von David Wonschewski
Der Satz, der mir das Genick brach, lautete wie folgt: “Es fasziniert und erfreut wie Reinhard Mey nach zwei eher mittelmäßigen Alben in den 90er-Jahren nicht einfach nur zurück in die Spur gefunden hat, sondern eine neue, nach seinen großen Erfolgen in den 70er-Jahren sogar alles Bisherige übertrumpfende zweite Meisterschaft entwickelt hat.”
2013 schrieb ich das, als ich ein langes Interview mit Reinhard Mey führen und verschriftlichen durfte. Auch heute denke ich noch, dass das doch ein eigentlich nettes, wenn auch etwas übertrieben formuliertes Lob ist. Zumal es vor dem Satz und danach ebenfalls reinster Zuckerguss war. Also alles eitel Sonnenschein? Pustekuchen. Ich erlebte einen kleinen Shitstorm, es erhob sich ein Sturm der Entrüstung aufseiten der Fans. Wie konnte ich nur etwas so Beledigendes schreiben, wenn ich Reinhard Mey derart hasse, dann solle ich doch einfach gar nichts schreiben. Zigfach musste ich meinen Satz mit diversen Lupen und Spürhunden absuchen, um fündig zu werden: Die “mittelmäßigen Alben” aus den 90er-Jahren waren es. Die demaskierten meine fragwürdige, sehr respektlose Grundhaltung. So kann es gehen, der größte Arschkriechertext meines Lebens hat mir den größten Schimpf, die heftigste Schande bereitet.
Ein bekanntes Sprachphänomen, das sich von Rassismus und Sexismus bis hin zu Politiker- und Fussballerinterviews zieht. Deswegen reden ja mittlerweile alle so weichgewachst, weil hundert strahlende Sätze nichts mehr bringen, wenn in einem Halbsatz nur eine Nuance von grau zu finden ist. Oder besser: Theoretisch sein könnte.
Wenn ich zum Beispiel der Meinung wäre, dass Annalena Baerbock die kompetenteste, sympatischste und repräsentativste der drei KanzlerInnenKanditatInnen war, dann ist das zwar das größte Kompliment, das ich an PolitikerInnen zu vergeben habe, ich würde aber mittlerweile den Teufel tun das irgendwo öffentlich so zu sagen. Kenne ja les Pappenheimers. Weiß, dass es Leute gibt, denen das Lob und sogar mein Gendern am Allerwertesten vorbeigehen. Stattdessen stürzen sich les Pappenheimers, jede Wette, auf diese Kombination aus “sympathisch” und “repräsentativ”, johlen das unbewiesene Klagelied, wonach immer nur Politikerinnen nach so etwas bewertet werden (was noch nie stimmte, wie meine lange Liste auf ihre Optik und Ausstrahlung reduzierter Politiker belegt) – und schwupp nagelt mich der Mob mit der falschen Seite nach oben ans Ortsschild.
Auf jeden Fall ist Amélie Nothomb die (meine) lustigste, cleverste, intelligenteste, philosophischste, literarischste Neuentdeckung der vergangenen 12 Monate, meine neue strahlende Schreibheldin, anzusiedeln gleich neben Thomas Bernhard, Markus Werner und Philip Roth. Unglaublich wie heiter-fies und zugleich horizonterweiternd, wie bitterböse-zynisch, tiefgründig und psychologisch die schreibt. Und jetzt der kleine grau nuancierte Nachsatz für les Pappenheimers: Für ‘ne Frau ist das echt nicht schlecht.
(Wenn ich mir das Ortsschild aussuchen darf, ich hätte gerne das, das hinten zum Wald raus steht, da baumelt es sich idyllischer).
Was als missglückt humoriger Einstieg in die Rezension von “Die Reinheit des Mörders” durchgehen kann, hat einen wahren Kern. Natürlich ist mir Amélie Nothomb schon lange bekannt. Vom dran vorbeigehen. In Bahnhofsbuchhandlungen. Nun ist der Verlag Diogenes ja für seine Stilsicherheit bei der Gestaltung seiner Werke bekannt, bei Madame Nothomb aber schreckte es mich immer ab, was auch an den Titeln lag, klar. Ein französischer Name, dann ein Frauenaquarell und dann ein Titel wie z.B. “Kosmetik des Bösen” – das ist zumindest für einen Mann geradezu eine Aufforderung weiterzugehen. Nun gut, ich habe mich geirrt. Konnte ja keiner ahnen, dass die so herrlich misanthropisch gut schreibt wie ein…ein…Dings.
