David Wonschewski | Schriftsteller

Kulturjournalist – Romancier – bipolarer Bedenkenträger

Die faszinierende Geschichte hinter dem Mega-Hit, Teil 19. Heute: Procol Harum – “A Whiter Shade of Pale” (1967)

von David Wonschewski

Was für ein so seltsamer, so seltsam faszinierender Song. Und was für ein seltsamer und nicht minder faszinierender Bandname: Procol Harum. Und so sehr man auch sinniert, recherchiert, fahndet, beides bleibt rätselhaft. Procol Harum soll der Name der Katze eines Bandmitglieds gewesen sein, was insofern nicht hilfreich ist, da sich folgend die Frage stellt, warum eine Katze so heißt. Eine Bildungslücke, beim Leser und Musikfreund wie bei der Band, raunt mancher. Denn es gebe einen lateinischen Begriff, der heiße aber procul horum, bedeute so viel wie “fern von hier und jetzt”, aber auch das sei grammatikalisch nicht korrekt, schlaumeiern wieder andere, echte Latein-Asse… (weiter unter dem Clip)

Belassen wir es also bei der Katze und dem latent philosophisch-existentialistischen “fern von hier und jetzt”, passt doch beides zu diesem so enigmatischen Meistersong “A Whiter Shade of Pale”. Als Bandtexter Keith Reid zunächst die Zeilen schrieb, es also noch keine Musik dazu gab, wollte er sich in einer Form von cineastischer Poesie ausprobieren. Er spielte seinerzeit noch kein Instrument, eine musikalische Verwertung lag also gar nicht im Vordergrund des Ganzen, was zum Teil die spezielle Atmosphäre der Zeilen um ein Paar erklärt, dass sich einfach in einem Raum aufhält:

We skipped the light fandango
Turned cartwheels ‘cross the floor
I was feeling kinda seasick
The crowd called out for more
The room was humming harder
As the ceiling flew away
When we called out for another drink
The waiter brought a tray

Mehr Drehbuch und Szene als Refrain und Melodie, mehr Traumdeutung und Sehnsucht als Aktion. Gary Brooker, der bei Procol Harum für die musikalische Umsetzung zuständig war, saß gerade am Piano als er diesen Text zum ersten Mal sah. Er hatte bis dahin, wie so viele britische Jungen seiner Generation, eine gewisse kleine Meisterschaft in Sachen Rock und R&B erreicht, ab Mitte der 60er Jahre, ebenfalls wie viele andere, aber erstmalig gemerkt, dass dieses Konzept zunehmend ausgelutscht war. Wo andere ihre Augen und Ohren jedoch beispielsweise nach Fernost richteten, befasst sich Brooker mit Jazz und Klassik. “A Whiter Sahde of Pale”, s dachte er sofort als er diesen entrückt-lyrischen Text las, sollte sein erster Versuch sein, etwas ganz Neues aufzuziehen, alle Einflüsse ein wenig zu einer Melange zu verbinden.


Wenn der depressive Musikredakteur den selbstverliebten Radiomoderator erschlagen möchte.

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Was beide, Brooke und Reid, damals verband, warum eine Vorliebe für das leicht avantgardistische französische Kino jener Jahre, Klassiker wie Hiroshima mon Amour (1959) und L’Année dernière à Marienbad (1961) inspirierten nicht nur die Lyrik von Reid, sondern auch das so traumdeutischere Grundthema des Lieds. Auch dass ein Hauch von LSD gesteuerter Sinneswahrnehmung und deren Verschiebung sich in das Ganze zumindest einmal hinein interpretieren lässt, ist selbstverständlich kein Zufall. Und doch, bei allen künstlerischen Prägungen, zu Beginn hatte Keith Reid die Idee einen Text über ein Mädchen zu schreiben, das ihren Freund verlässt und dass das Ganze “A Whiter Shade of Pale” heißen wird. Der Satz war ihm bei einem seiner vielen, mitunter auch missglückten Schreibversuche aufs Papier getropft und als einer der wenigen stehen geblieben, zu gut klang er für sich allein. Alle weiteren Textzeilen, so war ihm klar, würden auf diesen einen Satz, den Titel, hinlaufen müssen, wie eine Geschichte auf ihr unweigerliches Ende, die Quintessenz. Der Text, auch das nahm er sich vor, sollte derart sein, dass ein Maler ihn in einem einzigen Gemälde zusammenfassen könnte. Ein Moment, der eine Ahnung von Gestern, Heute, Morgen in sich trägt. Drogen, darauf legt Reid wert, nahm er nie, auch wenn es sich ganz wunderbar eingefügt hätte in die Geschichte zu diesem weltentrückten Song. Er war, bekannte er, einfach nur schrecklich jung und schrecklich überambitioniert, zu eitel, um nicht verworren zu wirken.

Die Hammondorgel, die charakteristisch ist für dieses Lied, galt seinerzeit noch als exotisches Instrument, keine bekannte Band griff darauf zurück, Procol Harum hingegen schrieben es sich gewissermaßen ins Gründungsmanifest, dieses Instrument zu ihrem Markenzeichen zu machen, so oft und so intensiv zu nutzen wie es gerade noch geht, ohne den Leuten allzu sehr auf den Puffer zu gehen damit. Vierzig Jahre später sollte es ein unglaubliches Hickhack mit dem Mann geben, der diese weltberühmte Sequenz auf der Hammondorgel dereinst eingespielt hatte, Matthew Fisher. Fischer hatte sie nicht erfunden, aber eben gespielt, was die Frage, inwiefern er in den Songcredits aufzutauchen hatte, kompliziert machte. Am Ende wurden in der ach-wievielten Instanz zu seinen Gunsten entschieden. Und nein, Fisher hatte sich nicht 40 Jahre damit Zeit gelassen, seine Rechte geltend zu machen. Er hatte es seit 1972 versucht, wieder und wieder. Doch war seine Klage nie zugelassen worden, was deutlich zeigt, dass auch die Sache mit den Musikrechten einen sehr langen Weg zu gehen hatte, noch immer geht.

Dass es für einen Song aus dem Jahr 1967 so etwas wie einen veritablen offiziellen Videoclip gibt und gab liegt daran, dass ab Mitte der 60er Jahre für eine gewisse Zeit Video Jukeboxes in englischen Bars aufgestellt wurden. Zahlende und trinkende Gäste konnten dort ein paar Cent einwerfen und sich beispielsweise Nancy Sinatra anschauen in ihren Boots, die für walkin’ gemacht sind. Oder eben, wenn auch bedeutend seltener, wie man sich denken kann, ein paar versponnene Milchgesichter, die stoisch in der Gegend herumstehen.

Leute, die richtig Ahnung vom Komponieren haben, verweisen darauf, dass die Hammondorgel von A Whiter Shade of Pale auffallend ähnlich den Akkorden ist, die auch im berühmten When a man loves a woman von Percy Sledge ist. Die Melodie, heißt es, ist anders, die Akkorde aber deckungsgleich.

Mache ein jeder aus dieser Info, was die eigene Begabung ihm ermöglicht. Bei mir selbst reicht es nur für die Katze, eine Idee von Kiffen und wundersamer Poesie, die sich nicht greifen lässt, die mit dem Moment verschmilzt, den sie einem Monde gleich umrundet. Oder so.

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Michael Jackson – “Beat it” – und zwar: HIER.

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David Wonschewski, Jahrgang 1977, wuchs im Münsterland auf und ist seit 25 Jahren als Kulturjournalist für Radio, Print & Online tätig. Als leitender Redakteur gestaltete er viele Jahre das musikalische Programm landesweiter Stationen, führte Interviews mit internationalen Künstlern (Cliff Richard, Joe Cocker, Pet Shop Boys, Take That, Paul Young) verfasste knapp 450 Musikrezensionen sowie PR-Texte für u.a. Reinhard Mey. Er saß von 2013 bis 2015 in der Jury der renommierten Liederbestenliste, ist Mitbegründer der noch immer existenten Liederatur-Bühne „Geschmacksverstärker“ im Zebrano-Theater Berlin. Sein von der Internationalen Thomas Bernhard Gesellschaft empfohlener Debütroman „Schwarzer Frost“ brachte ihm 2013 erste Vergleiche mit Autorengrößen wie David Foster Wallace, Bret Easton Ellis oder eben Thomas Bernhard ein.

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