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von David Wonschewski
Wer die Geschichte von Oasis begreifen will, kommt an dem Begriff “Madchester” nur schwerlich vorbei. Jenem kurzlebigen Musikstil, der Ende der 80er-Jahre einen Mix aus Alternative, Psychedelic und Dance in zuvorderst nordenglische Clubs brachte. New Order, The Stones Roses, Happy Mondays, Inspiral Carpets und The Charlatans wurden zumindest in Großbritannien zu verlässlichen Hitlieferanten, unterstützt vom bereits legendären Label Factory Records und dem inzwischen legendären Club “Hacienda”, beide beheimatet in Manchester.
Die Inspiral Carpets konnten sich in ihrer erfolgreichsten Zeit auf viele Helfer im Hintergrund verlassen, unter anderem einen jungen “Guitar roadie” namens Noel Gallagher, der zwei Jahre lang den (wichtigen) Handlanger für die Band gab und in dieser Zeit nicht nur Bühnentechnik und Studioarbeit erlernte, sondern vor allem erfuhr, welch Disziplin und Arbeitseifer für eine Band unabdingbar ist, so sie es denn nur ein wenig ernst mit dem Tour- und letztlich auch erfolgreichen Musikerleben meint.
Während einer Tourpause – er hatte längst genug davon, immer nur vom Bühnenrand aus zuzuschauen – saß er in seinem Schlafzimmer, dass er sich mit seinem Bruder Liam teilte, auf dem Bett und starrte auf ein Tourposter der Inspiral Carpets, das er dort aufgehängt hatte. Dort waren die Konzertdaten der Band zu sehen, einer der Auftrittsorte trug den Namen “Oasis Leisure Centre” (Swindon, UK) -und es macht klick in Noels Hirn.
Das noch nötige klack folgte nach Ende der Inspiral Carpets-Tour 1991 als er sich die Hobbyband seines Bruders ansah und beeindruckt von dessen Bühnenpräsenz und Mikrofontauglichkeit war. Noel, nicht gerade arm an Selbstbewusstsein, baute sich vor Liams kompletter Band auf und bot großmütig an, sich ihnen anzuschließen. Unter der minimalen Voraussetzung, dass er der Leadgitarrist ist, nur seine Songs aufgenommen und gespielt werden und überhaupt er das Sagen hat. Er muss sehr überzeugend gewesen sein, nicht nur bei seinen neuen Bandkollegen, sondern auch bei PR-Leuten, Journalisten und Veranstaltern, bei denen Noel in wenigen Wochen mehr erreichte als die Band ohne ihn monatelang zuvor auf die Reihe gekriegt hatte. Es dauerte nicht lange und die ersten Labels waren interessiert, zudem waren Oasis schnell gefragt als lokale Vorband bei Auftritten größerer Namen.
1993 nahm die Band dann eine sechsstündige Autofahrt nach Glasgow auf sich, um bei einem Talentwettbewerb ihre vier ersten eigenen Lieder vorzuspielen. Und hinterließen derart mächtig Eindruck, dass der Inhaber des Labels Creation Records sie sofort unter Vertrag nahm, flankiert von seinem hübschen Statement, er habe soeben die größte Rockband seit den Beatles ausfindig gemacht.
