von David Wonschewski
Machen wir uns nichts vor: Zwar sind die wenigsten von uns Rassisten, aber rassistisch motivierte Scheren und Klammern tragen wir alle in unseren Hirnen. Und ich meine damit alle Menschen, alle Erdenbewohner, klar. Interessanterweise zeigt sich das oftmals eher im vermeintlich Guten, als im Schlechten. Letztens sagte mal ein für Entwicklung zuständiger Politiker sehr wohlmeinend und hypersolidarisch: “Wenn Afrika uns ruft, sind wir da!”. In einem sozialen Netzwerk kommentierte ein Afrikaner nur trocken: “Ja, und wenn wir euch nicht rufen – auch. Hatten wir alles schon.” Ha. Oder man nehme mich persönlich. Kennen Sie die absteigende Klaviatur des unverbindlichen Lächelns? Der Begriff ist von mir, aber beinahe jeder Mensch kennt dieses Phänomen von sich. Hier bei uns ist eine Moschee, dementsprechend oft begegnen mir Herren, aber oft auch Damen, aus dem arabischen Kulturkreis, freitags, klar, mitunter sogar im entsprechenden Gewand. Sie müssten mich mal sehen, wenn ich dann gerade z.B. vom Einkauf nach Hause komme, an denen vorbeilaufe. Einen fröhlicheren, im Stakkato allem und jedem zunickenden Grüßaugust als den interkulturell hochempathischen Herrn Wonschewski hat man selten gesehen. Ich nicke und lächle binnen zwei Minuten derart offensiv und plakativ gutgelaunt, dass ich richtiggehend Nackenstarre und Maulsperre habe hernach. Ich glaube, ich will damit etwas aussagen wie “Willkommen in unserem Land, man sieht es mir nicht an, aber ich war mal wochenlang in Palästina unterwegs, Bruder!”. Oder so. Auf jeden Fall strunzdämlich. Weniger wäre mehr, kriege ich aber nicht hin. Weil es Moslems sind. Und ich nicht so typisch deutsch bin, den Koran hier stehen, sogar mal drin geblättert habe. Und mal in Palä … ach, Scheiße. Ich kann es mir nicht abgewöhnen, kriege die übertriebene Freundlichkeit nicht aus dem Gesicht. Wenigstens grüße ich auf Deutsch und nicht auf Arabisch, wie die ganz Irren. Es besteht also noch Hoffnung für uns alle.
Eine Klaviatur ist es, weil in der Lächelliga darunter alte Menschen und geistig leicht Versehrte sind. Wir haben nicht nur eine Moschee umme Ecke, auch eine große Heimanlage für eben solche. Sie merken schon, in meiner Gegend wird einem immer was geboten. Wenn mir also Alte oder Versehrte entgegenkommen, lächle ich nicht ganz so aufdringlich, aber immer noch offen und direkt. Natürlich sind mir diese konkreten Alten und Versehrten ein wenig herrlich egal, die glotzen ja auch immer nur durch mich durch, aber die Um- und Nachwelt soll mich schon als einen in Erinnerung haben, der immer Augen, besser einen Mund, für die Schwachen der Gesellschaft hatte. Na und unter den Alten und Versehrten liegen dann nicht muslimische und nicht geistig umnachtete Frauen. Faszinierend seltene Mischung hier in der Gegend, hüstel, aber kommt schon vor. Da zeige ich dieses typische kurze Mundwinkelzucken, diesen Hauch von Kopfnicken. Wobei auch hier absteigend, also je jüngerdie Frau, desto undeutlicher bis hin zu verschwindend gering. Sind halt komische Zeiten und Kerle schon für weitaus weniger eingebuchtet worden. Oder gleich in die Heimanlage für Versehrte umme Ecke gebracht worden. Insofern sie sich nicht rechtzeitig in der Moschee umme andere Ecke in Rettung bringen konnten. Gute Frage, gibt es eigentlich im Islam so eine Art Kirchenasyl für Sexisten? Wäre ja nur konsequent, irgendwie. Bruder.
Der Bodensatz der Gesellschaft sind schließlich meinesgleichen Männer, die lächle ich nie an. Können mich mal. Sollen zusehen, dass sie Land gewinnen. Biodeutsches Rassistenpack! Patriarchale Dreckssäcke! Autobahnfaschos! Wie gut, dass die von mir gewiss das Gleiche denken. Man versteht sich, man umgeht sich. Ich liebe diese Schweine. Tut immer gut, solche zu treffen. Ganz man selbst zu sein. Wie einfach wäre doch das Leben wären nur alle so wie ich. Ja ja.
Die absteigende Klaviatur des unverbindlichen Lächelns – denken Sie einfach dran, wenn Sie das nächste Mal aggressiv-fröhlich angegrinst werden von einem wie mir. Wir beißen nicht. Wir wollen nur Klavierspielen. Lernen.
Auf dem Foto sehen wir im Übrigen das Buch, das ich gerade lese – Eric Ambler – “Schmutzige Geschichte” (1967), sowie das, was danach folgt: Eine Band-o-grafie der Kinks. Die Kinks sind neben The Who meine Lieblingsband aus der Generation meines Vaters. Muss so eine Nachgeborenentaubheit sein, klar sind die Beatles und die Stones unglaublich, unerreicht, stilbildend etc. Irgendwas an denen ödete mich aber immer an, vielleicht einfach nur, dass sie Standard sind. So wie Goethe in der Literatur, der ist auch unfassbar, wirklich geil findet man den aber nicht. Oder so wie Gott in der Religion, der ist auch, hüstel. Und so weiter und so fort. Eric Ambler muss man Politthrillerfans nicht erklären, er gilt so ein wenig als Erfinder dieses Genres. “Schmutzige Geschichte” ist der dritte Roman, de ich von ihm lese. Was soll man sagen, Pageturner, man lernt eben auch unsagbar viel erneut über diplomatische Verstrickungen, unfassbaren Bürokratiewahnsinn und manipulationsbegabte Kartelle. Klingt anstrengend, ist es aber nicht. Denn im Zentrum der Geschichte steht ein Individuum, dass unverschuldet Passschwierigkeiten hat, plötzlich staatenlos ist. Niemand fühlt sich zuständig für ihn und so kann er gar nicht anders als sich auf Kriminelle einzulassen. Und so schlingert die arme Sau munter von der einen Dreckslache in die nächstgrößere Jauchegrube. Immer spannend, teilweise lustig. Kafka meets Kishon, irgendwie. Herrlich.
Ein Kulturjournalist tobt sich aus – „Schwarzer Frost“, der bitterböse Debütroman von David Wonschewski. Mehr Informationen zu diesem Buch entnehmen Sie bitte den Seiten dieses schattigen Blogs. Oder aber tummeln sich direkt HIER