von David Wonschewski
3 von 5 Sternen
Manchmal drehe ich in Sachen Naturschutz ein wenig auf. Dann sage ich: Nehmen wir das Wort “Fliegenklatsche”! Ist mir egal, wie viele putzige Katzenbilder du ins Netz stellst, wie viele Hundewelpen du aufgezogen hast, wie viele Pferdeposter deine Kleinmädchenzimmerwände zierten – verwendest du in diesen sprachpolizeilichen Zeiten noch immer einen unsäglichen Begriff wie “Fliegenklatsche”, hast ein solches Gerät im Haus, nutzt es ab und an gar, so hast du das Recht verwirkt mir irgendwas von Tierliebe oder -schutz zu erzählen. Da lachen dann nämlich wirklich mal die Hühner!
Und dann rede ich mich in Rage, schiebe fast schon brüllend hinterher: Apropos! Gehörst du zu jenen Menschen, die dem Drang erliegen, Tiere zu domestizieren oder sich solche – mir wird bei der Formulierung schon anders – zu “halten”? Dann dokter an deinem offensichtlich kaputten Ego herum, lass’ dich therapieren, aber lass’ um Himmels willen Hamster, Wellensittich und Goldfisch da raus!! “Liebe mich, schließlich fütter ich dich!” – kränkere Verhältnisse gibt es doch gar nicht!
Wenn ich mich etwas abgeregt habe, dann klatscht mein Onkel mir immer so fies schleppend-ironisch Beifall. Was daran liegt, dass er sich – im Gegensatz zu mir – als Tierschützer begreift, sich so nennt. Weil er Vegetarier ist. Tieren zuliebe vor vielen Jahren in ein kleines Landhaus in der niedersächsischen Idylle zog. Wo er sich nun um allerhand Tiere kümmert, inklusive traumatisierten rumänischen Straßenhunden.
Wie gut, dass mein Onkel älter und tatsächlich weiser ist als ich. Und meiner Ansicht gar nicht widerspricht, da er sie gut dechiffriert hat. In meiner Tierschutzsicht spiegelt sich der Misanthrop wider, der ich bin. In seiner der Philanthrop, der er ist. Ich sage, je weniger der Mensch Hand an die Natur legt, desto besser. Und dass jeder, der beständig davon quatscht, dass Tiere eine Würde haben, dann aber schön mit Bello an der Leine durch den Park spaziert bigott ist. Mein Onkel hingegen erklärt mir in aller Ruhe – er neigt nicht so zu cholerischen Flüchen wie ich – dass er meinen Gedankengang durchaus korrekt findet. Dieser aber ein Problem hat: Wir haben leider nicht mehr das Jahr 1750. Wir Menschen haben in der Natur zu viel vermurkst, um uns noch raushalten zu können. Wir haben nicht nur die Pflicht, Tieren zu helfen, wir haben eine regelrechte Bringschuld. Der jeder Mensch nicht nur nach Kräften nachkommen muss, sondern auch kann. Denn der Mensch ist durchaus zu Gutem fähig, kann angerichteten Schaden reparieren.
Hm. Ob hier wohl noch irgendwas über T.C. Boyle und sein Buch “Wenn das Schlachten vorbei ist” kommen wird? Mit Verlaub, ich rede schon die ganze Zeit darüber. Denn, zugegeben, als ich vernahm, dass dieses Boyle-Werk was mit Tierschutz zu tun hat, mochte ich zunächst nicht zugreifen. Aufgrund mieser Erfahrungen fürchtete ich die x-te Schwarz-weiß-Version dieses Themas: ein paar kleine und furchtbar nette Menschen gegen böse geldgeile Konzerne. Frei nach dem Motto: “Wir kaufen zwar alle unser Fleisch im Discounter – aber was der Tönnies da macht, das geht einfach mal gar nicht! “. Das ist so aufrichtig wie Fußballnationalspieler (Schürrle, Höwedes), denen am Ende ihrer Karriere einfällt, sich flugs nochmal von exakt dem System zu distanzieren, dessen integraler Bestandteil und somit auch Stütze sie jahrelang waren. So was ertrage ich nicht. Ich muss bei sowas immer schreilachen.
Aber es ist halt T.C. Boyle. Und der ist für Plattheiten wahrlich nicht bekannt. Und siehe da, es findet sich in “Wenn das Schlachten vorbei ist” keineswegs der befürchtete Kampf guter Ansichten gegen schlechte Ansichten. Sondern von, wie bei meinem Onkel und mir, gut gegen gut. Mitsamt – zwischen den Zeilen immer wieder durchschimmernd – diesem Misanthropen-Philanthropen-Ansatz. Zwei Naturschützer mit konträren Überzeugungen bekämpfen sich über Jahre hinweg. Auf der einen Seite die Biologin Alma Boyd Takesue, die auf den Santa-Barbara-Inseln Projekte zur Ausrottung von Tierarten leitet, die dereinst vom Menschen eingeschleppt wurden und die endemische Fauna und Flora bedrohen. Ihr gegenüber: Der Unternehmer Dave LaJoy, der jede Tötung von Tieren ablehnt und Alma entgegenhält, dass es in der Natur keinen Sollzustand gibt. Immer wieder versucht der radikale Aktivist LaJoy, der die Tötungsaktionen der Biologin zu sabotieren.
