von David Wonschewski
Fragte man mich bis vor einigen wenigen Jahren nach meinen Lieblingsschauspielern, so nannte ich immer Gunnar Björnstrand, Max von Sydow, Michael Caine. So ich mit einer Oberstudienrätin oder Geisteswissenschaftlerin sprach, durchaus auch Liv Ullmann oder Hanna Schygulla. Was man halt so antwortet, um gleich klarzustellen, wie unglaublich arty man ist. An sich auch eine gute Vorgehensweise für Profilneutoriker wie mich, nur dass die Zeiten, in denen das Gesprächsgegenüber mit diesen Namen was anzufangen weiß, zunehmend rarer werden. Irgendwann wurde es mir zu doof, meine Lieblingsmimen und -mämminnen umständlich und ungelenk erklären zu müssen wie eine nicht gezündete Pointe. Also begab ich mich auf die Suche nach einem Hollywoodstar, mit dem man sich nicht gleich und vollautomatisch aus jeder Gesprächsrunde selbst ausschließt. Ich gebe zu, Sean Penn hatte gute Chancen, doch dann wurde es: Christian Bale. Der einzige Hollywoodschauspieler für den ich sogar in Filme gehen würde, die mich thematisch nicht die Bohne interessieren. Was insofern interessant ist, da Christian Bales großer Durchbruch in einem Film erfolgte, den ich total beknackt finde: “American Psycho” (2000). Lag aber nicht an Bale, sondern daran, dass ich kurz zuvor das zugrunde liegende Buch gelesen hatte, von Bret Easton Ellis. Und wie das oft – nicht immer! – so ist, der Film dem Buch kein Stück gerecht wurde, es vielleicht auch nie konnte.
Wir reden hier von der Zeit um 2015 etwa, ich bin also, was Easton Ellis und Bale betrifft, “American Psycho” sowieso, ein Spätberufener. Bales Visage und die Schreibe von Easton Ellis, man kann es aber nicht sagen, machten etwas mit mir, was ich in der Form nie wieder erlebt habe. Es ließ mich eine Faszination an etwas erkennen, was im deutschsprachigen Raum Christian Kracht am besten repräsentiert. Irgendwas abgrundtief Verkommenes. Wie wollen wir das nennen? “White Trash” ist schon für eine andere Bevölkerungsgruppe vergeben. “Privileged Psycho”, vielleicht? Oder “bored to death” im wörtlichsten aller Wortsinne? Wobei es dieser Härtegrad ja nicht einmal ist, der mich fasziniert, auch wenn Easton Ellis sich in seinen Büchern manch widerwärtiger Brutalität aus den Fingern saugte, auch Bale mitsamt seiner Axt in der Verfilmung damals kurzen Prozess mit dem nicht minder charismatischen Jared Leto machte. Denn was Easton Ellis eigentlich und immer beschreibt ist die Langeweile, die entsteht, wenn an Not nicht zu denken ist. Kalifornische Teens und Twens, später snobistische dauerkoksende New Economy Banker, denen die Sonne von Malibu nicht nur auf, sondern auch aus dem Hintern scheint. Reiche Eltern, die Kids alle auf Eliteschulen, alle auch mehr oder minder gutaussehend. Tagsüber wird die feine Fassade gewahrt, an den Abenden in der reichhaltigen Szene von L.A. gekokst, gehurt, egal. Ängste? Keine. Dass die Frisur nicht richtig sitzt, vielleicht. Diese Leere, die entsteht, wenn man sorgenfrei ist, wenn man alle Optionen hat – Easton Ellis war einer der ersten Autoren, die das zu beschreiben wussten. Auch wenn es philosophisch natürlich nicht neu war, denn dass es mental gesünder ist, jeden Tag zur Arbeit gehen zu müssen als es einfach nur zu wollen, ist bekannt. Hat schon seinen Grund, warum keine Menschengruppe sich derart oft selbst das Licht auspustet als weiße westeuropäische und nordamerikanische Männer. Amoklauf auch. Die dunkle Kehrseite von Freiheit, Privilegien, ungehemmten Entfaltungsmöglichkeiten. Wer nicht mir glaubt, glaubt bestimmt Janis Joplin und ihrer von Kris Kristofferson geschriebenen berühmten Zeile, wonach Freiheit nur ein anderes Wort ist für “nichts mehr zu verlieren haben”.Die Bekanntheit von Bret Easton Ellis baut bis heute darauf auf, dass er ein vermeintlicher Skandalautor ist. Nun mag das für die mittleren 80er- und die beginnenden 90er-Jahre stimmen, er war es, der einen Traum von den USA zerdepperte, den andere zerdeppendere Autoren vor ihm noch nicht angetastet hatten. Und er tat es mit einer grotesken Überspitzung, seine Einfälle bezüglich sadistischer Gewalt lesen sich heute mitunter derart gewollt, dass man fast lachen muss. Machte aber nie einen Hehl aus der Tatsache, dass es dabei stets um ihn geht, er sich selbst heiter in den Hintern tritt. Wer Easton Ellis aber heutzutage mit der Sehnsucht nach Skandalträchtigem ansteuert, wird womöglich enttäuscht. Aber das ist normal, auch die Urgewalt der Rolling Stones lässt sich für Zuspätkommende kaum mehr nachvollziehen, man hört eher schnöden Mainstreamrock. Ich persönlich zähle ihn zu meinen Lieblingsautoren, weil er, wie er in “The Shards” bekennt, ein intuitiver Schreiber ist, dessen Gefühl von Entfremdung ihn auf die Straßen der Literatur treibt. Er bekennt im Roman, dass er oftmals selbst keine richtige Ahnung hat, worum es gehen soll, wo es enden wird. Ich kenne das sehr gut, ich schreibe genauso. Manchmal fragen mich Leute, worum es beispielsweise in meinem Roman “Schwarzer Frost” so geht. Ich renne dann immer weg. Ich kann das selbst nicht erklären, ich weiß auch nicht, worum es geht. Plot? Dialoge? Ehm, ja, in Ansätzen. Manchmal.
Wenn Sie nun hören wollen, worum es in diesem 720 Seiten-Kracher “The Shards” geht, ist auch das entsprechend schwierig zu sagen. Und Sie ahnen es: Genau das macht es für mich, klar, zu einem grandiosen Buch. Wobei ich jeden verstehe, der das Ding einfach nur Grütze findet. Denn Easton Ellis erfindet sich nicht neu, aber er erfindet sich.
Bitte was?
Ja, genau, der Roman ist für mich eine Art Meisterwerk, da es sich sehr einfach lesen lässt, man darf durchaus auch den Begriff Pageturner aus der Truhe holen. Aber ihn erklären, schwierig. Ich versuche es: der heutige, der echte Bret Easton Ellis erinnert sich – und begibt sich gleichsam zurück – ins Jahr 1981. Als er 17 war und Schüler an der Buckley School in Los Angeles. Das stimmt so weit, er lebte dort, war dort Schüler. (Es lohnt sich im Übrigen mal zu schauen, war da noch so alles war: Paris Hilton, Kim Kardashian, Alyssa Milano, Natalie Cole, Matthew Perry, Nicole Richie – ya know what I mean?). Bret Easton Ellis entwirft hier ein sonniges Jugendpanorama, das zumindest mich neidisch macht. Er spielt mit den typischen US-amerikanischen High School Klischees, den coolen Quartbacks, den immer hübschen Töchtern aus gutem Hause, dem kulturell so wahnsinnig spannenden Leben im Großraum L.A. – es ist alles so knackig geil, dass man direkt auswandern will. Easton Ellis wäre aber nicht Easton Ellis, wenn er hier plumpe Heimatwerbung veranstalten würde. Denn schnell macht er klar, dass Los Angeles seit jeher auch bekannt ist für seltsame Morde, Mordserien vor allem. Charles Manson sei hier nur als bekanntes Paradebeispiel genannt. Auch Sekten treiben dort besonders gerne ihr Unwesen, ebenfalls zwischen smoothem Hippieleben und grenzgefährdendem Wahnsinn. Als Bret 17 ist, endet sein sonniges Leben, als ein neuer, extrem sadistischer Serienmörder auftaucht. Wer nachforscht, findet heraus, dass auch das stimmt, es tauchte in jenen Jahren exakt dort ein solcher neuer Irrer auf, hielt die Menschen in Atem. Doch da irgendwann wird es fiktiv. Der junge Bret ist der einzige, der den Tod eines Mitschülers, mit dem er was hatte, als weitere Tat des “Trawlers” identifiziert. Und er glaubt sogar zu wissen, wer dieser Irre ist – der neue Mitschüler, Robert, der so wahnsinnig gut aussieht und so extrem charismatisch ist, dass Bret sich gleichermaßen angezogen wie abgestoßen fühlt von ihm….
Auch wenn man Easton Ellis gerade zu Beginn vorwerfen kann, es mit den Cliffhangern etwas zu übertreiben, ist der Roman spannend, zumal der Autor immer wieder lustvoll zwischen verschiedenen literarischen Erzählerebenen herumspringt. Nicht verwirrend, aber faszinierend, wenn er den jungen argwöhnischen Bret immer wieder ahnen lässt, dass er als künftiger Autor ja eh immer nur einer Erzählung folgt – und sei es seiner eigenen. Tatsachen mischen sich mit Fiktionen, der Autor ist der Erzähler ist der Protagonist, das Erfundene ist wahr, wie das Wahre erfunden ist. Keie Ahnung, ob das schon reicht, um zu sagen Easton Ellis habe hier ein neues Genre erfunden, die Selbstfiktionalisierung – scheint mir aber so.
Skandalträchtig? In gewisser Weise ja, durchaus. Allerdings eher in dem Sinne, dass er etwas vermeintlich skandalöses auf seine eigene penetrante Art auf Normalmaß stutzt. Denn “The Shards” ist zuvorderst ein unglaublich, nun, ehm, homoerotischer Roman. Ich bin nun wahrlich kein Spezialist für derlei Stoffe, aber es scheint zu stimmen: Werke, in denen Homosexualität eingewebt ist, als sei es nicht nur ein simpler Treiber für Humor, Drama, Tragik, Oscarnominierung, sondern als sei es das Normalste der Welt – was es ja ist – sind selten (Wer Tipps hat, ich lasse mir sehr gerne solche geben!). Der so traurig-stilvolle Colin Firth-Film “A Single Man” fällt mir ein. Klar, es ging um homosexuelle Liebe, wobei der Plot derart ist, dass nur wenige unique homosexuelle Spuren zu finden sind. Eine Liebestragödie, die Mann und Frau nahezu deckungsgleich auch so hätte passieren können. Ästhetisch wertvoll deswegen, da der Film wahrlich knallevoll mit homoerotischen Gedanken und Bildern ist, zugleich aber niemanden überfährt damit, nie mit der Moral- und Toleranzkeule kommt. Homosexualität nie das Thema ist, weder des Films, noch der Protagonisten. Ansonsten fallen mir bestenfalls noch die arg stilisierten Werbeclips und PR-Aktionen der Klamottenfirma Abercrombie & Fitch ein. Sinnigerweise eine Mainstream-Trendmarke des Establishments, die sich ihren Erfolg durch ihre berühmt-berüchtigten “Boys only”-Kampagnen sicherte, bewusst auf schwule Ästhetik setzte, ohne eine solche je zu propagieren.
Und nun Bret Easton Ellis, der vermeintliche Skandalautor. Einer jener bekennenden bisexuellen Zeitgenossen, bei denen man sich fragt, ob sie sich den angeblich an Frauen interessierten Teil nicht auch einfach klemmen können. Denn so sehr ich mich selbst als Fan des US-Amerikaners bezeichne, das mit der Damenwelt nehme ich ihm schon lange nicht mehr ab. Wobei es auch gut sein kann, dass er diese Seite von sich einfach stets etwas lahm ausmalt, um den Fokus mehr auf das legen zu können, was der ein oder andere als shocking empfinden könnte. Gay Sex. Und ja, so gesehen ist “The Shards” durchaus ein Werk, das so manchen an seine oder ihre Toleranzgrenzen führen dürfte. Gehen doch locker 300 Seiten für sehr ästhetische, nicht selten gar zärtlich-romantische homoerotische Fantasien drauf, die man in dieser Vehemenz tatsächlich bei aller Aufgeschlossenheit auch erst einmal verfolgen wollen muss. Oder aber für penetrant wiederholten, richtig harten Tom of Finland-Sex. Wem Tom of Finland nichts sagt, gerne googlen, danach aber besser den Browserverlauf wieder löschen. Und mich bitte nicht fragen, woher ich so etwas kenne.
