von David Wonschewski
Vorabfazit: 5 von 5 Sternen
Hat eigentlich, wie der Dramatiker Edward Albee in seinem berühmten Ehezerrüttungsstück Anfang der sechziger Jahre fragte, noch irgendjemand Angst vor Virginia Woolf? Nein? Wäre aber, so man den Lebenserfahrungen von Philip Roth glauben schenken mag, mehr als angebracht.
Mein Leben als Mann, der vierte Roman des Amerikaners, dieses immer so-fast-aber niemals-so-ganz Nobelpreisträgers, erschienen 1974, bildet wie so oft bei Roth dessen eigene Lebenserfahrungen ab. Hier im Besonderen seine ruinöse Ehe mit Margaret Martinson, die wir im Roman als Maureen kennenlernen, derweil sich Roth hinter dem Pseudonym Peter Tarnopol verschanzt, einem fiktiven jüdischen Autor, der, beruflich betrachtet, nach einem ersten großen literarischen Erfolg unter zunehmender Ladehemmung leidet, mit Mühe gerade noch ein paar Kurzgeschichten zuwege bringt. Und der sich privat an seiner Ehefrau und, wie er immer wieder betont, den Ehe- und Scheidungsgesetzen des Staates New York im wahrsten Sinne des Wortes die Zähne ausbeißt, sich derart an beiden ab- und zerreibt, dass er zunächst alle guten Sitten und Manieren verliert und schließlich unaufhaltbar gen Wahnsinn wandert.
Die Auseinandersetzungen zwischen Peter und Maureen nachzulesen ist emotional im Mindesten so zermürbend, ach was sage ich denn: zerfetzend wie Elizabeth Taylor und Richard Burton in der Kino-Adaption des Albee-Plots von 1966 bei ihrer Selbst- und Einanderzerfleischung zu erleben. Natürlich schildert Peter, schon der Romantitel weist darauf hin, die rein subjektive, mithin also auch rein männliche Sicht von Peter, der sich hier zunächst, zu Beginn des Romans, in zwei Kurzgeschichten, später dann gegenüber seinem Therapeuten, seinen Geschwistern, seinen neuen Liebschaften gegenüber in verachtende Tiraden hineinsteigert, die gleichermaßen amüsant wie entsetzlich zu lesen sind. Denn Peter ist und bleibt ein Intellektueller, ein Feingeist, ein hochintelligenter Durchdenker und psychologisch geschulter Sezierer menschlicher Verhaltensweisen – und ist doch machtlos gegenüber dem düsteren Strudel aus Wut und Verzweiflung, in den es ihn zieht und in den er sich mithin auch ziehen lässt. Und fassungslos, gerade das macht den typisch zynischen Humor Marke Philip Roth aus, angesichts der eigenen Dämlichkeit. Auf Maureens emotional ausbeuterische Winkelzüge wieder und wieder hereinzufallen, sich von ihr wie an einer Leine durch die Manege feministisch geprägter Frauenschutzvorschriften des Staates New York führen zu lassen.
Nun, wie nah die Figur der Maureen jener realen Ehefrau Margaret wirklich kommt oder inwiefern Roth hier einfach nur literarische Übertreibungen und dramatische Überspitzungen beleidigt und gehässig aneinanderreiht, das bleibt unklar. Aber selbst wenn es narzisstische und dauerbeleidigte Frauen wie Margaret gar nicht gibt, labile Freak-Frauen, die erst den eigenen Selbstmordversuch vortäuschen, später dann eine Schwangerschaft mitsamt Abtreibung erfinden, um arglos-idiotische Kerle wie den armen, armen Peter an sich zu ketten, mag sein, mag auch nicht sein. Doch auch wenn ein solcher Frauentyp von vorne bis hinten eine abstrus übersteigerte Erfindung ist: Es ist eine der besten, lesens- und hassenswertesten, cleversten und in dieser Gemengelage letztlich auch lustigsten Frauenfiguren, die sich in der modernen Literatur finden lassen dürfte. Zu lesen wie sie, mit ihren begrenzten intellektuellen Mitteln, Peter Tarnopol schlichtweg fertig macht ist ein Fest für eine jede Leserin. Und auch für einen jeden Leser, zumindest so dieser selbst noch keine Scheidung im Gepäck.
