von David Wonschewski
Den Anfang markierte seit spätestens Mitte sechziger Jahre der eine ganz andere Band: The Who. Die Gruppe um Pete Townshend bestach nicht nur durch ziemlich gute Songs, nein, sie revolutionierte die Musikszene auch in Sachen Krawall. Townshends Bewegungsradius auf der Bühne ist bis heute legendär, seine hundsteure Marotte, sein Instrument mit Ende des Konzerts an Verstärkern zu zerdeppern und in Boxen zu versenken ebenso – von späteren Combos kopiert und kopiert und wieder kopiert. Roger Daltrey am Mikro und vor allem Keith Moon am Schlagzeug standen ihrem Bandleader in nichts nach und es darf keck vermutet werden, dass The Who ohne den stoischen Ruhepol, Bassist John Entwistle, zur ersten wahrlich und wirklich explodierenden Band der Welt geworden wären. Doch sie explodierten nicht und – ebenfalls ein kleines Wunder, bei den Charakteren – implodierten nicht einmal. Und dürfen sich neben zünftigem Weltruhm somit das Prädikat anheften, über einige Jahre hinweg nicht nur in Sachen Attitude, sondern auch in Sachen Sound die lauteste Band der Welt gewesen zu sein. The Who Mitte der sechziger Jahre live zu erleben soll, so heißt es, neue Maßstäbe gesetzt haben, was so ein Trommelfell auszuhalten vermag.
Und so war es keineswegs arrogant von Townshend, als er gegen Ende der sechziger Jahre in einem Interview über die Aufnahmen zu dem Song “I can see for miles” sprach und schlankweg behauptete, diese Aufnahmen seien die lautesten, dreckigsten und dröhnendsten Musikaufnahmen EVER gewesen.
Nun, das waren sie vielleicht auch tatsächlich. Allerdings las dieses Interview einer, der dafür bekannt war, selten angefressen, dafür aber umso öfter herausgefordert zu reagieren: Paul McCartney. Die Beatles waren zu jener Zeit längst für alles Mögliche berühmt, die – vermutlich bis heute – größte, beliebteste, mitunter gar erfindungsreichste und auf ihre Art und zu ihrer Zeit revolutionärste Musikgruppe der Welt. Nur eines waren sie nie so recht, stanken in einer Kategorie gegen The Who oder vor allem die Stones mächtig ab: rau und roh, das konnten sie nicht. Anzüglich. Ungebührlich. Dreckig, das waren immer andere. Auch wirklich, wirklich wild (nicht bloß yeah-yeah-yeah-wild).
PaulMcCartney hatte in jenem Moment gerade einen fertig geschriebenen namenlosen Song im Halfter. Ein nettes Stück, allerdings keine kompositorische Glanznummer. Und McCartney wusste, wenn ihm nicht noch irgendein Kniff einfällt, verschwindet das Stück in der Versenkung. Und kaum hatte er das Interview von Townshend gesehen, fühlte er sich herausgefordert, dachte sich: Was The Who können, sollten doch auch wir schaffen. Wenn nicht gar noch besser, noch lauter, noch wilder.
Der Rest ist Legende: Die vier Ex-Pilzköpfe versammelten sich im Studio und malträtierten ihre Instrumente so gut sie nur konnten. Die erste Version fand noch in voller Planlosigkeit statt, 27 Minuten lang jammten sich die Beatles nonstop durch die seichte McCartney-Nummer, erkannten freudig, wozu sie in Sachen Lautstärke fähig waren, nahmen jedoch nichts auf, was sich auch nur im Entferntesten veröffentlichen lassen konnte. Viele verschiede Versionen von “Helter Skelter” wurden im Sommer und Herbst 1968 eingespielt, am 9. September schließlich die bekannteste, die auch auf dem “White Album” landen sollte. Besonders zu leiden hatte dabei Drummer Ringo Starr, der sein Schlagzeug mit derart viel Wucht bearbeitete, dass er nach wenigen Stunden schlichtweg nicht mehr arbeitsfähig war. Sein schmerzgepeinigter Aufschrei “I got blisters on my fingers!”, aufgenommen bei jenen Sessions, ist real und wurde später in die berühmt gewordene Version eingefügt.
Fuzz – die bewusst unsympathsiche Verzerrung des Klanges einer E-Gitarre mithilfe von Effektgeräten – gab es zwar bereits seit 1962 und auch die Rolling Stones hatten verschiedentlich schon darauf zurückgegriffen, doch es blieb, wie so oft, den Beatles überlassen, mit einem einzigen Song Neuland zu betreten, kommende Alternativbands zu beeinflussen und so nebenbei maßgeblich daran mitzuarbeiten Heavy Metal zur Welt zu bringen. Auch wenn der Einfluss anderer Bands maßgeblicher war, gilt “Helter Skelter” vielen als einer der ersten, definitiv aber der erste richtig erfolgreiche Metalsong.
Und was ist “Helter Skelter” nun? Ganz einfach: eine Rutsche, die in einem amerikanischen Vergnügungspark stand. Und was wollten uns die Beatles mit dem Text geheimnisvolles sagen, wenn selbst Ober-Killer Manson – zu doof zu schreiben – mit Blut “Healter Skelter” auf die Wände seiner gerade erst gemeuchelten Opfer schreiben ließ, dabei von einem Weltgericht, das in dem Beatles-Song angekündigt wird? Laut John Lennon, der dem Rolling Stone im Januar 1971 ein Interview dazu gab, ist die tiefere Bedeutung des Stücks: keine. Null. Niente. Ein typischer Lennon-Humor, der wusste, wie erpicht Intellektuelle darauf waren, hohe und höchste Bedeutungen in Rocksongtexten zu finden. Und dem klar war, dass er es sich erlauben konnte so blöd und plump zu texten wie er wollte, irgendwelche Idioten würden auch dann noch Weisheit und Spiritualität entdecken, sich den Allerwertesten abinterpretieren.
Weitere Musikgeschichten gefällig? Gerne! Zum Beispiel…
David Bowie – “Space Oddity” (1969) – HIER.
Oder Michael Jackson – “Beat It”. HIER.
Und noch viele weitere: HIER.
Ein Musikjournalist tobt sich aus – „Schwarzer Frost“, der bitterböse Debütroman von David Wonschewski. Mehr Informationen zu diesem Buch entnehmen Sie bitte den Seiten dieses schattigen Blogs. Oder aber tummeln sich direkt HIER.
Naja…. 1969 gabs bereits Hendrix. Spooky Tooth. Frijid Pink. … wer braucht da die Beatles mit “Möchte-gern-Rock”?
Liebe die Beatles! 🌸
Zeitlos gut… 👍🎸👍