Die Aufnahmesessions für das Debütalbum begannen Anfang 1994 in Wales, erwiesen sich jedoch als derart unbefriedigend, dass der Stab nach Cornwall wechselte, vereinzelt später auch in Liverpool aufnahm. Als die Platte im August 1994 herauskam, hatten Oasis mit “Supersonic” und “Shakermaker” bereits zwei Charthits verzeichnet. Nicht wenige Rockhistoriker verweisen jedoch darauf, dass das jahrelange hohe Standing der Band einem anderen Stück zu verdanken ist. Und zwar dem Album-Opener “Rock’n’Roll Star”. In diesem Song sinniert Liam über das öde Leben eines Nonames in einer tristen, grauen Arbeiterstadt nach, den es in die Sonne, besser noch ins Rampenlicht zieht. Und der davon träumt, einfach nur für eine Nacht ein Rock’n’Roll Star zu sein. Sicherlich, die ganz große Philosophie ist das nicht, man ist fast schon geneigt, es einen alten Pennälerhut zu nennen. Und doch trafen Oasis gerade damit den Nerv einer Generation, gelang ihnen das Kunststück, von Anfang überzeugend darzulegen, dass es ihnen um mehr ging als einfach nur eine Reihe Hits, Groupies und Kohle. Oasis wollten mit ihrem Namen einen ganzen Zeitraum für sich in Beschlag nehmen, ihn regelrecht besetzen. Mit Erfolg nicht nur in Großbritannien, wie wir heute wissen. Denn geht es darum, meinen eigenen Musikgeschmack in einem Satz zu erklären, dann spreche ich nie von Depeche Mode, Nirvana oder den für mich so naheliegenden Interpol. Alles Quatsch, ich bin nur eins, von der Sohle bis zum Scheitel: Generation Oasis.
Auch stilistisch ist vom Opener an gleich alles da, massenweise Riffs, Lautstärke, ein Gutmaß an Soundchaos, zugleich aber ein Gefühl für Melodie und Harmonie, das man zwei derart tumb wirkenden Brüdern bis heute nicht so recht zutrauen mag. Es klingt, als hätten sich die Sex Pistols darauf verlegt, mit der Arroganz von T. Rex Songs der Beatles zu spielen. Nicht zu vergessen natürlich Liams unique Art des Gesangs, die vielen lang gezogenen Vokale, dazu der müde-trotzige Blick ins Publikum, die Hände auf dem Rücken verschränkt.
Der kleine Hit “Shakermaker” ist derart schamlos bei der New Seekers-Dudelnummer “I’d like to teach the world to sing” geklaut, dass auch das Oasis-Stück ursprünglich textlich genauso anfing: “I’d like to teach the world to sing, in perfect harmony”. Da die Band jedoch nicht die erforderlichen Lizenzen dafür erhalten konnte, änderte Noel die Zeile um in “I’d like to be somebody else, and not know where I’ve been”, Strich alle Songtantiemen dann nhalt (notgedrungen) selber ein und wartete in der ihm eigenen Seelenruhe ab, bis er von den Originalkomponisten Jahre später verklagt wurde.
Ist man mit Indierock aufgewachsen, hat den Britpop inhaliert, so klingt “Definitely Maybe” heute wie eine Greatest Hits-Compilation ohne Ausreißer oder Schwachstellen (ein Kunststück, das Oasis mit dem nachfolgenden Album bekanntlich nicht nur wiederholen, sondern global übertrumpfen sollten).
“Live Forever” – wurde vom NME in die Liste der 50 größten Indie-Hymnen aufgenommen. Noel schrieb das Stück noch zu Inspiral Carpets-Zeiten und nutzte es auch, um seinen Bruder Liam und seine Hobbybandkumpels seinerzeit davon zu überzeugen, dass man getrost ihm das Ruder überlassen könne, er verstünde was von..tja: allem. Laut Noel ist das Lied sehr stark angelehnt an den Rolling Stones-Hit “Shine A Light”. Zwar vermag ich das nicht so richtig dort herauszuhören, die Melodie soll aber wahrhaftig fast komplett dort entlehnt sein.
“Cigarettes & Alkohol” – auch so eine Hymne, auch so ein Klau. Für den Oasis sich auch vor Gericht verantworten mussten. Das Riff, so vermuten manche, ist bei “Get It On” von T.Rex gemoppst worden, derweil auch die hierzulande eher unbekannte Band Humble Pie der Ansicht ist, der Erfinder der Songeröffnung zu sein. Noel schrieb das Lied im Übrigen in der ihm ebenfalls sympathischen Art in seiner damaligen Wohnung in einem Mietshaus, ohne dabei auf so kleinliche Dinge wie Kopfhörer, Schalldämpfung oder Nachtruhe zu achten. Immer wieder das Eingangsriff, immer wieder volle Verstärkerdröhnung. Als er eines Tages zwei Nachbarn aus der Wohnung drei Stockwerke über ihm traf, wiesen diese ihn dezent darauf hin, dass ein Lied mit einem so abgeschmackten Riff nie was werden kann. Tja, es haben sich schon ganz andere Geister geirrt.
