von David Wonschewski
Was sagt es über ein Buch aus, wenn der Lesende sich nach abgeschlossener Lektüre bollenstolz selbst auf die Schulter klopft, vor dem Schlafzimmerspiegel in Siegerposen verfällt? Überhaupt ein Gebaren an den Tag legt wie dereinst Rocky Balboa, nachdem dieser beim Hochgebirgstraining im Endsprint einen Berggipfel erklommen hatte? Ist das gut oder ist das schlecht? Ja, machen wir uns nichts vor, die drei ersten Romane von Mario Vargas Llosa zu lesen, das hatte viel von Schinderei, was eine Plackerei! Und doch mit dem pittoresken Effekt, dass ich stahlharte Lesemuskeln bekommen habe davon, ein ziemlich tougher Literatenschrank von einem Kerl geworden bin. Feingeistig schwitzend stehe ich in meinem selbtgeschaffenen 3Sat-ARTE-Boxring herum. Und brülle mit schiefem Stallone-Mund: Adriaaaannn!!! (sorry für diesen etwas arg maskulin geratenen Insider-Einstieg).
Weg vom Pathos, hin zum Buch, was bedeutet: zum Vargas Llosa der Frühphase. Bei seinem Debüt “Die Stadt und die Hunde” (1963) geht es um Militarismus und Bordelle. Dieses Konzept entwickelte der Peruaner dahingehend weiter, dass es beim Nachfolger “Das grüne Haus” (1966) dann um, ehm, Militarismus und Bordelle ging. Um bei seinem als Meisterwerk anerkannten “Gespräch in der »Kathedrale«” (1969) schließlich – never change a winning team – Militarismus und Bordelle in einen gemeinsamen Kontext zu stellen. Ich weiß, das klingt noch immer sehr maskulin orientiert, aber herrje, so ganz kann auch ich nicht aus meiner begeisterungsfähigen Haut.
Ja, ich weiß. Das klingt jetzt nicht so wahnsinnig viel anspruchsvoller als ein Stallone-Film. Ballern und Bumsen auf, hüstel, hohem Niveau also? Ja. Aber eben auch verdammt hohem Niveau. Dass diese ersten Vargas Llosa-Romane eine gewisse Leseplackerei darstellen, das liegt nicht nur an diesen letztlich immergleichen Sujets, die den Nobelpreisträger von 2010 bis heute nicht losgelassen haben. Sondern, zumindest zu Beginn seiner Schriftstellerlaufbahn, zuvorderst an seinem Stil. Derweil ich bei “Die Stadt und die Hunde” (Rezension: HIER) einfach nur an meine Verständnisgrenzen kam, scheiterte ich am “grünen Haus” vollends. Damit wir uns nicht falsch verstehen: Ich habe Handke und Johnson gelesen, so ein wenig widerstandsfähige Lesehornhaut habe ich ausgebildet. Vargas Llosa hat die in zweieinhalb Büchern kompromisslos weggerubbelt.
Man muss sich das so vorstellen: Vargas Llosa klatscht verschiedene Zeit- und Erzählebenen brutal aufeineinander, vermischt, vermengt, verknotet sie ohne Ankündigung, von einer Zeile zur nächsten. Oftmals weiß man nicht, wer da gerade spricht und wann und wenn man weiß, wer da gerade spricht, weiß man nicht wann und wenn das Wann klar ist, so hilft das nur wenig, wenn man nicht weiß wer. Manchmal haut er eine Dialogzeile einfach so in die Erzählung und wenn man gut ist, erinnert man sich, dass diese Zeile eigentlich ein Versatzstück der Situation von vor 45 Seiten ist, Zeitebene 3, Subthema 8c. Wenn man das aber nicht peilt, dann irrt und wirrt man herum, fragt sich, wo denn der „Don Cayo“ plötzlich herkommt, saß der auch mit am Tisch von Anfang an? Nein, saß er nicht. Der Autor hatte einfach Bock dem Leser den Mittelfinger zu zeigen. Sehr oft verzwirbelt Vargas Llosa die Erzählperspektive innerhalb eines einzigen Satzes und es ist ihm eine regelrechte Freude, mittels Namen Konfusion zu stiften. Dass einer der Protagonisten Santiago heißt, das hat man schnell raus. Dass er aber derselbe ist wie jener “Flaco”, der in einem anderen Erzählstrang auftaucht, das braucht eine Weile. Oder was gäbe man für ein kleines vorgeschobenes Personenregister. Da könnte man dann lesen, dass eine wichtige Person mit vollem Namen “Cayo Bermudez” heißt. Und käme nicht erst auf Seite 180 darauf, dass “Don Cayo” und “Señor Bermudez” gar nicht total intelligent angelegte Gegenspieler sind …
“Das grüne Haus” habe ich diverse Male gegen die Wand geworfen. Bei der “Kathedrale” habe ich mich 180 Seiten lang geärgert, dass ich es doch wusste wie Vargas Llosa schreibt, und ich dennoch nicht die Finger lassen konnte von einem weiteren Roman. Doch dann, ziemlich genau auf Seite 180, machte es: klack. So etwas habe ich nie zuvor erlebt. Wie ein Tresorknacker, der ewig lang am Drehmechanismus feinjustiert, machte es plötzlich klack. Der Weltliteraten-Tresor ging auf und drin: Goldbarren. Mit einem Male, nach all der Plackerei, hatte ich den Vargas Llosa-Code entschlüsselt. Okay, ab einem Drittel macht der Autor es einem auch leichter und dem Vernehmen nach wurde er ab genau da, was seine gesamte Werkliste betrifft, immer zugänglicher.
