David Wonschewski | Schriftsteller

Kulturjournalist – Romancier – bipolarer Bedenkenträger

Die faszinierende Geschichte hinter dem Mega-Hit, Teil 15. Heute: The Beatles – “Day Tripper” (1965)

von David Wonschewski

Schenken wir den Erzählungen unserer Väter Glauben, so gab es in den 60er-Jahren für junge Männer nur zwei Möglichkeiten. Entweder man war ein raubeiniger, verwegener, total gefährlicher Bursche – dann hörte man die Rolling Stones. Oder aber man war ein angepasst-bürgerlicher Schwiegermamaspießer. Und hörte die braven Beatles. Wir lernen: Schon damals ließ sich nichts so gut vermarkten wie Polarisierungsgedöns, die Musikgeschichte ist voll von ähnlichem Plimplam, oftmals erhirnt von PR-Strategen und dankbar aufgegriffen von zunächst den Medien, später dann den Massen. Dass die Musiker sich untereinander oftmals gar nicht so spinne Feind waren und charakterlich alle gleichermaßen durch den Wind – Künstler halt – wen interessiert’s.

Doch der Zweck heiligt bekanntlich die Mittel und so wie die herum hurenden, saufenden, pöbelnden, drogenverseuchten, Charles Manson affinen und schizoiden Beach Boys bis heute für Saubermannpop stehen, so ist es auch bis heute kaum möglich, den Beatles am Zeug zu flicken. Als wenn die Jungs nicht oft genug selbst vor Gericht gestanden hätten wegen diverser Vergehen, als wenn nicht auch sie in Sachen Partnerwahl eine gewisse, nun Toleranz aufgezeigt hätten. Und dann natürlich die Sache mit den Drogen, wenn es auf diesem Erdenball berühmte Extrasubstanzbefürworter gab, dann waren es die Beatles. Da ist auch gar nichts gegen zu sagen, man wundert sich jedoch, wie es sein kann, dass die Beatles die Thematik sogar in ihre hübschen Liedchen packen konnten – und niemand sich aufregte, es keinen Skandal gab, von jung bis alt, von politisch links bis konservativ alle jauchzend mitsangen, das Teil mal wieder auf die Nummer 1 segelte. “Day Tripper”, erschienen am 16. Dezember 1965, ist ein hervorragendes Beispiel dafür. Schließlich ist das Lied nichts anderes als ein wunderbarer LSD-Werbesong.


Wenn der depressive Musikredakteur den selbstverliebten Radiomoderator erschlagen möchte.

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Klar, wenn man über die wundervolle Gabe verfügt am Text vorbei zuhören, dann kann man auf die Idee kommen, es geht hier lediglich um Leute, die am Wochenende gerne einen Ausflug ins Grüne machen. De facto aber feiert John Lennon – der den Text schrieb – hier einfach einmal den Teil der bürgerlichen Mitte ab, der sich samstags oder sonntags, scheiß auf Konventionen!, mal gerne einen gönnt, ordentlich einen durchzieht. Dass das Stück eine typische Lennon-Nummer ist, merkt man daran, dass er dem Drogenbezug risikofreudig und zwischen den Zeilen auch noch eine hübsche Prise Sex beimengt, nicht eindeutig formuliert, alles noch im Gewand des vermeintlich biederen Tagesausflugs – und doch eindeutig. Die Zeile “She’s a big teaser / She took me half the way there” verdeutlicht die hohe Kunst, Eindeutigkeit unter Verwendung von Mehrdeutigkeit zu erreichen. Und Paul McCartney erzählte dem Daily Mirror Jahrzehnte später einmal, dass es sich die Beatles auf der Bühne – untergehend im Fangeschrei – nicht nehmen ließen statt “She’s a big teaser” laut in die Mikrofone zu singen: “She’s a prick teaser”.

Wir können uns gut vorstellen, wie passgerecht man so etwas den Stones ausgelegt hätte, wie das jeder ganz genau mitbekommen und gehört hätte. Nicht so bei den Beatles, das Saubermann-Image verhinderte es. Tja, so geht das halt, ist bis heute allgemeingültig. Gar nicht so wichtig, was du sagst – sondern wer du bist, dass du es sagst. Im Übrigen könnte ein Grund für diesen kleinen lennon’schen Stinkefinger auch der Entstehungsgrund des Songs sein. Das Label hatte mit Vehemenz eine neue Single verlangt, egal ob Schnellschuss, Hauptsache raus damit, Hauptsache Kommerzwelle reiten. Da kann man als artifizieller Quer-Pilzkopf schon mal patzig reagieren.


David Wonschewski, Jahrgang 1977, wuchs im Münsterland auf und ist seit 25 Jahren als Kulturjournalist für Radio, Print & Online tätig. Als leitender Redakteur gestaltete er viele Jahre das musikalische Programm landesweiter Stationen, führte Interviews mit internationalen Künstlern (Cliff Richard, Joe Cocker, Pet Shop Boys, Take That, Paul Young) verfasste knapp 450 Musikrezensionen sowie PR-Texte für u.a. Reinhard Mey. Er saß von 2013 bis 2015 in der Jury der renommierten Liederbestenliste, ist Mitbegründer der noch immer existenten Liederatur-Bühne „Geschmacksverstärker“ im Zebrano-Theater Berlin. Sein von der Internationalen Thomas Bernhard Gesellschaft empfohlener Debütroman „Schwarzer Frost“ brachte ihm 2013 erste Vergleiche mit Autorengrößen wie David Foster Wallace, Bret Easton Ellis oder eben Thomas Bernhard ein.

2 Kommentare zu “Die faszinierende Geschichte hinter dem Mega-Hit, Teil 15. Heute: The Beatles – “Day Tripper” (1965)

  1. davidwonschewski
    16. Dezember 2020

    Ja, absolut, der Titel ist so gesehen sogar ähm, tripelfach formuliert….an dem Sprüchlein “größer als Jesus” finde ich am Bemerkesnwertsten, dass er offenbar mal eine Aussagekraft hatte. Anno 2020 ist die Zahl derer, die größer als Jesus sind oder sich nur dafür halten vermutlich auch weitaus größer als die, die kleiner von sich denken.

  2. Bludgeon
    16. Dezember 2020

    Nunja, eine recht naheliegende “Übersetzung” des Songtitels fehlt noch – vorzugsweise die, die pubertierende Schulhofphilosophen durch die Gegend plärren, die gerade erst über gewisse Risiken aufgeklärt wurden, die so allzu körperlich verstandene Interessen am anderen Geschlecht mitsichbringen könnten.

    Mit “Die Beatles sind größer als Jesus” (oder war’s Gott?)isser dann aber doch mal in schweres Wasser geraten – unser Oberwalross.

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