von David Wonschewski
Das Seufzen meines Studienkumpels Uli werde ich meinen Lebtag nicht vergessen. Das muss so 2001 etwa gewesen sein und dieses Seufzen war verdammt tief, lang, also ehrlich. Ich, David, habe ja keine Ahnung, setzte er an, wie gut ich es habe. Wie privilegiert einer wie ich sei. Das war mir so neu, dass ich mehr wissen wollte. Uli war von eher kleinem Wuchs, für einen Mann, er maß 1,72 m. Er war am späten Abend aus seinem Berliner Bezirk in meinen Berliner Bezirk gekommen. Ein ständiges Wagnis, ein Hochsicherheitsrisiko, für einen kleinen Mann, wie er stöhnend berichtete. Davon mache sich einer wie ich, mannhafte 1,85 m groß, ja gar kein Bild, wie unbeschwert mein Leben sei. Das habe ich immer wieder gehört, höre es im Grunde bis heute. Auch und zuvorderst von Frauen. Für mich sei es ja kein Problem nachts nochmal eben zum Bahnhof schlendern, was am Spätkiosk kaufen.
Wissen Sie, das Problem mit Privilegien ist manchmal, dass man sie hat und nicht abgeben will. Oder sie nicht sieht, egal wie oft weniger privilegierte Gesellen es ihm beizubiegen versuchen. Was dabei vergessen wird, ist die dritte Variante: Der Privilegierte kennt zu sehr die Kehrseite, um es als Privileg empfinden zu können. Und man spürt, dass man dem, der da neidet, nicht wird begreiflich machen können, dass all sein Sehnen nach dem vermeintlichen Privileg selten Befriedigung, sehr oft neue, andere Unzufriedenheit zur Folge haben wird.
Wer sich mit Kriminalstatistiken auskennt, der weiß: Wenn wer da draußen Gefahr läuft derart eins auf die Fresse zu kriegen, dass es ambulant wird, dann einer wie ich. Nicht die kleinen Männer, nicht die Migranten, nicht die Frauen. Und denkt man darüber nach, wieso das so ist, findet man neben “eigener Schuld” (was treiben die sich da auch alle gebündelt spätnachts herum, was gibt der Idiot denn auch Widerworte, wenn er blöde angemacht wird, was lässt der sich denn auch reizen?) sehr triftige Gründe. Rabauken, mit welcher Intention auch immer sie ihrem Rabaukentum frönen wollen, gehen de facto bei mir und meinesgleichen das geringste Risiko ein. Der mitteleuropäische weiße Mann hat per se eine lange Zündschnur, versucht sich eher durch Diskussion oder Flucht zu entziehen und hat selten viele Kumpels im Schlepptau, die im Nu zur Unterstützung am Start sind. Der durchschnittliche europäische Mann hat oft auch was dabei, was abziehenswert ist. Zugleich ist er ist körperlich robust, da wird man nicht mit dem ersten Schlag gleich zum Kriminellen, zumal gerade der gewiss der Letzte ist, der zur Polizei rennt danach. Und ganz wichtig: vor den eigenen Kumpels punktet der Aggressive vielleicht, wenn er gegenüber “Schwächeren” fiese Sprüche kloppt. Aber nicht, wenn er diese auch körperlich angeht. Applaus von den Seinen kriegt er nur, wenn er sich mit wem auf Augenhöhe anlegt. Und last, but not least: Meinesgleichen ist die Gruppe, der umstehende Passanten gemeinhin als Letztes beispringen. Die Moral gebietet es weniger, mein Geschlecht und meine Größe wirkt hier eher hinderlich. Zudem wird bei Keilereien zwischen Männern, zumindest zu Beginn, weniger zwischen Täter und Opfer unterschieden. Alphagebalze halt, herrje. Lass die das mal schön unter sich ausmachen.
Dass kleine Männer und Frauen und Migranten sich dennoch unsicherer fühlen, nachts, am Bahnhof, hat einen plausiblen Grund. Verbale Tageserfahrung. Denn es ist richtig, ich fange mir keine Sprüche, wenn ich durch die Stadt laufe. Nie. Deswegen erscheint es mir auch so unwahrscheinlich, dass ich gefährdeter sein könnte, nur weil es später ist und draußen dunkel. Bin ich aber. “Schwächere” hingegen ziehen aus dem Alltagserleben den Schluss, dass, wenn es tagsüber schon schlimm ist, es nachts ja nur desaströs werden kann. Kann es natürlich auch, kann es immer. Ich sage ja nicht, dass deren Gefährdung nicht da ist. Im Gegenteil, die verhalten sich richtig, meinesgleichen falsch. Ich sage aber auch: nein, privilegiert ist in dem Zusammenhang das falsche Wort. Und locker, luftig, leicht ist in 1,85 m “Höhe” auch nichts.