Und doch, die letzten 400 Seiten der “Kathedrale” wurden für mich unbeschreiblich, da ich endlich gerafft hatte, wie man diesen Großmeister lesen muss, um literarische Hochkunst genießen zu können, permanent laut aufjauchzen zu müssen vor Freude. Ich muss das so ausführlich schildern, da mir bekannt ist, dass viele Leser die gleichen Probleme haben und eventuell verfrüht das Handtuch werfen.
Als ich ein kleiner Junge war, erklärte mir mein Vater, was es braucht, um ein sehr guter Schlagzeuger zu werden: die Fähigkeit mit den beiden Händen und den beiden Füßen zeitgleich vier verschiedene Takte zu schlagen. Schon mal versucht? Ich schaffe zwei. Literarisch betrachtet schafft Vargas Llosa sechs (er nimmt noch den Kopf und den Hintern dazu).
So. Zum Inhalt. Der Roman zeigt Peru unter der Diktatur von Manuel Odría, spielt in den 1950er-Jahren und beschäftigt sich mit dem Alltagsleben diverse Charakter aus unterschiedlichen Schichten. Vom hochrangigen Militär über den erfolgreichen Geschäftsmann bis zu Prostituierten, Chauffeuren und Studenten ist alles dabei. Die ehrgeizige Erzählung ist rund um die Geschichten von Santiago Zavala und Ambrosio jeweils gebaut; einer der Sohn eines wirtschaftlichen Opportunisten, der andere dessen Chauffeur. Ein zufälliges Treffen in einem Hundezwinger führt zu einem alkolgeschwängerten Gespräch zwischen den beiden und das in einer Bar namens, daher der Titel, “Kathedrale”. Während dieser Begegnung versucht Zavala die Wahrheit über die Rolle seines mittlerweile verstorbenen Vaters am Mord an einer berüchtigten Sängerin und, nun, Semi-Prostituierten zu ergründen. Und wirft dabei, ganz nebenbei, Licht auf die Funktionsweise einer Militärdiktatur.
