David Wonschewski | Schriftsteller

Kulturjournalist – Romancier – bipolarer Bedenkenträger

Helau. Oder: Und, was lest ihr gerade so? / 17. Februar 2023

Das gab es seit über 20 Jahren nicht. Ich gehe zum Karneval. Sogar verkleidet. Meine erste Idee war, mir zunächst das Gesicht komplett zu schwärzen und mir dann einen Indianerschmuck auf den Kopf zu setzen. Sozusagen als Farbiger zu gehen, der wiederum als Indianer geht. Beides gilt ja mittlerweile als “geht gar nicht”, daher muss man es, schon rein historisch, an Karneval ja machen. Ist sogar, auch, so ein wenig der Sinn von dem Ganzen. Das zu machen, was so gar nicht geht, gegen jegliche Moral, Tugend und Sittsamkeit verstößt. Aber nein, keine Sorge, mache ich natürlich. Aus purer Arschlosigkeit. Habe keine Lust mich alle 150 Meter fragen lassen zu müssen, ob ich mich denn wohl für besonders witzig halte. Gerade an Karneval käme ich bei so einer Frage echt an meine philosophischen Grenzen. Wäre ja so ein wenig so, als würde man mich im Fußballstadion dauernd fragen, ob ich auch so ein Idiot sei, der auf Tore hofft.

Ich werde ganz normal als Schlampe gehen. Eigentlich soll es wohl irgendwas Dämonisches sein, aber mit schwarzer Langhaarperücke und geschminkt hat das eher was von: genau. Hat den Vorteil, dass man gerade im Rheinland, wo ich natürlich zelebriere (wo sonst?), vollkommen untergeht damit. Weil da alle so aussehen. Liegt aber auch an meinem Gang. Kennt ihr dieses Tisch-Deko-Spiel mit den fünf kleinen Eisenbällen, die am Gebälk hängen und man hebt den außen links an, lässt ihn auf die anderen krachen, woraufhin die äußere rechte Kugel ausschwingt und zurück und immer so weiter und weiter und weiter, wie von selbst? So ist das bei mir mit dem Hüftschwung. Komme ich einmal ins Laufstegmodeln, pendelt mich nichts mehr so schnell ruhig. Das geht dann Tack-Tack-Tack bei mir, wie bei einem Klaviermetronom. Und alle so: Doo-wha-diddy-diddy-damm-diddy-doo.

Nein, keine Handtasche. Aber danke der Nachfrage.

Ach so, ich lese gerade den Beweis dafür, dass Instagram nicht nur Zeitverschwendung ist. Anthony Powell. Aus, ich glaube, 12 Romanen besteht sein Zyklus “A Dance to the Music of Time”. Den haben mir zwei Rezensenten bei Instagram derart nervtötend in die Linse gehalten, dass ich mir dachte: Ein weißer privilegierter Autor beschreibt das Leben weißer privilegierter Männer der britischen Oberschicht – warum eigentlich nicht. Packt mich total bei meinem Karnevalsgen, siehe oben. Das lesen, was man aktuell eigentlich eher nicht so lesen sollte. “Tendenz steigend” (1952) ist der zweite Teil, der erste war auf eine schwer zu definierende Art gar herrlich, der zweite rockt schon wieder. Powell selbst wurde in Eton und Oxford ausgebildet, war mit George Orwell, Evelyn Waugh oder auch Graham Greene befreundet. Man sagt auch, er sei der englische Marcel Proust. Ich selber lese da mehr Fitzgerald heraus. Null anstrengend, seltsam elegant, lustig via british understatement. Und den vielleicht besten Heldengegenspieler, dem ich je begegnet bin. Widmerpool heißt er. In Band zwei sind sie gerade, tja, Mitte zwanzig etwa. Haben Großes vor. Derweil unser Held, Jenkins, aber talentiert, dafür wenig ambitioniert ist, ist dieser Widmerpool überambitioniert, zugleich ungelenk. Ich dachte ja immer, ein Schmöker kann nicht zugleich Literatur sein. Ist es aber bei Powell. Und im Übrigen auch was für Frauen, die Damenfiguren kommen recht forsch daher. Aber was weiß denn ich. Ich kann ja nicht einmal Lidschatten von Rouge unterscheiden. Live zu erleben dieser Tage zu Düsseldorf.

Kommt gut durch die Narrentage, Angst habe ich nur vor der Musik, die da läuft –

David

P.S.: Und, wer kennt Powell schon? Oder, was lest ihr gerade?

Ein Kulturjournalist tobt sich aus – „Schwarzer Frost“, der bitterböse Debütroman von David Wonschewski.  Mehr Informationen zu diesem Buch entnehmen Sie bitte den Seiten dieses schattigen Blogs. Oder aber tummeln sich direkt HIER.

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Dieser Eintrag wurde veröffentlicht am 17. Februar 2023 von in Nachrichten und getaggt mit , , , , , , , , .
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