von David Wonschewski
Ist es eigentlich arg unverschämt zu behaupten, dass das LP-Cover von “Unknown Pleasures” bekannter ist als die Band, die das Album schuf, als die Songs, die drauf sind? Klar, kommt immer drauf an, wo man fragt. Wäre der Riesenhit- und Düsterevergreen Love will tear us apart auf der Platte, ich würde jede Wette, die auf eingangs aufgestellter Steilthese beruht, vielleicht verlieren. Ist es aber nicht mal. Und doch, doch: begegnet man dem Motiv sehr oft. Auch gerne mal auf den Shirts von gutgelaunten 13-jährigen Mädchen. Die sonst Dua Lipa und Ed Sheeran für Musik halten. Ach, Welt!
Was man da sieht auf dem Cover, das sind im Übrigen Radiopulse von PSR J1921, dem im Jahr 1967 von Jocelyn Bell ersten entdeckten Pulsar. Ich erwähne das nicht aus Klugscheißerei oder um zu bilden, sondern weil es ja immer heißt, auch Frauen haben wichtige Dinge entdeckt. Quod erat demonstrandum, haben sie. Frau Bell hat mitten im All das Cover zu einer meiner Lieblingsplatten entdeckt, noch bevor die Platte überhaupt gedacht war – heftig. Die Idee, den Pulsarendingsbummskram aufs Cover zu packen stammte von Joy Division (später bekanntlich New Order-) Schlagzeuger Stephen Morris. Im Vergleich zum Original wurden allerdings die Farben invertiert; auf dem Cover sind also weiße Linien auf schwarzem Grund statt schwarze Linien auf weißem Grund zu sehen. Darum ist es ja Kunst, nicht Kopie, ha.
Da nervenzerfetzend viele Leute keine Ahnung haben, wie die Musik auf einem der einflussreichsten Alben aller Zeiten klingen könnte, schaulauschen wir:
Wir wohnen dort bei: gewissermaßen der Geburtsstunde des Post Punk. Aber auch von Goth und allerlei düsterem Indiegeschrabbel, die Joy Division zumindest mitinitiierten. Der Begriff Post Punk ist ein nachträglich erfundener. Es gab seit Mitte der 70er Jahre Punk, das waren zuvorderst kurze, aggressive, rotzig-trotzige linkspolitische Gesellschaftsanklagen mit der Brechstange. Wie man musizierte, gab man sich auch: lief verlottert herum, rotzte Freund und Feind – also wirklich, wirklich! – ins Gesicht. Das war drei Jahre lang auch reichlich shocking und funny, wurde aber schnell öde. Die nachfolgenden Musiker wollten das Beste des Punk behalten, aber neue Wege beschreiten, den an sich guten Ansatz auch musikalisch veredeln. Die Stücke wurden länger und komplexer und textlich hasste man nicht mehr die Gesellschaft, sondern vor allem sich selbst. Dass es düsterer wird, wenn man sich selbst anklagt als denn einfach nur die Spießer dieser Welt, liegt auf der Hand. Das Lied She’s lost control geht zurück auf Sänger und Texter Ian Curtis, der in jüngeren Jahren einmal ein Mädchen beobachtete, das durch einen epileptischen Anfall einen bleibenden Eindruck bei ihm hinterließ. Ian arbeitete damals in einem Jobcenter und die junge Dame kam regelmäßig vorbei, um eine Stelle zu finden. Was bekanntlich eh schon schwierig war für junge Menschen im England der späten 70er Jahre. Nun, und genau bei einem solchen Besuch hatte sie einen solchen Anfall. Irgendwann kam sie nicht mehr und Ian nahm an, sie habe dann wohl einen Job gefunden. Hatte sie aber nicht, wie er etwas später erfuhr. Sie war an ihrer Epilepsie schlichtweg verreckt. Der eindrücklichste Percussionteil, natürlich vom bereits erwähnten Drummer Stephen Morris, entstammt im Übrigen einem Aerosol Spray. Pfft-Pffft.