“Up In The Sky” – Noel wäre nicht Noel, wenn er nicht auch gegen das Lob “Gesicht einer Generation” zu sein, ordentlich angepöbelt hätte. Mit “Up In The Sky” als Beleg dafür, dass es überhaupt nichts bringt, zu vermeintlichen Lichtgestalten aufzuschauen, dass das, was er bietet, keine Lösungen sind, sondern einfach nur Musik ist. Wie er generell Pickel bekam, wenn Musiker oder Sportler plötzlich meinen, politische Reden schwingen zu müssen, eine absolute Anmaßung in seinen Augen. Er selbst tat das nicht und dem Melody Maker gegenüber bekannte er, dass er seinen Bandkollegen rät, es ebenfalls hübsch bleiben zu lassen. Sonst, klar: sofortiger Rauswurf.
“Slide Away” – keine Singelauskopplung, aber bis heute einer meiner persönlichen Oasis-Favoriten. Wie so oft ein fast schon banaler Text, eine pubertäre Liebesgeschichte, inspiriert von Noels erster echten Beziehung, die ihn zu seinem Auszug zu Hause 1989 führte. Die Beziehung war sehr turbulent, man trennte sich genauso oft, wie man wieder zusammenfand. Auch zu “Married With Children” wurde Noel von der Dame inspiriert, wie sie auch der erste Mensch war, der eine Frühversion von “Live Forever” zu hören bekam – mit dem ‘Quark’ aber wenig anzufangen wusste. Bei “Slide Away” lieferte Liam laut Noel die beste Gesangsleistung seiner Karriere ab. Er hätte das Stück auch gerne als fünfte Singleauskopplung auf den Markt geworfen, wenn ihm nicht der Gedanke in die Quere gekommen wäre, dass es ganz schön dämlich ist, aus einem Album fünf Singles auszukoppeln. Besonders interessant: Gallagher schrieb das Stück, nachdem The Smiths’ Johnny Marr die Gitarre lieh, auf der dieser “The Queen Is Dead” geschrieben hatte. Kaum hatte Noel das feiste Teil in den Flossen, war da sogleich diese Idee irgendwas zu schreiben, was nach einer Mischung aus “Reel Around the Fountain” und Neil Young klingt. Nun, Neil Young höre ich beim besten Willen nicht aus der Nummer raus, “Reel Around the Fountain” schon eher, wobei das für mich eher der typische, von The Smith geprägte Britstyle ist, den man entsprechend aus jeder vierten UK-Nummer hört, wenn man denn will.
Mindestens so legendär wie die Songs ist das Albumcover von “Definitely Maybe”. Aufgenommen im Haus von Bandgitarrist Paul ‘Bonehead’ Arthur übt sich die Band in Heldenverehrung. Wir sehen ein Bild von Manchester City-Fußballer Rodney Marsh, auf dem TV-Bildschirm ist eine Szene aus “The Good, The Bad And The Ugly” zu sehen, links ein großes Poster vom großen Liederhirn Burt Bacharach.
Am 29. August 1994 wurde “Definitely Maybe” veröffentlicht, sogleich von den englischen Medien gleichermaßen bejubelt wie von den englischen Massen gekauft, eine sichere Nummer 1. In den USA reicht es zwar nur zu Platz 58, aber auch das ist nicht zu unterschätzen, bedeutete das auf dem riesen Markt dort doch auch über eine Million verkaufte Exemplare. Bis heute wurde die CD, die für mich beste von Oasis, über 8 Millionen Mal verkauft. Und gilt damit zurecht als Meilenstein der Rockgeschichte.
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