Nein, Mein Leben als Mann, ist kein reines Antifeminismusbuch, keinesfalls. Zu lustvoll, in bester Woody Allen-Art zu selbstamüsiert legt sich Peter Tarnopol dafür auf die Couch seines Therapeuten Dr. Singvogel (ein Name, der im Laufe des Romans noch zum Programm werden wird), lässt diesen immer wieder darauf hindeuten, dass Peter es doch ist, dessen Ego mit Rückschlägen nicht arbeiten kann, diese automatisch in Beleidigungen umdeutet, ja er doch der Narzisst ist, der alle Worte und Handlungen Maureens in sein kaputtes Weltbild aus Schuld und Sühne (Dostojewski wird neben Virginia Woolf als Lieblingsschriftsteller der Hauptperson benannt) presst. Und Philip Roth, das macht das Buch auch für Frauen wertvoll, scheut nicht davor zurück seine eigene privilegierte Stellung zu erkennen:
“Warum scheitern Menschen überhaupt? Im College hatte ich fassungslos jne Studenten beobachtet, die unvorbereitet zu Prüfungen erschienen und ihre Arbeiten nicht rechtzeitig ablieferten. Aus welchem Grund sollten sie soetwas freiwillig tun? Wie konnte irgendjemand die Schmach der Niederlage den wahren Freuden des Erfolgs vorziehen? Zumal Letzter sich doch so leicht einstellte: Man brauchte nur aufmerksam zu sein, methodisch, gründlich, pünktlich und ausdauernd; man brauchte nur ordentlich zu sein, geduldig, diszipliniert, unbeirrbar und fleißig und natürlich intelligent. Das war alles. Was konnte einfacher sein?”
Gerade diese Privilegiertheit, gerade diese Überlegenheit ist es, so wird im Laufe des Romans auch Peter zunehmend klar, die ihn zu zerrütteten, gescheiterten, kaputten Frauen treibt. Nicht obwohl sie seinem eigenen Lebensstandard so diametral gegenüberstehen, sondern gerade deswegen. Der hohe Geist, der holde Charakter, der gebildete, seit Kindesalter von Erfolg zu Erfolg eilende Mann – er scheitert brachial am übersteigerten Versuch, auch ein Frauenretter zu sein, geht daran zugrunde. Ob Peter Tarnopol dabei seinen Partnerinnen oder aber sich selbst mehr zumutet, ob es in diesem gealtigen Zerrspiel zwischen Mann und Frau möglich ist klar Opfer und Täter, Schänder und Geschändete, Übergriffige und Missbrauchte zu benennen, das lässt Roth gottlob den ganzen Roman über offen. Auch wenn der Roman aus männlicher Sicht geschildert ist, auch wenn ein jeder Leser jene Maureen Seite für Seite, wie Peter, anbrüllen, an die Wand drücken, von einem Hochhaus werfen möchte – es ist Peter, den man gleich hinterher schmeißen will. So weiß er über das Liebesspiel mit einer mittelalten, in ihrer frühesten Jugend zunächst vom Vater, später dann vom brutalen ersten Schläger-Ehemann mehrfach vergewaltigten Dame zu berichten:
“Ihre Oberschenkel waren kürzer als meine Unterarme und ihre Beine nur so weit geöffnet, wie ich sie mit meinen beiden Händen auseinanderspreizen hätte können. Doch ich presste meinen offenen Mund dorthin, wo sie bräunlich, verwittert, trocken war. Ich empfand dabei keinerlei Vergnügen, und auch ihr war nichts dergleichen anzumerken; aber immerhin hatte ich getan, wovor ich mich gefürchtet hatte: sie mit der Zunge dort zu berühren, wo sie geschändet worden war, als würden wir durch diesen Akt – es so auszudrücken war verlockend – beide erlöst.”
Ich kann mich nicht entsinnen, jemals ein Buch von einer derart psychologischen Schlagkraft, von einer derart entsetzlichen Tiefe gelesen zu haben. Ein Buch, bei dem ich zum ersten Mal seit Jahren über Seiten hinweg mit offenem Mund dem Geschehen, dem Gesagten folgte – um mich immer wieder prächtig zu amüsieren, laut lachend vom Sofa zu kugeln.
Ein Kulturjournalist tobt sich aus – „Schwarzer Frost“, der bitterböse Debütroman von David Wonschewski. Mehr Informationen zu diesem Buch entnehmen Sie bitte den Seiten dieses schattigen Blogs. Oder aber tummeln sich direkt HIER.