Überhaupt diese Mischung aus Lyrics und Percussion. Der beste Post Punk klingt – auf Unknown Pleasures durchweg – als hätte man einen Lyriknobelpreisträger mit einem Urwald- und Stammestrommler in einem Kühlhaus eingesperrt, statt Rettung naht jedoch Bedrohung via dunkel dräuendem Bass. Dem im Classic Rock omnipotenten Leadgitarristen viel von seiner maskulinen Herrschsucht zu nehmen, Joy Division waren die Miterfinder. Der Leadgitarrist hieß bei Joy Division Bernard Sumner, war allerdings keineswegs der Gedeppte, bekannte der sich doch dazu, weder richtig gut spielen und noch viel weniger singen zu können. Weltkarriere mit beiderlei Nicht-Können hat er dennoch gemacht, wie jeder weiß, der sich den berühmten Songs von New Order hingibt. Jene Band, zu der Joy Division wurde, als Ian Curtis sich anno 1980 erhängte und eben Sumner notgedrungen ans Mikro vorrückte.
Inspiriert von Joy Division: Wenn der depressive Musikredakteur den selbstverliebten Radiomoderator erschlagen möchte.Lesen Sie “Schwarzer Frost”, den sarkastischen Pop- und Rockroman von David Wonschewski.Mehr Informationen:HIER.
Der eigentliche Grund, warum Joy Division, durchaus vergleichbar mit etwas später The Smiths, zu einer der einflussreichsten und doch im Mainstream und auf Dauer zu einer eher unbekannten Band wurde, ist ein anderer: Martin Hannett, der Produzent. Der vorhergehende Punk hatte es sich zur Attitüde gemacht DIY zu agieren, Do it yourself. Lustvoll darauf hinzuweisen, dass man für das, was man da gerade tat, im Grunde weder Talent, noch Qualifikationen hat. Und hört man sich Unknown Pleasures heute dementsprechend an, so könnte man meinen, auch da sei damals entweder kein Geld oder aber keine Ahnung am Start gewesen, was Aufnahme, Abmischung etc. betrifft. Das mit dem Geld mag sogar stimmen, Martin Hannett aber erkannte früh, dass es auch in der Produktion einen Zwischenweg brauchte, ganz so wie die Band einen musikalischen Zwischenweg gefunden hatte zwischen dem literarischen Kopf und dem Dschungelherz. Klaustrophobie ist der Begriff, den Hannett als intellektuell fühlbare Atmosphäre herstellen wollte, etwas, was in Ansätzen zuvor nur Iggy Pop und David Bowie, und selbst denen nur partiell, gelungen war. Dort aber hatte er es gehört, das galt es zu verfeinern, zum Trademark zu machen. Das macht man nicht als Rookie, so weit trägt einen nicht einmal die rotzige Attitüde des originären Punk.
Angst, die man sich selbst einbrockt, das wollte er hören. Oder, um es mit einem dementsprechenden Paradebeispiel von einem Titel der Band zu sagen: Schattenboxen. Shadowplay.
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David Wonschewski, Jahrgang 1977, wuchs im Münsterland auf und ist seit 25 Jahren als Kulturjournalist für Radio, Print & Online tätig. Als leitender Redakteur gestaltete er viele Jahre das musikalische Programm landesweiter Stationen, führte Interviews mit internationalen Künstlern (Cliff Richard, Joe Cocker, Pet Shop Boys, Take That, Paul Young) verfasste knapp 450 Musikrezensionen sowie PR-Texte für u.a. Reinhard Mey. Er saß von 2013 bis 2015 in der Jury der renommierten Liederbestenliste, ist Mitbegründer der noch immer existenten Liederatur-Bühne „Geschmacksverstärker“ im Zebrano-Theater Berlin. Sein von der Internationalen Thomas Bernhard Gesellschaft empfohlener Debütroman „Schwarzer Frost“ brachte ihm 2013 erste Vergleiche mit Autorengrößen wie David Foster Wallace, Bret Easton Ellis oder eben Thomas Bernhard ein.