David Wonschewski | Schriftsteller

Kulturjournalist – Romancier – bipolarer Bedenkenträger

Bekenntnisse eines bipolaren Bedenkenträgers. Heute: Alles Brandmauer, oder was? Ein unfreiwilliges Amüsement.

von David Wonschewski

Nein, keine Sorge. Nicht schon wieder Friedrich Merz und sein Sommerinterview. Das wurde längst ausreichend analysiert, er hat was technokratisch Korrektes gesagt, merzelte es aber eben auf die ihm eigene Art hinaus. Es war einer der seltenen Momente, wo man sich etwas mehr Scholz gewünscht hätte. Und bei einem erfahrenen Polit-Haudegen wie Merz fragt man sich dann zurecht, ob er echt so naiv war, das nicht zu ahnen. Oder ob es Absicht war. Dass es unabdingbar ist, regional mit demokratisch gewählten AfD-Amtsinhabern zusammenzuarbeiten, denn das sagte er, tja, das ist so kloßbrühenartig logisch, dass man die Aussage an sich wenig erschreckend finden kann. Und doch kam ich zum gleichen Schluss wie alle anderen: na na, bröckelt da was? Das Ding, das wir ach wie Auf- und Gerechten gemeinhin Brandmauer nennen?

Da ich den Begriff im demokratischen Kontext seit jeher maximal unglücklich finde, habe ich noch einmal nachgeschlagen. Eine Brandmauer ist: eine feuerbeständige Mauer zwischen Gebäuden oder Gebäudeteilen, die das Übergreifen von Feuer und Rauch verhindern soll. Aha. Mit der Brandmauer verhält es sich also wie mit der Toleranz. Sich permanent seiner eigenen Toleranz vergewissern muss ja nur der, der ein tief sitzendes Problem mit etwas hat. Eine Brandmauer errichten nur der, der weiß, dass er an sich sehr entflammbar ist für das, was sich dahinter befindet. Schon seltsam, wir feiern die, die Brandmauer und Toleranz sagen, wobei sie ja doch die Gefährlichen sind, die Wankelmütigen, die potenziellen Umfaller. Wenn ich hingegen sage, ich brauche keine Brandmauer und auch keine Toleranz, gerate ich in den Verdacht rechts zu sein (was immer das heute überhaupt noch heißen soll).

Nun bin ich wortversiert genug, um zu wissen, dass plakative Begriffe schon immer von Vorteil waren. Und seit es das Internet gibt sowieso. Ich muss aber zugeben, diese Definition noch einmal nachzulesen, das hat mich irritiert. Bisher dachte ich bei dem Bild an so eine Fackelwand, die Mongolen stürmen an, wir lasse se abba nüsch rein! Wehrhafte Demokratie und so. Hätte ich sogar noch okay gefunden, also von der Wortwahl her. Aber da war ich dann naiv, denn es geht weniger ums Fernhalten – es geht darum nichts überspringen zu lassen. Im Sinne eines Funkenflugs, einer An- und Entzündungs-, letztlich also Ansteckungsgefahr.

Natürlich kann man den Begriff dadurch immer noch gut finden, immer noch passend, vielleicht sogar erst recht trefflich. Schließlich haben wir Deutschen traditionell vor wenig so viel Angst wie vor jenem altbekannten Untier, dem faschistischen Mr. Hyde, der in uns allen, vermutlich, vielleicht, schlummert.

Für mich aber ist es dadurch das mieseste Bild, das man wählen kann. Jeder Politiker, der es nutzt, sagt für mich inzwischen: Hört auf meine eigene Rechtslastigkeit zu triggern! Ist er von der CDU, denke ich: Tja, vermutlich hast du konservativer Rechtsausleger den Schutz echt nötig. Ist sie von den Grünen, denke ich: Haha, da hat wohl eine gemerkt, dass nicht alle Ideen der AfD-Themen Möhre sind!

Wenn die Grünen, die SPD, die FDP und die CDU und die Linke den Begriff nutzt, dann also nur, weil sie wissen: Da sind Themen und Erklärungen, die das Zeug haben, mich für sich einzunehmen. Und da geht es dem Wähler wie dem gelangweilten Jugendlichen – es ist das Tabu, das Verbot, das neugierig macht. So wird die Brandmauer zum Brandbeschleuniger. Und der, der fahrlässig oft Brandmauer sagt, zum Brandstifter.

Doch nicht nur das. Denn was liegt hinter einer Brandmauer? Da kann ja nur verkokeltes Verderben liegen, auferstanden aus Ruinen das, was mal Kohls blühende Landschaften waren. Bigott ist es also auch, durch den Begriff. Erst den halben Osten in Brand stecken, und sich dann über Schwefelgeruch wundern. Noch lustiger wird es, wenn man den Begriff der Brandmauer auf den hinteren Teil des Wortes hin analysiert. Die AfD blüht im Osten, wir ziehen also eine Mauer hoch. Na, immerhin bekennen wir damit, dass nicht nur rechtes Gesocks die Teilung wieder zurück haben will. Auch jeder, der Brandmauer sagt, will das.

