David Wonschewski | Schriftsteller

Kulturjournalist – Romancier – bipolarer Bedenkenträger

Bekenntnisse eines bipolaren Bedenkenträgers. Heute: Psychosomatische Grüße aus, ja, wo bin ich hier eigentlich?

Liebe Mama,

ich sende dir viele Grüße aus dem Urlau der Kur. Der Essen ist lecker, den Wetter schön, nur die Gegend nervt, bildet sich so einiges darauf ein die eine und einzige Gegend hier in der Gegend zu sein. Was de facto zwar stimmt, ich finde nur, dass man es nicht so heraushängen lassen muss. Egal, Hochmut kommt vor dem Fall, sage ich immer, und siehe Foto, geht schon los, nicht nur die Revolution, auch der Strukturwandel frisst seine eigenen Kinder. Apropos berühmte Sachbuchtitel, brennt im Kreml eigentlich immer noch Licht? Man kriegt ja so wenig mit hier im Urlau Kur. Ansonsten weiß ich nur Gutes zu berichten, den berühmt-berüchtigten Kurschatten habe ich mir schon nach drei Tagen eingefangen, siehe wieder Foto, ich trage ihn wie ein kajales Kainsmal unter meinen beiden in tiefer Nacht vor lauter Lebenslust weit aufgerissenen Irissen. Der korrekte Plural wäre zwar “Iriden”, aber dann wäre es noch weniger lustig, als es das so schon nicht ist.

Ansonsten bin ich schwer begeistert, liebe Mama, wie die meine manischen Schübe hier behandeln und endlich einmal korrekt angehen. Einfach mal ich selbst sein dürfen, einfach mal auf die Gesellschaft da draußen einen großen Haufen setzen, ach, das ist schon ein toller Ansatz. Und was man da alles geschafft kriegt! Ich habe hier bereits meinen nächsten Roman fertiggestellt und weil ich gerade so nett im Schwung war auch gleich den übernächsten, habe Bungeejumping mit und ohne Seil gemacht, auch Motorradführerschein, den für LKW gleich hinterher, schlussendlich, gewissermaßen als kleiner Absacker einen Panzer auf dem Parkplatz vorm Lidl einparken gelernt (das ist ein Gefrickel, komplizierte Sache, wenn man sich aber klarmacht, wie egal einem die Gesellschaft ist, geht es ganz gut, vor-zurück, vor-zurück, drin), einen Ironman gewonnen (aber auch nur, weil mir das alles echt zu lahm vonstattenging), zudem einen Vorschlag ausgearbeitet, wie man die ganze Anlage hier bedeutend modernisieren könnte und den Therapeuten nach der Lektüre einiger grundlegender Fachbücher mit viel unwiderstehlichem Charme ihren eigenen Job erklärt. Und da ja immer was von Carpe Diem gefaselt wird, habe ich den Rest des Tages dann genutzt, mir das neue Noel Gallagher-Album anzuhören, wieder und wieder, dann seine Telefonnummer in Manchester ausfindig gemacht (was ich nicht alles hinkriege, wenn ich mal ungebremst ich selbst sein darf) und mich dafür bedankt bei ihm, auch wieder und wieder und als er auflegte, nun, ihn erneut angerufen, ebenfalls wieder und wieder, aber auch nur, weil ich mir nicht sicher war, ob das mit dem Dank so recht herübergekommen ist bei dem ersten halben Dutzend Anrufen. Er behauptete zwar er kenne mich nicht, das kann aber gar nicht sein, denn bei meinem siebten Anruf beispielsweise nahm er ab und schrie: “Sie schon wieder!”, ha, von wegen Oasis-Schlaufuchs, quod erat demonstrandum, so was sagt man ja nicht zu einem, den man nicht kennt.

Na ja, liebe Mama, das war der Montag. Am Dienstag will ich mir mal einige Dinge vornehmen, die im grauen Alltag sonst liegen bleiben. Einen neuen Schnürsenkelknoten für Hipster kreieren, eine fundierte Bibelkritik verfassen, zum Provinzfriseur hier gehen, mich auf den Stuhl setzen und schauen, was passiert, wenn ich ganz freundlich sage: Einmal Kim Jong-un, bitte. Und wenn das nicht so knallig bunt ist, wie ich es mir vorstelle, dann notgedrungen danach auf die Straße rennen und schreien: Ich bin Travis Bickle! Der Zustand von Party war noch nie eine Selbstverständlichkeit, liebe Mama, man musste schon immer ordentlich was tun dafür.

Nur am Sonntag war doof, da wollte ich in die Sauna, das haben die mir aber verboten, weil die haben keine. Das fand ich als Argument so schwach, ich habe viel geweint den ganzen Abend.

Und bin dann trotzdem einfach reingegangen.

Du siehst, kein Grund sich Sorgen zu machen, liebes Mammerle, ich wachse und wachse, schon heute Abend werde ich nach den Sternen greifen. Nichts gegen Musk, Bezos und Branson, sind mir nur auch einfach zu lahm, die Jungs, da fehlt es mir entschieden an Visionen, Utopien. Und Doppelwumms.

Dein singendes, schwingendes

Davidle

Ein Kulturjournalist tobt sich aus – „Schwarzer Frost“, “Zerteiltes Leid”, “Blaues Blut”, die bitterbösen Romane von David Wonschewski.  Mehr Informationen zu diesen Büchern entnehmen Sie bitte den Seiten dieses schattigen Blogs. Oder aber tummeln sich direktHIER

Kommentar verfassen

Information

Dieser Eintrag wurde veröffentlicht am 18. Juli 2023 von in Bekenntnisse eines bipolaren Bedenkenträgers und getaggt mit , , , , .
%d Bloggern gefällt das: