von David Wonschewski
Da werde ich doch gleich mal stutzig. Wenn eine Frau nur mit ihrem Hund in eine einsame Waldhütte zieht. Den Kontakt zur Außenwelt abbrechen lässt. Und gar nicht mal so schlecht an und über ihren jüngst verstorbenen Ehemann denkt. Ja meint denn die verdammt gute Ottessa Moshfegh, ich hätte zu Abizeiten, gezwungen von meiner feministisch-freiheitlich überdrehten 68er-Lehrerin, nicht Marlen Haushofers Kultbuch “Die Wand” (1963) lesen mussdürfen? Wäre nicht einer von nur vier Jungen im Deutsch-Leistungskurs gewesen, denen diese aktivistische Genderkämpferin, gefangen im Körper einer biestigen Oberschulpädagogin eine naturgegebene Verständnissperre für Frau Haushofers eigentliches Thema unterstellt hat? Ja, genau, Atomkrieg und so, haha. Und “Der Tod in ihren Händen” von Ottessa Moshfegh voll der Krimi.
Nochmal haha.
Das muss ich erklären. Ich selbst, voll der Kerl, habe vor ziemlich wenigen Dingen Angst. Genaugenommen kenne ich nur zwei sehr konkrete Ängste: die vor Höhe und die vor mir selbst. Alles was dann noch kommt, läuft für mich schon nicht mehr unter Angst, sondern tuckert auf der “wenig ratsam”-Schiene durch mein Leben. Es ist wenig ratsam die Verfolgung eines Amokläufers aufzunehmen, wenig ratsam heldenhaft eine Bombe zu entschärfen, überhaupt nicht zu empfehlen am zweiten Sonntag im Mai kein Muttertagsgeschenk zu haben. Und: Allein in ein Haus im Wald zu ziehen, ohne Telefonanschluss, kein Fernsehen. Und komme mir jetzt keiner mit Thoreau. Wenn eine Frau Anfang 70 nach dem Krebstod ihres Mannes sich dennoch genau dazu entschließt, dann weiß ich sofort, dass die Geschichte nicht gerade anfängt, sondern gewissermaßen vor der ersten Seite liegt. Und geprägt von Marlen Haushofer, deren Protagonistin in “Die Wand” durch einen vermutlichen Nuklearschlag ebenso im Wald veharren musste, freue ich mich grizzlybärig – wir befinden uns in Nordamerika – auf die Story, die mir jetzt aufgetischt wird. Von Vesta, der älteren Dame. Die mit ihrem Hund spazieren geht, einen Zettel findet, auf den jemand schrieb: “Sie hieß Magda. Niemand wird je erfahren, wer sie ermordet hat. Ich war es nicht. Hier ist ihre Leiche.” Nur ist da keine Leiche. Auch kein Blut. Und bei Vesta springt voll der Film im Schädel an, sie versucht sich einen Reim auf diesen Zettel zu machen, findet erste Indizien, Verdächtige offenbaren sich, schon bald ist sie einem Verbrechen auf der Spur.
Wenn ich sage, dass ich auf Seite zehn schon wusste, wie das Buch sein wird, wie es endet, dann sage ich das nicht in der Hoffnung, dass man mich für unsagbar welterfahren und clever halte (obwohl, schön wäre es schon!). Ich sage es, weil ich mich gerade deswegen auf den Rest des Buches freute, in der seltsamen Lage war genau deswegen jede Seite zu genießen, in der klaren Gewissheit, nach Zeruya Shalev endlich – endlich! – eine zweite Autorin gefunden zu haben, die verstört-trotzige Frauenfiguren mit Hang zu Selbsthass und Drang zu Selbstjustiz in die Welt setzt, denen ich mich nicht versagen will, mich nicht entziehen kann.
Es gehört zur Eigentümlichkeit dieses Romans, dass jedes weitere Wort zur Handlung schon zu viel wäre, weil de facto so richtig viel auch gar nicht passiert, hier im Grunde genommen einfach nur eine alte Frau im Wald hockt und durch einen zufällig gefundenen Zettel gar herrlich ins Spekulieren gerät. Sich ausmalt, wer diese Magda wohl gewesen sein könnte, wie die Psychologie eines Menschen beschaffen sein muss, um ausgerechnet einen solchen Zettel mit diesem Text zu hinterlassen. Und sich darüber zu ärgern, dass, würde ihr Mann Walter noch leben, der gewiss längst wüsste, wer in der Einöde des Provinzkaffs Levant mit seinen paar verprenkelten Einwohnern der Täter ist. Weil Walter Akademiker war, sich im Gegensatz zu ihr nicht immer in Gedanken und Befindlichkeiten verhedderte, logische Schlussfolgerungen ziehen konnte. Immer genau wusste, was zu tun ist, ein Zögern nicht kannte. Ihr stets auf die Sprünge half, sie ermunterte, was aus sich zu machen, sie umsorgte, ihr ein abgesichertes, behagliches, privilegiertes Leben ermöglichte.
Wie sang Mike Krüger 1975 doch so nett: Mein Gott Walter!
Nachdem ich bereits “Eileen” (2015) von Ottessa Moshfegh gelesen habe, gehe ich schon jetzt jede Wette darauf ein, dass die Autorin – ähnlich wie der von mir hochverehrte Philip Roth – ein Leben lang den im Grunde immer gleichen Roman immer wieder neu schreiben wird, Varianten des immer gleichen anbieten wird. Psychisch Versehrte erkennen sich halt am Gang, hast du diese eine Macke, dann hast du die ein Leben lang. Was man den meisten Autoren jedoch als Eintönigkeit auslegen würde, scheint bei Moshfegh ein nicht endendes Faszinosum zu sein, dass Sensibilität mit Brutalität auf eine Weise vermengt, wie ich es bei keinem Autor, schon gar nicht bei der eher zartbesaiteten Zeruya Shalev bisher erlebt habe. Und doch möchte ich der Form halber darauf hinweisen, dass dieses Buch vielen Lesern womöglich weniger gefallen wird. Es ist nicht der Krimi, der es zu sein verspricht, sondern ein Buch, das mitunter geradezu verschwurbelt gerät.
Stellen Sie sich einfach vor David Lynch dreht eine Staffel von Fargo. Ohne Drehbuch. Verliert mittendrin die Lust, brüllt laut am Set herum: Mir doch egal! Für mich eine güldene cineastische Vorstellung, für viele eine filmische Zumutung, ein Graus. Diese Graus-Leute werden auch mit diesem neuen Moshfegh-Roman womöglich wenig anfangen können.
Lesen Sie auch auf diesen Seiten: „Tanz auf Buchrücken“, der zwar feministische, dennoch halbwegs geschlechtergerechte Genderaustauch. HIER.
Rezension zu “Eileen” von Ottessa Moshfegh lesen: HIER.
Weitere Rezensionen lesen: HIER.
Wie immer schön geschrieben!
Als überzeugter Moshfegh- (und Roth-)Fan macht Deine Rezension nur noch mehr Freude darauf, den hier schon bereitliegenden Band nächste Woche anzufangen. Danke für den amüsanten Bericht 🙂
Sandra