von David Wonschewski
Vergibt man fünf Sterne an einen Bukowski-Roman, so ist eine kurze einleitende Rechtfertigung unerlässlich. Das verlangt er einfach, der Anstand der Schmuddel-Romantiker. Und ein solcher bin, es ist nicht länger zu verleugnen, offensichtlich auch ich. Bin ich doch sogar bereit, dem amerikanischen Gossenpoeten etwas zuzugestehen, wofür ich andere Autoren gerne ins Kritiknirvana verfrachte. Denn was Bukowski machte, das machte er zwar gut. Doch war es, zumindest in Sachen Romane, auch immer das Gleiche. Schema X, mit seinem 1971er Debüt gefunden und dann immer wieder, nur leicht variierend, neu aufgewärmt. Es stimmt: Wer Bukowski nichts abgewinnen kann, der kann mir völlig zurecht mit jener Plattitüde kommen, wonach man, wenn man ein Buch von ihm kennt, im Grunde schon alle kennt. Ist absolut was dran. Und fragte mich jemand, welches Werk ich zum Einstieg ins sexistische Säuferparadies empfehle, so sagte ich: Egal. Nimm’ irgendeins. Doch ich sagte es nicht, nein ich riefe es, sänge es, freudig, jubelnd die Hände gen Himmel streckend, auf der Stelle hüpfend: Scheißegal – oh oh oooh ooh – scheißegaaal!
Na ja, wie man sich halt so verhält. Wenn man spätestens um 11 Uhr vormittags die erste Pulle im Hals hat. Himmel hilf – wie konnte es nur so weit kommen, dass ich einen Kerl glorifiziere, den mancher nachvollziehbar als triebgesteuerten Sausack abtut?
Ich entsinne mich, wie mir meine Mutter, ich war noch ein Teenager, Anfang der Neunziger, zum Namen Bukowski sagte: Muss man nicht lesen. Da geht es nur ums Saufen. Und Kopulieren. Widerlich. Tja, das hold-schützende Mutterurteil wirkte, der Spross, also ich, wurde zwar literarisch beflissen, schrieb gar selbst Romane, hatte jedoch bis zum Alter von 40 Jahren keine Lust, auch nur eines seiner Patschehändchen an eines der Bukowski-Ergüsserchen zu setzen. Wozu auch? Wie das mit dem Sex und dem Saufen und dem Abkacken in Gesellschaft, nicht selten unter freundlich-weiblichem Applaus, so ist, das weiß ich selbst. Da brauchte ich keinen ach so kultigen Bukowski für.
Warum ich mich, ich war gerade 40 geworden, plötzlich genötigt sah einen kräftigen Schluck aus der Bukowski-Flasche zu nehmen ( „Mann mit Ledertasche“, 1971) und einen zweiten glich hinterher („Faktotum“, 1975), schwierig zu sagen. Vielleicht weil ich nach einer meiner eigenen verworrenen, so hilflos romantisch durchzechten Nächte in den Spiegel sah und mir dachte: Eigentlich bist du ganz schön fertig. Keine Ehe, keine Kinder, Job Dreck, Wohnung Dreck. Alle Freunde Idioten und sogar die Hobbys Grütze. Keine Wahrheit im Wein, keine Wahrheit auf der Straße. Es ist das Warten, das dich zermürbt. Man wartet immer auf irgendwas. Nur um dann auf was anderes zu warten. Wenn das Leben eine Fahrt im Kettenkarussell ist, dann möchte ich aussteigen. Nein, keine suizidalen Gedanken. Mehr eine Sache von: Das, was ihr Leben nennt, kann mich mal. Wer immer “ihr” auch ist. Aus dieser Phase bin ich seit geraumer Zeit raus, neue Wohnung, neuer Job, emotionale Bindungen tiefer als ein Ozean Ihrer Wahl. Die Faszination an Bukowski aber ist geblieben, er verfolgt mich, als Pfandflaschensammler im Geiste.
Denn so wie ich damals vor dem Spiegel muss auch Bukowski sich zu einem frühen Zeitpunkt seines Lebens gesehen haben. Das ist keine wilde Spekulation, nein, es steht in seinen gleichermaßen schroffen wie lustigen Büchern. Diesen rauen Exzessen, zutiefst deprimierten Schilderungen einer verlotterten Existenz, die – und das ist der grandiose Dreh – viel zu müde ist, um aufzugeben, zu fertig mit der Welt, um eben dieser Adieu zu sagen.
Am Ende sind Bukowskis Charaktere nie, am Arsch dafür immer. Das trifft auch Nick Belane, den Protagonisten in “Ausgeträumt” zu. Belane ist Mitte 50 und verdingt sich als Privatdetektiv in Los Angeles. Klingt spannend, ist es aber nicht, wenn man keine Klienten hat. Und seine Arbeitstage eh lieber in Bars ausklingen lässt. Und sie dort auch einleitet. Von der Mittagspause gar nicht zu sprechen. Bukowski entwirft seinen Belane als groteske Noir-Schmuddeltype, eine Mischung aus Philip Marlow und Inspektor Columbo, mit ausgefranstem Hut auf der verschwitzten Birne und speckigem Trenchcoat überm aus dem Leim gegangenen Leib. In einem kargen Büro, Tisch, Hutständer, fertig. Ach ja und als eine Art Running Gag sehr lustig eingeflochten, der szenetypische Revolver, immer griffbereit in der Schublade.