Doch nicht nur das, auch wie eine solche aufrechterhalten wird, seziert Vargas Llosa durch die Auseinandersetzung der beiden. Und wie er das macht ist wahrlich atemberaubend simpel zu Beginn und hoffnungslos chaotisch gen Ende. Womit er letztlich auch aufzeigt, warum derlei Revolutionen stets mit fliegenden Fahnen beginnen und nach wenigen Jahren dann komplett vor die Wand fahren. Cayo Bermudez fungiert als Sicherheitsdirektor unter Präsident Odría, ein Job, der nett klingt, aber nichts anderes ist, als was beispielsweise ein Mielke für Honecker war. Eine fiese graue Eminenz im Hintergrund, per Rang weit unter Generälen stehend, aber bedeutend mächtiger, stets im Schatten agierend. Und Bermudez, der selbst gar nicht so wahnsinnig scharf auf diesen Posten war, lieber sein vorheriges Leben als provinzieller Bauer weitergeführt hätte – beherrscht die ganze Klaviatur. Vom charmanten Schmeicheln über das monetäre Korrumpieren bis hin zur charmanten Bedrohung. Und wenn der Präsident in eine Gegend Perus reist, wo er wenig beliebt ist, tja, dann sorgt Bermudez dafür, dass da Tausende von Leuten stehen, die ihn erwarten. Und wenn die einfach nur da stehen, aber so gar nicht fröhlich aussehen, dann findet er auch hier seine Wege das zu ändern …
Die Geschichte Santiagos ist ebenfalls enorm faszinierend, beschreibt Vargs Llosa hier doch einen typischen jungen Mann Ende der sechziger Jahre. Santiago wächst nicht nur als privilegierter Oberschichtler auf, er ist auch noch hochintelligent. Ihm stehen wirklich alle Türen offen. Und er? Schlägt sie alle zu. Kapitalismus ist ihm zuwider, Militarismus eh. Anstatt sich an der Elite-Uni einzuschreiben wählt er sich die Universität des Pöbels und wird dort Mitglied kommunistischer Widerstandsvereinigungen. So richtig ernst nimmt man ihn, den ach so verwöhnten Spross, dort natürlich nicht, da kann er sich einbringen und agitieren wie er will. Aber auch daheim nimmt ihn keiner ernst. Junge Leute rebellieren halt eine Weile, das gibt sich. Leider gibt sich bei Santiago aber gar nichts, er rastet in einer Art Widerstandshaltung ein, findet jedoch keine richtige Heimat dafür. Dümpelt ergo herum, verdingt sich als mies bezahlter Boulevardjournalist, hat gen Ende des Monats keine Kohle mehr, irgendwann auch keinen Bock mehr auf Politik.
“Wann genau hatte Peru sich in die Scheiße gesetzt?”, so lautet der zweite Satz dieses Romans. Eine Frage, der Vargas Llosa nicht nur auf Landesebene nachgeht, sondern auch an seinem Individuum Santiago zu analysieren versucht. So reicht begütert, so angefüllt mit Perspektive schrottet dieser alles, was er schrotten kann. Und mag am Ende, nach dem Tod des reichen Papas und selbst völlig am Arsch, nicht einmal das stattliche Erbe antreten.
Ich weiß nicht, ob ich die “Kathedrale” wirklich empfehlen kann. Zu oft war ich selbst kurz davor abzubrechen, aufzugeben. Dass ich es nicht getan habe, dass ich diesen seltenen Moment erleben durfte, in dem sich einem ein Chaos plötzlich erschließt, aus Grütze Gold wird, lässt mich jedoch einem jeden raten: Wer wie ich der Meinung ist, dass Kunst mit Kampf zu tun haben muss, dass der Geschmack einfach verabreichter Schluckware vergänglich ist, das Heruntergewürgte hingegen auf ewig bleibt – der muss an die frühen Vargas Llosa-Werke einfach ran.
Zwangshandlungsreisender, der ich bin, habe ich mir ja vorgenommen alle Vargas Llosa Bücher chronologisch zu lesen (nein, das ergibt keinen Sinn, vermeidet aber, zumindest bei mir, Pickel und Ausschlag, wenn ich an meinem Bücherregal vorbeilaufe…). Und hier eine gute Nachricht für alle, denen das unterm Strich denn doch zu maskulin geprägt erscheint: Das vierte, also hier aus dem Kellerloch besehen nächste Buch von Vargas Llosa, das heißt “Der Hauptmann und sein Frauenbataillon” (1973). Hm. Das Ballern bleibt also, aber die Chancen stehen gut, dass das Bumsen wegfällt….Adriaaaan!
Weitere Literaturbesprechungen gibt es: HIER.
Ein Kulturjournalist tobt sich aus – „Schwarzer Frost“, der bitterböse Debütroman von David Wonschewski. Mehr Informationen zu diesem Buch entnehmen Sie bitte den Seiten dieses schattigen Blogs. Oder aber tummeln sich direkt HIER.
Scheint wirklich viel drinzustecken. Und es scheint mir der “Stunde der Kommödianten” von Graham Green doch ähnlich. Der ist allerdings mit kleinerem Figurenpanorama zufrieden. Und er nimmt kein blatt vor den Mund, was US-Einflüsse im amerikan. Hinterhof angeht. Macht das der Llosa auch?
Heißt der Sicherheits-Chef jener Jahre dort wirklich Bermudez oder ist das ein Autoreneinfall und sprechender Name: DER Verschwindenlasser?