Bedenkt man, dass Ellis ein Bestsellerautor des Mainstreams ist, so mag das zwar einerseits in seinem Skandalwunsch wohlkalkuliert sein, zugleich erscheint es mir zumindest jedoch als gleichermaßen ehrlich wie mutig. Und doch ist es für mich endlich einmal wieder eines jener Werke, die bei aller körperlichen Lust am eigenen Geschlecht zeitgleich kein Bohei um Homosexualität machen. Die ersten Seiten wartet man so ein wenig auf den großen Gesellschaftskonflikt, das große Traditionelle und Konservative, das den armen 17-jährigen Bret ausbremsen will, doch es kommt nicht. Denn es ist Kalifornien, es ist immer Sommer, alle sind jung, alle sind schön, alle haben reiche Eltern, alle koksen, den Kids sind die Eltern so egal wie andersherum, außen alle adrett, innen alle verwahrlost. Irgendwie ist jeder knackige Typ schwul und ist er es nicht, so ist er metrosexuell und ist er nicht einmal das, nun, so fantasiert man ihn sich eben so. Ja, das hat schon viel vom alterndenden Unidozenten Colin Firth in “A Single Man” wie der junge Bret über den Campus läuft und sich die schmucken Kerls nackt denkt. Wären es Heteros, so würde man vermutlich von Geifern und Glotzen sprechen, aber nicht so hier, Ellis versteht es tatsächlich seine Vorliebe für knackige junge Männer so zu beschreiben, dass das Ganze in gemeißelt Michelangelos David ergeben würde.
Er erzählt aber eben auch übergenau, was er mit seinen diversen schwulen oder bisexuellen oder sich noch orientierenden Mitschülern macht. Und wenn ich sogar manchesmal dachte “too much information!!!”, so darf sich das manch anderer durchaus als Warnung hinter die Ohren schreiben. Anfang der 2000er war ich in Berlin mal in einem schwulen Literaturladen, “Prinz Eisenherz”. Da gab es ähnlich heftiges Zeug in literarisch ansprechender Buchform. (Nein, habe ich mir nicht gekauft, herrgott!!…nur anz normal zwei Stunden drin geblättert…aus…Recherchegründen….).
Ich frage mich manchmal, was für eine Zielgruppe Bret Easton Ellis eigentlich hat. Und ob er spannend genug ist, um noch neue und junge Leser anzuziehen. Zielgruppe bin vermutlich ich, aber das hat wohl den gleichen Grund, warum ich auch weiterhin jedes Album der Band Interpol kaufe – war mal hot and new, ist inzwischen wie nach Hause kommen. Keiner labert so viel unnützes Zeug über Musik und Film wie er, es ist herrlich wie sinnentleert er die Go-Go’s, Icehouse, XTC, Ultravox, REO Speedwagon und viele – viele! – andere einstreut. Ich Poppfer hätte den Roman gewiss eher zu Ende gebracht, wenn ich nicht dauernd zur digitalen Musikschatulle hätte springen müssen. Voll Bock hatte mir das alles auch anzuhören. Gilt auch für den Bereich Film. Es ist L.A., Easton Ellis hat (bekanntlich) später selbst Drehbücher verfasst, doch, da kommt manch Anekdötchen herum. Wussten Sie, dass er zu seinem Debütroman “Unter Null” von 1985 maßgeblich durch Kim Wilde und ihren Videoclip “Kids in America” inspiriert wurde? Weil Kim Wilde bei diesem eigentlich doch jubilierenden Song die ganze Zeit so unterkühlt schaut, nie lächelt. Unter Null eben ist. Entfremdung par excellence.
Hach, gleich mal die digitale Videoschatulle anwerfen, ansehen, den Clip.
Worum es in diesem Superbuch geht? Pop und Tod. Und zwischendrin: Viel Prinz Eisenherz, der im Berliner Berghain ziemlich oft die falsche Tür erwischt. Dumdidum.
Ein Kulturjournalist tobt sich aus – „Schwarzer Frost“, der bitterböse Debütroman von David Wonschewski. Mehr Informationen zu diesem Buch entnehmen Sie bitte den Seiten dieses schattigen Blogs. Oder aber tummeln sich direkt HIER.