Es gibt viele dieser Privilegien, die keine sind. In allen Bereichen und jeder kennt welche, egal wie er ist, was er ist. Ich arbeite im Homeoffice, full time, schon vor Corona. Und bekomme fassungslos mit, wie sehr das aktuell mit einer schöneren und gerechteren Arbeitswelt verbunden wird. Als jemand, der jeden Tag nur in der eigenen Bude hockt, keine leibhaftigen Kollegen mehr hat, dadurch auch keine Storys, die man abends der Familie erzählen könnte, möchte ich da entschieden warnen. Kaum arbeitet man im Homeoffice, wird es schnell dystopisch. Natürlich hat es auch Vorteile, hey, ich kann mittlerweile ziemlich gut kochen, kaufe frisch und günstig ein wie kein Zweiter! Stelle, Nachteil, aber auch bekümmert fest, dass meine Nachbarn ein Viertel an Gelber Sack-Müll produzieren wie ich. Auch wenn es logisch ist, es ist mir so peinlich, ich stelle den Müll in tiefster Nacht raus. Und ja, ihr Clowns: gehe dafür gerne das Risiko ein, dabei von Rabauken behelligt zu werden.
Okay, mein autofreies Leben ist voll nachhaltig – mein heimischer Energiebedarf dafür umso weniger.
Ich war auch mal Führungskraft. Soll und will und kann (angeblich) ja auch jeder werden, wenn man ihn oder sie nur lässt. Vorsicht, Leute, was ihr euch wünscht. Führungskraft kann nur derjenige wollen, der es nie war.
Es gibt wahnsinnig viele dieser Privilegien, die keine sind. Und ich bin mir sicher, würde man das kommuniziert bekommen, es würde sehr dem arg ins Wanken geratenen gesellschaftlichen Frieden helfen. Sogar im Großen. Der Bundestag zum Beispiel ist prallvoll mit meinesgleichen. Und ich verstehe es total, wenn Frauen die Sehnsucht haben, dass mittels Quote und mehr Frauen eine bessere Welt zu erreichen ist. Wäre ich Frau, so würde ich das auch denken, es ist ja irgendwie auch logisch es so zu sehen. Nun bin ich, was das angeht aber ja privilegiert, alles mittelalte und alte biodeutsche Kerle da im Bundestag, in den Vorständen und überhaupt. Das Blöde nur: das Gefühl, dass sich dieses Ungleichgewicht zu meinesgleichen Gunsten auszahlt, es war nie da, es bleibt aus und ich glaube auch nicht mehr daran, dass mehr Männer hier und dort irgendwas mit meinem Leben zu tun haben. Es ist ein Scheinprivileg. Und denkt man da mal weiter, erschließt sich, ebenfalls logisch, warum gerade Männer zu Pegida, Querdenker, Verschwörungstheorie und AfD tendieren. Im Gegensatz zu Frauen können wir unser Jammern nicht auf Geschlechtlichkeit reduzieren, die Möglichkeit einer solchen Utopie haben wir nicht. Um so mehr Frauen oben in Machtpositionen gelangen, umso mehr Frauen werden unten zu Wutbürgerinnen mutieren. Weil das Gefühl der Hilflosigkeit in Kombination mit dem Unerklärlichen Menschen dahin führt. Ein Großteil des Feminismus funktioniert heute so: Ja, wir sind gleichberechtigt ABER Leben ist immer noch scheiße ALSO patriarchale Strukturen, gläserne Decken allüberall. Denn wären wir gleichberechtigt, Leben wäre schön, muss ja, wofür kämpft man denn sonst?
Das ist der Irrglaube, dass da oben die Sonne mehr scheint. Tut sie vielleicht sogar, es wird aber eben auch kälter, die Luft zum Atmen wird knapper. Sonnenstich und Höhenkoller werden auch frei Haus geliefert, wie man an den wirklich üblen patriarchalen Machttypen unschwer merkt, ha.
Deswegen bin ich für die Frauenquote.Weil man das nicht kommunizieren kann. Der Kabarettist Serdar Somuncu hat sinngemäß einmal gesagt, dass jede Gruppe das Recht hat, beleidigt und diskriminiert zu werden. Dem ist hinzuzufügen, dass auch jede Gruppe das Recht hat gehörig auf die Schnauze zu fallen. Träumen nachzuhängen, sie zu realisieren und nicht durch Erzählung anderer, sondern selbst zu erkennen: Ups, das hatten wir uns entschieden pastellfarbener vorgestellt.
Das Privileg habe ich tatsächlich: Ich musste nie groß dafür kämpfen, nie sinnlos Zeit mit derlei Utopien verjuxen. Das ist im Übrigen auch der Grund, warum es kein großes männliches Äquivalent zur Frauenbewegung gibt. Nicht, weil es uns dermaßen gut geht. Sondern weil wir wissen, dass unsere eigenen Probleme sich auf dem Wege nicht anfassen lassen. Wir andere Bretter bohren müssen.
Bill Gates zur Sau machen. Und so das nicht klappt: Selbst ein Bill Gates werden.
Mehr Bekenntnisse eines bipolaren Bedenkenträgers gibt es: HIER.
Zu den politisch leider etwas unkorrekten Büchern von David Wonschewski geht es: HIER.