tage vorher ankündigen. Unser Arbeits- und Gesundheitssystem ist seltsam schlecht eingestellt auf Leute wie “uns”. Man fährt besser, wenn man 100 Kranktage im Jahr hat, die aber durch Anruf und Wisch absichert, als wenn es nur drei sind, man dafür aber keinen Wisch hat und auch nicht rechtzeitig absagte. Lustigerweise sind Arztpraxen, von denen man eine gewisse Erfahrung erwarten darf, da nicht anders: Rufen Sie uns immer an dem Tag an, an denen es ihnen beschissen geht. Dann kriegen wir den Krankenschein auch zurückdatiert.

Mich nervt diese Unzuverlässigkeit, habe ich dem Interviewer geantwortet. Und dass ich keine Worte finde, sie den Menschen zu erklären, das nervt noch mehr. Die, hat man keine Worte, es natürlich als Schuldeingeständnis, als charakterliche Schwäche und fortgeschrittenes Heiopeiertum werten.

Es wird oft erwähnt, dass Menschen, die bei Depressionen etc. die harten Varianten haben, dass die schnell sozial verarmen, sich isolieren. Klar, das kann mit Scham zu tun haben. Aber nicht nur, es ist auch oft eben die Prophylaxe, die der gesunde erwachsene Menschenverstand fordert. Mach keine Versprechen, die du nicht einhalten kannst. Mache nicht Termine und Treffpunkte aus, wenn du nicht weißt, ob du das nächste Woche dann auch noch auf der Platte hast. So gesehen wäre verantwortliches Handeln alles immer absagen. Und hinterher sagen: Ha, schau, ich hätte doch total gekonnt. Und Lust gehabt.

Ob ich einen Zahnarzttermin um 08.00 Uhr wahrnehmen kann, weiß ich immer erst nach dem Aufwachen, 6.25 Uhr. Eigentlich logisch, man muss nicht bipolar sein, um es so zu sehen. Und bin dann sogar noch gut dran, wenn ich es weiß, es merke, es schaffe mich halbwegs adäquat zu verhalten. Um 07.00 Uhr formvollendet absagen ist ganz hohe Bipolaren- und Depressivenkunst, wird aber selten goutiert. Im Gegenteil, dass sich zwingen, den Beelzebub niederkämpfen, führt zu moralischen Vorhaltungen bezüglich, nun, Zuverlässigkeit eben.

Hat aber auch einen Vorteil. Als Bipolarer stehe ich ziemlich oft auf Feiern, zu denen ich gar nicht eingeladen war. Erscheine ungebeten. Man kennt mich da gar nicht, ich sage dann einfach ich wäre der zu Abizeiten beste Freund des Schwippschwagers des Bräutigams, man habe mir lose gesagt ich könne kommen. Wo ich schon überall stand, wo kein Schein mit mir gerechnet hat. Und Sie ahnen gewiss, wie ich argumentiere, wenn man meine Aufrichtigkeit anzweifelt. Genau: Hören Sie mal, gute Frau, ich bin ein erwachsener Mann …!

Lesen Sie auch: „Depressionen sind nicht zwecklos“ (HIER entlang)

Zu den misanthropisch-sarkastischen Romanen von Danelvid Wonschewski: HIER entlang.

Oder schauen und hören Sie es sich direkt an:

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7 Kommentare zu “Bekenntnisse eines bipolaren Bedenkenträgers. Heute: A boy called Danielvid.”

  1. norberto4218. Januar 2023BearbeitenIch habe „gefällt mir“ gedrückt, aber da kommt nichts an. Liegt’s an meinen firefox-Einstellungen?https://widgets.wp.com/likes/#blog_id=38487343&comment_id=3011&origin=davidwonschewski.com&obj_id=38487343-3011-63e4d9550033e
  2. Anastina13. Januar 2023BearbeitenPoste doch den Link, du willst die Bücher ja verkaufen, was heißt hier geschaeftssuechtighttps://widgets.wp.com/likes/#blog_id=38487343&comment_id=3009&origin=davidwonschewski.com&obj_id=38487343-3009-63e4d9550064c
  3. Anastina13. Januar 2023BearbeitenIch habe gesehen was du alles veröffentlicht hat. Top
    Super, auch auf Kindle erhältlich, das ist gut, werde Mal reinschauen.https://widgets.wp.com/likes/#blog_id=38487343&comment_id=3008&origin=davidwonschewski.com&obj_id=38487343-3008-63e4d9550089f
  4. Anastina13. Januar 2023BearbeitenDavid, kannst du auf deinem Blog nicht einstellen, dass man es auch auf einem Mobiltelefon lesen kann ? Könnte ja sein. Bei mir gehtshttps://widgets.wp.com/likes/#blog_id=38487343&comment_id=3006&origin=davidwonschewski.com&obj_id=38487343-3006-63e4d95500adf
  5. dasschauichmiran13. Januar 2023BearbeitenSpannende Erfahrungen!
    Interessant wäre zu erfahren, ob andere Davids mit ähnlichem konfrontiert wurden.
    Was die Schulzeit angeht, die Gründe warum manche Individuen immer wieder von ihren Mitmenschen in dieser Lebensphase eingeschenkt bekommen sind austauschbar… bei mir war es nicht der Name.
    Ich habe in früheren Jahren mal gehört: Aus schwieriger Kindheit kommen interessante Erwachsene hervor!
    Das hat mich oft trösten können.
    Alles Liebe,
    Inahttps://widgets.wp.com/likes/#blog_id=38487343&comment_id=3004&origin=davidwonschewski.com&obj_id=38487343-3004-63e4d95500d2b
  6. davidwonschewski13. Januar 2023BearbeitenAnastina, entschuldige, kam nicht zum Antworten. Freut mich, dass du dereinst „Schwarzer Frost“ bestellt hast. Ja, habe seitdem viel veröffentlicht. Leicht zu finden auf der Website (ist kein Vorwurf, nur wenn ich den Link dahin poste wirkt es so geschäftssüchtig).
    Wer warst du denn?https://widgets.wp.com/likes/#blog_id=38487343&comment_id=3003&origin=davidwonschewski.com&obj_id=38487343-3003-63e4d95500fbc
  7. Anastina13. Januar 2023BearbeitenDavid ist ein guter Name, Kevin find ich blöd https://widgets.wp.com/likes/#blog_id=38487343&comment_id=3002&origin=davidwonschewski.com&obj_id=38487343-3002-63e4d955011f7

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Dieser Eintrag wurde veröffentlicht am 15. Januar 2023 von davidwonschewski in Bekenntnisse eines bipolaren Bedenkenträgers, Nachrichten.

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3 Kommentare zu “Bekenntnisse eines bipolaren Bedenkenträgers. Heute: Meine Zahnärztin hat mit mir Schluss gemacht.

  1. Anonymous
    23. November 2023

    Kann es sein, dass manche Menschen erst durch Medikamente bipolar werden oder dass Nebenwirkungen von Medikamenten als bipolare Störung diagnostiziert werden ?

  2. Anonymous
    23. November 2023

    Sprichst meinen wunden Punkt an , habe auch ein großes Problem mit Ärzten, Terminen, Quartalen, Überweisungen, Krankenkassen

  3. Christine
    2. März 2023

    Grandios.

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Dieser Eintrag wurde veröffentlicht am 26. August 2023 von in Bekenntnisse eines bipolaren Bedenkenträgers, Nachrichten und getaggt mit , , , , , .
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