Offenes Visier, na endlich. Und immerhin.


Inspiriert von Joy Division: Wenn der depressive Musikredakteur den selbstverliebten Radiomoderator erschlagen möchte.

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Ich brauche keine Brandmauer. Denn wo ich kann, lausche ich der AfD, lese, was sie tun, sagen, planen. Bekenne: Es ist vieles blöd, aber längst nicht alles. Es ist einiges rechts, vieles aber eben Mitte. Ja, neben linken und mittigen Podcasts höre ich mir auch reaktionäre Podcasts an, followe ihnen auch sehr gerne wo man das digital eben kann. Ich verstehe weiterhin nicht, wie meinesgleichen sich feiner lassen kann dafür, dass sie diese Leute aus den Freundeslisten werfen können und wirklich denken, sie täten was Gutes damit. Als die Tage im Halbsuffkreis ein Herr bekannte, er wähle schon lange AfD, er wisse sich anders nicht mehr zu helfen, da stand ich nicht auf, ging empört weg. Ich sagte: Ah, endlich! Da ist so einer, einer von hinter der Brandmauer! Und ich lud ihn ein auf einen Schoppen und drei Gespräche. Es wurde spät, es wurde interessant und ich schlauer. Ich fing Feuer für den Menschen, werde die AfD aber noch weniger wählen. Ich merkte: Wäre ich er, es könnte mir auch so gehen. Ich bin aber nicht er, je mehr ich mit diesen Lepra-Infizierten reden, desto klarer wird mir, dass ich deren Punkte begreife, die AfD aber niemals wählen werde und kann.

Ja, ich habe einige “reaktionäre” Podcasts abonniert. Aber auch sehr linke Podcasts. Das ist beides gleichermaßen lustig wie nervlich schwierig ab und an. Der Ex-Chef der BILD, Julian Reichelt hat einen Podcast, da sagt er zu Beginn und am Ende, wir sollen den teilen mit allen Menschen, die wir lieben. Mache ich hiermit. Politisch hat er oft recht, allerdings ist die Aufmachung des Ganzen derart einseitig, dass ich in die ansonsten seltene Gelegenheit komme, Partei für die Grünen ergreifen zu können, auch zu wollen. Ich sitze da oft vor, denke: Guter Punkt – aber SO drehst du dir das jetzt? Wie billig und durchschaubar ist das denn! Bei den seltsamen linken Podcast-Angeboten der Zeit und der taz ist es ähnlich. Ich lerne viel, amüsiere mich aber auch. Man hört ja geradewegs, wie sogar diese intelligenten Menschen sich selbst entlarven. Und ich zugleich lerne. Ich habe mir eine 80-minütige Diskussion von Linken zum Thema Freibad-Randale angehört. Die war gut, ich habe wirklich neue Sichtweisen verstanden, Denkansätze, die ich vorher nicht hatte. Als Abonnent haben die mich also nicht verloren, kein Stück. Ich fand es aber amüsant zu sehen, dass die so lange brauchten, um es sich selbst so hinzudrehen, dass die Nationalität egal ist, man Schubladendenken hier tunlichst lassen sollte. Selbst der Linke tut sich offenbar mittlerweile schwer, den eigenen Antirassismus intellektuell auf die Kette zu kriegen. Aber es war gut, dadurch ehrlich, und eben intelligent geführt. Und sie hatten mich fast schon, ich war beinahe überzeugt, die Freibad-Randale nicht länger kulturnationalistisch zu betrachten, dieses Schubladendenken in mir zu entsorgen. Tja, doch dann schloss die Sache damit, dass man sich darauf einigte, dass es eher was mit Männlichkeit zu tun hat. Was ich ja gar nicht anzweifeln will. Nur, dass man damit von einer unbequemen Pauschal-Schublade einfach in die bequemste Pauschal-Schublade sprang. Die eine Vorverurteilung durch eine andere Vorverurteilung ersetzte.

Was habe ich gelacht am Ende. Ich habe ja mal Dramaturgie studiert, aber DAS Ende, ne, ha, geil. Mal ebne 80 Minuten intelligentes Gerede in die Tonne kloppt, die eigene Glaubwürdigkeit ad absurdum geführt. Super. Lovely. Und ich bin sicher: Ohne Brandmauer wäre das nicht passiert.

Lesen Sie auch: Ein zorniger Mann schafft sich ab. Leseprobe aus “Blaues Blut” von David WonschewskiHIER.

Weitere “Bipolare Bekenntnisse” gibt es: HIER.

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Dieser Eintrag wurde veröffentlicht am 26. August 2023 von in Nachrichten und getaggt mit , , , , , , .
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