Es läuft nicht viel bei Belane, was sich eines Tages ändert als ein Mann, den er gar nicht kennt, beginnt ihn dauernd anderen Leuten zu empfehlen. Weil er “der Beste” sei. Was Belane gerne glaubt und auch immer wieder als vortrefflichen Vorwand nimmt, keine Theke auszulassen. Denn wer genial ist, der braucht Denkpausen, hat sich Auszeiten verdient, klar. Wie dem auch sei, fortan klopft bei Belane immer wer an der Tür, sei es, um ihm einen kruden Auftrag zu geben oder aber ihn mit mysteriösen Worten zu bedrohen. Es ist Bukowskis großes Talent, hier mit wenigen Worten und in extrem knappen Dialogen gleich eine ganze elegante Literatur- und auch Filmsparte via Persiflage lustvoll vor die Wand fahren zu lassen. Da ist die gefährlich schöne “Lady Death”, die ihn beauftragt, einen fast hundertjährigen französischen Schriftsteller ausfindig zu machen, der eigentlich vor dreißig Jahren verstorben ist, sich aber noch immer in Los Angeles herumtreiben soll. Derweil ein Bestatter von einer (natürlich ebenfalls gefährlich schönen) Außerirdischen gestalked wird. Dem Ganzen die Krone setzt schließlich ein Klient auf, der möchte, dass Nick Belane den “Red Sparrow” findet. Ohne auch nur einen Hinweis darauf zu geben, was das überhaupt sein soll. Belane fragt aber auch nicht nach, sondern zieht einfach los und sucht danach. In der nächsten Pinte, zum Beispiel.
Das ist alles so absurd, dass es in einem unsäglichen Quark stranden könnte. Tut es aber nicht, was daran liegt, dass Bukowski seinen Protagonisten als derart misanthropisch und gescheitert darstellt, dass er viel zu phlegmatisch (und auch dauerverkatert) ist, um seine Aufträge mit allzu viel Sinn und Verstand anzugehen. Natürlich latscht ein hundertjähriger französischer Autor nicht quicklebendig durch Los Angeles (warum überhaupt Los Angeles? Und was will Lady Death mit dem, von dem?). Und natürlich gibt es keine Außerirdischen, und wenn es sie gibt, dann stalken sie gewiss keine bieder-bürokratischen Bestattertypen. Aber: wenn es Kohle zum auf den Kopf hauen in die leere Kasse spült, nun, dann kann man ja mal losgehen und überall und nirgendwo Ausschau halten. Im Buchladen. Im Park. Und natürlich und immer wieder in der nächstbesten: Sie wissen schon. Ein Hauch von Helge Schneider-Werken liegt über “Ausgeträumt” (wobei es chronologisch eher andersherum zu benennen ist, es ist Bukowski, der bei Schneider anklingt). Allein zu lesen wie Belane, der auch die Aufgabe hat, das Fremdbusseln einer vermeintlich frivolen Ehefrau mit Fotos zu dokumentieren, wiederholt mit gezücktem Revolver strunzstupide und wahllos in irgendwelche Räume stolpert und poltert, mit so richtig null Feingefühl für die observatorischen Finessen seines Berufs, ist wahnsinnig komisch.
Dass dieser Roman – der im Übrigen, etwas verstörend, im gleichen Jahr erschien, in dem Bukowski verstarb – nun 5 von 5 Sternen erhält (abgesehen von der 1989er Groteske “Hollywood”, auch ein 5er, bekommen die anderen Romane kümmerliche 4 Sterne), das liegt in seiner philosophischen Grundanmutung begründet, die hier deutlich umfassender, letztlich sogar positiver ausgelegt ist als in seinen anderen Romanen. Das näher zu erläutern würde auf Kosten des Geheimnisses um den “Red Sparrow” gehen, es würde bedeuten zu verraten, warum sich eine Klientin den blöden Namen “Lady Death” gib und warum die Suche nach einem doch eigentlich verstorbenen französischen Schriftsteller gar nicht so absurd ist wie zu Anfang gedacht. Das möchte ich dem geneigten Leser selbstredend ersparen. Nur so viel: Dass es Bukowski gelingt, eine echte Nonsense-Story auf engstem Raum via tiefter Lebensbetrachtungen noch zu einem runden Ganzen zu machen, lässt “Ausgeträumt” zum aus meiner Sicht besten Bukowski-Roman werden.
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Lesen Sie „Schwarzer Frost“, den Debütroman von David Wonschewski. Mehr Informationen: HIER.
Naja – vllt hab ich das Ding bei Erscheinen missverstanden. Es hat mir nicht sonderlich gefallen. Eventuell versuch ich es nochmal.
Als Einstieg und gelungen betrachte ich “Fast eine Jugend” die Autobiografie; die ist auch hübsch zynisch anphilosophiert.
Meine 2019er Wiederbegegnung mit dem “Liebesleben der Hyäne” (mein tatsächlicher Einstieg 1989) dagegen war irgendwie nix mehr – man wird älter.