von David Wonschewski
Vorabfazit: 4 von 5 Sternen
Der Gedanke, eine weitere Weltreligion zu gründen, kam mir auch schon. Oder, wenn es dafür intellektuell nicht reicht, zumindest eine neue Philosophie. Doch, doch, die Bereitschaft, mich zum Retter der Welt aufzuschwingen war da – allein, mir fiel nichts Rechtes ein. Ich werde mich also wohl oder übel mit weniger zufrieden geben, kleinere Brötchen backen müssen. Was weiß ich, Sekte gründen oder so. Dafür reicht schon ein vergleichsweise schmaler leuchtender Gedanke. Der Instandhaltungsaufwand ist hier allerdings enorm, die Umzugskosten in den südamerikanischen Dschungel (ich hörte, das macht man so, wenn es erst mal richtig fluppt mit der eigenen Sekte) nicht zu unterschätzen, on top dann noch der ganze Waco-Nonsens, den man sich täglich neu für seine nicht minder hirnrissigen Jüngerinnen und Jünger ausdenken muss – hm, nein, auch das wird nichts. Zu anstrengend.
Bleibt dann wohl bei der kleinstmöglichen Form von Selbstüberhöhung: weitere Romane schreiben. Und hoffen, dass die wem gefallen. Der ein oder andere das ein oder andere daraus mitnimmt. Irgendwo irgendwer mal ein Post-it in eines meiner Bücher klebt. “Er war geschaffen fürs kleine Besteck”, wird es auf meinem Grabstein allenthalben heißen. Warum auch nicht, klein gedacht ist eh sympathischer. Erleuchtung auf Sparflamme schlägt mit Furor entfachten Weltenbrand um Längen.
So richtig erklärt ist die Motivation dahinter damit aber noch immer nicht. Warum stellen sich Männer seit Jahrtausenden hin und schaffen derlei mitunter arg abstrakte, tja, Geistessystemgebilde? Mal echt, so was macht doch keiner, der alle Latten am Rost hat. Ein Mann, der mit beiden Beinen im Leben steht, gesegnet ist mit Bildung und Verstand, der erfindet den Motor, kommt den Röntgenstrahlen auf die Schliche, entwickelt meinetwegen auch das Dynamit. Lässt sich aber ganz sicher nicht das Christentum einfallen oder den Nihilismus. Oder, wenn eben eher von begrenzter Kosmospeilung, schreibt einen Roman. Völlig Banane. Wer nicht klar kommt im Leben hält bestenfalls die Klappe, damit es nicht ganz so viele Menschen mitriegen. Aber dieses ständige “ich hab’ da auch noch eine feiste Theorie über das Sein des Menschen”-Gebläffe, peinlich. Also, warum tun Männer (ich glaube zunehmend und immer öfter auch Frauen) so was?
In “Dreck” gibt David Vann einen sehr guten, wenn auch nicht komplett neuen Hinweis auf den Grund. Minderwertigkeitskomplexe. Von Geburt an eingeimpft. Und Tag für Tag neu entfacht, frisch empfunden. Natürlich lässt sich schwerlich für alle Männer sprechen, ich bin mittlerweile jedoch fest davon überzeugt, dass der Drang, via Alpha-Gehabe alles möglichst im Griff zu behalten, zwei tiefere Gründe hat: a) anders als bei der Frau ergibt sich die natürliche Nützlichkeit des Mannes nicht aus sich selbst heraus, sie muss permanent neu erstritten und gerechtfertigt werden b) der Mann weiß um in sich wohnende wölfische Tiefen, hätte sie furchtbar gerne aus sich selbst herausgemerzt, weiß aber nicht wie.
Steile These, schon klar. Muss man mir nicht unbedingt glauben, hat ja schließlich seinen Grund, warum ich mehr so die Post-it-Liga bin. Aber wenn ein David Vann das derart brutal und schockierend erzählt wie in seinem Roman “Dreck”, doch, dann darf man durchaus mal eine Runde drüber nachdenken. Denn kombiniert man zuvor genante a) und b), so kann das durchaus einen Fingerzeig darauf geben, warum ein Picasso malte, ein Hemingway schrieb, Männer so gerne korsettähnliche Gesellschaftssysteme entwickelten, bei denen zuvorderst Frauen das Nachsehen haben. Selbstveredelung durch Wolfsbändigung, Minderwertigkeitszerstäubung durch künstliche Erzeugung von Nützlichkeit. Lässt sich auch runterbrechen aufs bereits erwähnte kleine Besteck. Hätte ich nicht diverse Bücher veröffentlicht, wäre ich einfach ein seelenkaputter Freak mit diversen abgebrochenen Therapien in der Vita. Man kann sich mich richtiggehend vorstellen, wie ich mentalgeschrottet in versifften Jogginghosen durch die Gegend stolper, von Bierkiosk zu Tanke, von der Tanke dann zurück zum Bierkiosk, von morgens bis abends. So aber, als “Romancier”, das eigene Hirnbrimborium hübsch abgepackt in Büchern, ordentlich aufgereiht im Regal. Schwarzen Rollkragenpullover an, Denkerpose – fertig ist – frei nach Tocotronic – “Der Graf von Monte Schizo”. Schon bemerkenswert, wie einfach man sich von einer potenziellen Gefahr für die Umwelt zum Pseudointellektuellen hochjazzen kann. Obschon sich nichts geändert hat, es wirkt einfach nur adretter, wenn man mit dem vermeintlichen Veredeler drübersaubeutelt.