In “Die Reinheit des Mörders”, dem Nothomb-Debüt, erleben wir den hochbetagten und durch eine Krankheit kurz vorm Tod stehenden Literaturnobelpreisträger Prétextat Tach. Der hat nie Interviews gegeben, nur noch zwei Monate zu leben vor sich gewährt er nun jedoch einer erlesenen Schar ein Gespräch. Die kleine illustre Meute hat sich in einem Café eingefunden, einer nach dem anderen darf einzeln über die Straße in die Wohnung des Dichters. Der dort in der Düsternis griesgrämig, fett und glatzköpfig in seinem Rollstuhl sitzt, einen Merowingersarg neben sich, in dem er Alkoholika aufbewahrt.
Als Freund misanthropischer Literatur habe ich viele seelisch amputierte Gestalten mich erheitern sehen. Dieser Tach aber ist der vielleicht beste von allen, zerfleddert den Journalismus, die Literatur, das Leben und ganz besonders: Die Frauen. Ja, meine lieben OrtschildaufknüpferInnen, der Tach ist wahlweise hartes Brot oder fette Beute wie euch, ich zitiere hier mal nicht, aber derart weise misogyne Sätze habe ich selten gelesen, ich bin regelrecht sprachlos. Es wurde ja schon überlegt, ob man nicht Philip Roth verbieten könnte, wenn das passiert, nun, ist auch Amélie Nothomb fällig. Und wer gerade über mein “weise misogyne Sätze” gestolpert ist (bei mir egal, ich hänge ja seit 2013 schon am Ortsschild) – sollte das kurzweilige Werk lesen. Denn Nothomb lässt den selbstverliebten fetten Fatzke derart maßlos übertreiben, dass man nicht nur als Mann permanent auflachen muss. Mit dem Ergebnis einer, man ahnt es fast: männlichen Entlarvung. Ihr – wer immer “ihr” nun ist – kommt also definitiv auch auf eure Kosten.
Der erste Journalist rennt weinend aus dem Haus, der zweite stürzt sich kotzend auf die Straße, beide sind diesem grotesk-klugen Miesepeter nicht gewachsen. Tja, und nachdem die nicht minder selbstverliebten Herren Feuilletonisten so extrem versagt haben, kommt zum großen Finale eine Journalistin, eine Frau. Mit einer Wette: Das Interview ist erst beendet, wenn entweder sie vor ihm kriecht oder er vor ihr …
Neulich, im Wilden Westen.
Madame Nothomb, ich bin erneut très angetan, das ist gar nicht schlecht. Für eine Belgierin.
P.S.: Wenn mich der Gesellschaftsekel überfällt google ich tatsächlich nach Politikerinterviews aus den 70er-Jahren, Fussballerinterviews aus den 80er-Jahren.
P.P.S.: Wer das Foto oben mit dem Foto unten vergleicht, also das Buch, entdeckt gewiss einen lustigen Unterschied. Ob da wohl eine Fehlpressung in der Welt war?
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Lesen Sie „Schwarzer Frost“, den Debütroman von David Wonschewski. Mehr Informationen: HIER.
oh, das Buch liegt gerade – noch ungelesen – hier vor mir. Also les ich deine Rezension nun vorher, oder nicht?
Hallo, Jan, verzeige die verspätete Antwort. Mir wird ja hier kein richtiges “you got mail” angezeigt und wenn ansonsten viel los ist im Leben und in dessem Umzäunung….ach was soll’s: ich habs verkackt, ganz einfach;-) Hm, also bei Bernhard, nun, fangen Sie doch dann so an wie ic seinerzeit: “Holzfällen”, das machte mich zum Fan. Viele Gtrüße und feine Tag, Jan!
Hallo.
Ich bin ein großer Fan und begeisterter Leser ihres Blogs. Immer wieder taucht Ihre Faszination für Thomas Bernhard auf. Ich würde ebenfalls gerne in sein schaffen eintauchen. Welches Buch von ihm können Sie fragen den Einstieg und den weiteren Verlauf empfehlen? Danke im Voraus
Danke für den Tipp. Setze Nothomb sofort auf meine Leseliste, pardon, moderner ausgedrückt die To Read Bucket List😃