Was Boyle enorm gut gelingt, ist, den Wahnsinn dieser Auseinandersetzung darzulegen. Denn beide wollen das Beste für die Natur, die Tierwelt. Die Wissenschaftlerin Takesue jedoch plädiert dafür, von Menschen initiiertes Ungleichgewicht so gut es geht rückgängig zu machen. Ratten gehören nicht zum Ökosystem der einen Insel, Schweine nicht zu dem einer anderen. Sie wurden von Menschen eingeschleppt, haben sich hemmungslos vermehrt und drohen nun allen anderen Tierarten den Garaus zu machen. Und wie kriegt man Tausende Schweine, die man ja aus veterinären Gründen auch nicht woanders hin exportieren kann, weg? Richtig: Jäger anheuern, totschießen. Und Ratten? Genau: Chemie. Dave LaJoy wird bei all dem schlecht, all die grundlos erschossenen Schweine, all die sinnlos und qualvoll verendenden Ratten…
Boyle überzeichnet seinen unnachgiebigen Aktivisten LaJoy zwar ein wenig, doch sieht man sich Aktionen und dort gefilmte oder fotografierte Gesichter aus jünger Zeit an, so scheint er keineswegs unrealistisch: Ein privilegierter und wohlhabender weißer Mann, der mit Mitte 40 meint Dreadlocks tragen zu müssen. Das sagt schon viel aus. Dazu sein unverhohlener Hass auf Penner, kleine Angestellte, Leute, die nicht nach seiner Pfeife tanzen. Rücksichtlos war Dave LaJoy schon immer, zum radikalen Tierschützer aber wurde er erst als seine Elektronikgeschäfte richtig gut liefen, er als Chef zunehmend Kohle und Zeit hatte für: irgendwas. Auch wenn der Roman von 2011 ist, so hat Boyle hier etwas eingestrickt, was auch der aktuellen “Fridays for Future”-Bewegung anhängt: Man muss schon verdammt privilegiert sein, um derlei Aktionen durchführen zu können. Ja, Dave LaJoy ist so eine richtig fiese Möpp, selten wirkten Dreadlocks auf einem Männerschädel fehlplatzierter. Der Misanthrop. Aber: Er argumentiert aus der Hüfte, aus dem Herzen, reibt sich auf, riskiert viel.
Wie anders Alma. Alma ist hochsympathisch, im Gegensatz zu Dave LaJoy ein in sich permanent zaudernder Mensch, jedoch wahrlich daran interessiert für alle – Menschen wie Tiere – das Beste zu erreichen, mit Vernunft zu argumentieren, auch vermeintliche Gegner mit einzubeziehen. Dass sie gen Ende des Romans schwanger wird, obschon sie i jungen Jahren dagegen war weitere Menschen auf diesen Planeten zu setzen, das spricht Bände. Eine echte Philanthropin, getrieben vom Menschen verursachten Schwachsinn zu reparieren.
Wer in dieser Auseinandersetzung die Oberhand behält und ob auch die Tiere schlussendlich was haben davon, das soll hier nicht verraten werden, selbst lesen lohnt. Es muss jedoch darauf hingewiesen, dass dieser Boyle deswegen “nur” 3 Sterne von mir erhalten hat, da es ihm in diesem Roman relativ schlecht gelingt ein an sich großes Talent adäquat zu handlen. Die Protagonisten sind für sich gut gezeichnet, geraten in diesem Aufeinandertreffen jedoch zu oft schablonenhaft. Dazu die vielen eingestreuten kleinen Einfälle, die Boyle zwar toll erfindet, aber für seine Verhältnisse ungelenk in die Story quetscht. Zum Beispiel Alma, die auf dem Weg zu einem Meeting ein Eichhörnchen anfährt, dass halbtot vor ihr auf der Straße liegt, aber nicht verenden will. Selten etwas so Markerschütterndes gelesen wie Boyles Schilderung dieses Eichhörnchens, das Alma mit großen schwarzen Augen ansieht. Alma aber hockt da minutenlang wie blockiert – was tun mit dem Tier? Bis ein Junge auf seinem Skateboard vorbeikommt, nicht lange fackelt, dem Eichhörnchen mit einem kräftigen Tritt den Schädel end-zermatscht (man muss es leider exakt so sagen). Eine grandiose, gleichermaßen emotionale wie heftige Szene, die den Leser ratlos zurücklässt: Wer handelte hier fahrlässig, der rigorose Junge oder die ewig zögernde Alma?
Nur halt doof, fast etwas plakativ in den Roman gedrückt. Ein weiteres Pfund, das seit jeher den Reiz von Boyle-Romanen ausmacht, kommt hier ebenfalls voll zum Tragen, wird aber eben auch mehr schlecht als recht, tja, zwischen die Zeilen geschmiert: Fachkenntnis. Wer einen Boyle-Roman liest, der lernt jedes Mal unfassbar dazu, der Mann ist ein Rechercheur vor dem Herrn, ein lupenreiner GEO-Redakteur ist an dem Amerikaner verlorengegangen. Auch in “Wenn das Schlachten vorbei ist” transportiert er wieder so viel Geschichte, so viel Forschung, dass man sich nach der Lektüre fühlt, als hätte man gerade ein Proseminar in Biologie, Chemie, Ernährungswissenschaften, oder Zoologie abgeschlossen. Nicht zu vergessen: Amerikanistik.
Fazit: Ein für Boyle ungewohnt hölzern daherkommender Roman, der sich gewohnt hellsichtig zwischen alle Stühle setzt.
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Vielen Dank! Naja, 3 Sterne heißt ja nicht, dass es nicht lesenwert wäre. Wie gesagt, allein vom Lernfaktor her und um aufzuzeigen, dass es Schwarz und Weiß nichtmal im Naturschutz gibt, ist es hervorragend. Beste Grüße!
Danke für die Rezension! Die Storyidee macht mich aber doch sehr neugierig trotz deiner Kritik 🙂