Ja, oder was meinen Sie, warum so viele Menschen mit ihrer Vorliebe für “Siddhartha” von Hermann Hesse oder Khalil Gibran protzen? Macht auch Vanns 22-jähriger Protagonist Galen so. Und das lässt sich wahrlich gut an, der junge Mann hat sich zwar noch nicht so recht dazu aufraffen können, den Weg zu Studium und Karriere einzuschlagen, aber er meditiert dafür viel. Und geht dafür sogar über manch Grenzen hinweg. Nahrungsaufnahme wird überbewertet, nachts nackt über Äcker und durch Wälder streifen, eins werden mit dem Matsch unter seinen Füßen. Das Licht, so einer ist Galen, kann immer nur von Innen kommen, ergo auch nur dort gesucht und gefunden werden. Man bleibe ihm also besser weg mit der Außenwelt. Spiritueller Minimalismus par excellence. Warum nicht, könnte zu Frieden auf der Welt führen, denkt man sich als Leser so. Zu Anfang. Galen lebt bei seiner Mutter, Suzie-Q. Diese wiederum betreibt die Walnussplantage, die ihr aus Deutschland eingewanderter Vater angelegt hat. Verheiratet war der mit einer Isländerin, und für Galen steht schon deshalb fest, dass im Leben seiner Familie niemals etwas zusammenpassen wird. Nun ist der Großvater tot, die Großmutter musste wegen beginnender Demenz ins Altersheim umziehen, und von seinem eigenen Vater kennt er nicht einmal den Namen. Mutter und Sohn sind allein zu Haus. Die Plantage ist das letzte unbebaute Areal in diesem Vorstadtgebiet, doch Suzie-Q denkt gar nicht daran, das wertvolle Grundstück zu Geld zu machen. Auf der Bank liegt ein Familienvermögen in unbekannter Höhe, über das nur sie unbeschränkt verfügen kann, doch ihrem Sohn sagt sie, dass nicht genügend Mittel vorhanden seien, um ihn studieren zu lassen. So ist Galen ein Gefangener in der Welt seiner Mutter und rettet sich in Vorstellungen von Reinkarnation. Ja, er wird zum buchstäblichen Softie, was nur so lange nett klingt, wie man sich nicht klar macht, dass der Freak, als den ihn zum Beispiel seine Cousine ständig betitelt, da per se gefährlich nah dran ist. Mental ist Galen hochgefährdet und somit letztlich auch hochgefährlich. Die Hoffnung, dass er in rein weiblicher Umgebung – lediglich Mutter, Tante, Cousine und Großmutter flankieren sein Leben – im Zaum zu halten wäre erweist sich als vergebliche Hoffnung. Und hier wird es psychologisch richtig tief. Denn dass all diese Frauen auf ihre Art kaputt sind, ist den verschwundenen Männern ihrer jeweiligen Leben zu verdanken, nach und nach pellen sich die dunklen Geheimnisse dieser Familiengeschichte heraus. Und damit auch die bittere Tatsache, dass Galen schuld- und schutzlos in eine männerhassende Welt geboren wurde. Mit den fast schon logischen Folgen für sein eigenes Aufwachsen.
Als die ganze Sippe, vier Frauen und Galen, für ein paar Tage in eine einsame Holzhütte reist, gerät dieses Unterfangen zu einem psychologischen Horrortrip, den nicht jede Leserin, jeder Leser erträglich finden wird. Faszinierend aber ist es allemal, gelingt es Vann doch, das Karussell aus Opfer und Täter höchst realistisch weiter und immer weiter zu drehen. Bis man am Ende nicht mehr weiß, vor wem die Welt zu bewahren ist – solchen Müttern? Solchen Vätern? Oder einfach nur jungen Männern, die, je friedensstiftender sie zu Beginn auch erscheinen, desto toxischer sind?
Vielleicht muss man der Familie aber auch dankbar sein, dass sie sich zu dem Trip in die Holzhütte aufraffte. Jede Wette, einer wie Galen wäre andernfalls Sektenführer geworden. Aber sowas von.
Dass es nicht 5 von 5 Sternen wurden, liegt allein daran, dass Vann aus meiner Sicht zwei Erzählstränge übertreibt, die deutlich zurückgenommener dem Roman gutgetan hätte. Das eine ist die zwar eminent wichtige, letztlich aber doch allzu ausufernd eingeflochtene sexuelle Nuance. Das andere das esoterische Spinnertum, das, hat man es erst mal begriffen, irgendwann als doch ein wenig unnötig seitenfressend erscheint. Kurz vor nervig.
Mutiger als das, was Vann hier leistet, kann Literatur aber wohl kaum sein.
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