von David Wonschewski
Historiker sind sich bis heute uneins, was genau es denn dereinst war, mitten in New Orleans, dieses “House of the rising sun”. Zwei Theorien gelten hier als Favoriten:
a) es war ein Bordell, dessen Eigentümerin den Namen “Madame Marianne LeSoleil Levant” trug, was übersetzt soviel bedeutet wie “aufgehende Sonne” bzw. “rising sun”. Dieses Bordell gab es mit Beginn des Bürgerkriegs, 1862, bis es 1874 aufgrund von Beschwerden aus der Nachbarschaft geschlossen werden musste.
b) es war ein Frauengefängnis, das offiziell den Namen “Orleans Parish women’s prison” trug und auf dessen Eingangstor eine große aufgehende Sonne zu sehen war.
Von kaum einem Song gibt es so viele Versionen wie von “The House Of The Rising Sun”, was wohl auch daran liegt, dass die Melodie eine traditionelle englische Ballade ist und tatsächlich niemand die Rechte an Text oder Komposition besitzt. Jeder kann also für lau seine eigene Version anfertigen und auf den Markt werfen. Erstmalig populär wurde das Lied in der afroamerikanischen Community in den 1920er-Jahren, seinerzeit aufgenommen von Texas Alexander. Dem folgten Musikgrößen wie Woody Guthrie oder auch Nina Simone, deren Version es auch ist, die die Animals hörten und sie für die Idee begeisterte, es mit einer eigenen Interpretation zu versuchen. Doch derweil früher Versionen mutig eine Gefangene oder eine Prostituierte zur Protagonistin machten, schreckten die ansonsten gar nicht so handzahmen Animals vor einem potenziellen Verkaufskiller zurück – und stellten einen Zocker ins Zentrum Ihres Songs, um sicherzustellen, dass Radios die Nummer spielen werden.
Die große Bedeutung dieser Animals-Version – #1 USA, #1 UK – lässt sich jedoch nicht allein an Chartsplatzierung und Verkaufszahlen ablesen. Sie hatte darüber hinaus maßgeblichen Einfluss auf einen der größten und wichtigsten Dreh- und Angelpunkte der Musikgeschichte. Denn niemand Geringeres als Bob Dylan hatte zwei Jahre vor den Animals bereits eine Folkversion des Stücks aufgenommen und 1962 auf seinem Debütalbum platziert. Und er hätte diesen Track wohl selbst fast wieder vergessen, wenn er nicht wenige Monate später die Version der Animals gehört hätte und ihm schier die Kinnlade herunterklappte. War es doch exakt der Punkt, an dem Bob Dylan erstmalig bemerkte – und lernte – welche Intensität Folksongs entwickeln können, wenn man sie ein wenig unter Strom setzt. Will heißen: Rockzutaten beimengt. Kurz danach kam es zum heute legendär-skandalösen Auftritt beim Newport Folk Festival, als er die dortige Fangemeinde mit E-Gitarre und Drums nachhaltig verstörte, sich den Ruf einfing ein “Judas” zu sein. Nie wieder der Folkie wurde, als der er berühmt geworden war.
Wenn der depressive Musikredakteur den selbstverliebten Radiomoderator erschlagen möchte.
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Die Veröffentlichung des Songs, also der Animals-Version, fiel just in jene Zeit, in der die Beatles gerne einmal die ersten vier oder fünf Chartpositionen gleichzeitig besetzten und die Frage nach der nächsten Nummer 1 eigentlich nur eine Antwort kannte: na, was immer die Beatles als Nächstes veröffentlichen!
Ausgerechnet den Animals, die ihre Single in einem einzigen Take ohne Nachbearbeitung aufnahmen, war es vorbehalten, mit ihrem Uraltstück im Jahr 1964 endlich mal wieder einen anderen Bandnamen an die Spitze der Charts zu setzen. Was die Pilzköpfe in bekannt lakonisch-ironischer Manier dazu bewog, den Animals ein Telegramm zukommen zu lassen: “Congratulations from The Beatles (a group).” Produzent Mickie Most – auch verantwortlich für Großtaten von Herman’s Hermits, Jeff Beck oder Donovan – schämte sich späterhin fast, hier als Produzent in die Credits eingeflossen zu sein, wie er später dem Melody Maker im Interview gestand: “Verdammt, es stimmte einfach alles. Die Planeten standen richtig, die Sterne auch, der Wind kam aus der richtigen Richtung. Es hat nur 15 Minuten gedauert und ich habe nur auf den Aufnahmekopf gedrückt.” Ob die Stimmung innerhalb der Animals angesichts ihres größten Hits über die Jahre gut geblieben ist, darf bezweifelt werden, trennte sich die Band doch 1968. Nicht zuletzt auch aus monetären Gründen. Gut nachvollziehbar, findet sich von der Band doch nur Orgelspieler Alan Price in den Credits. Ist also der einzige Animal, der je von den bis heute umfangreichen Tantiemen profitierte. Dass nur Price dort genannt ist, hat einen Grund, der das Bandklima nachhaltig vergiftet haben dürfte: Das Plattenlabel hatte den Animals gesagt, auf dem Antragsformular sei nicht genug Platz, da passe halt nur ein Name drauf…
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Kansas – „Dust in the Wind“. Und zwar: HIER.
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David Wonschewski, Jahrgang 1977, wuchs im Münsterland auf und ist seit 25 Jahren als Kulturjournalist für Radio, Print & Online tätig. Als leitender Redakteur gestaltete er viele Jahre das musikalische Programm landesweiter Stationen, führte Interviews mit internationalen Künstlern (Cliff Richard, Joe Cocker, Pet Shop Boys, Take That, Paul Young) verfasste knapp 450 Musikrezensionen sowie PR-Texte für u.a. Reinhard Mey. Er saß von 2013 bis 2015 in der Jury der renommierten Liederbestenliste, ist Mitbegründer der noch immer existenten Liederatur-Bühne „Geschmacksverstärker“ im Zebrano-Theater Berlin. Sein von der Internationalen Thomas Bernhard Gesellschaft empfohlener Debütroman „Schwarzer Frost“ brachte ihm 2013 erste Vergleiche mit Autorengrößen wie David Foster Wallace, Bret Easton Ellis oder eben Thomas Bernhard ein.