von David Wonschewski
Ab und an braucht es namhafte Referenzen. Ian Curtis, der legendäre, suizidale Frontmann der stilprägenden Düsterband Joy Divsion, las wohl, bevor er diese Band gründete, eben Ballard. Und wenn – frei nach Amazon – der, der A mag, auch B kaufen sollte: warum mal nicht. Bißschen Postpunk in Buchform geht immer.
Also meinen ersten Ballard gekauft, weil ich Joy Division toll finde. So weit idiotisch, so weit nachvollziehbar.
Zunächst für die, die wie ich musikalisch zwar gut bewandert sind, literarisch aber noch etwas Luft nach oben verspüren: Ballard wird gerne als Science Fiction-Autor verortet. Was ich widerum quasi “ibah” finde, so als Genre. Ich will Allen, will Bergman, will Truffaut. Und nicht Kampfstern Galactica mit Laserschwert-Murks. Aber wenn der Curtis, Ian es tat, knapp vorm Tod – warum nicht.
Und schaue da, das halbschmale Buch hat eine sehr coole, sehr SF-ferne Grundidee. Mitten in der Gesellschaft geht einer verloren, hopps, mal eben so. Hier der 35-jährige Architekt Robert Maitland. Mit seinem Jaguar kommt er von der Fahrbahn ab, durchbricht eine Leitplanke und wird auf eine Verkehrsinsel geschleudert. Und strandet damit wie auf Robinsons Island. Denn er ist zwar zumgeben von Menschen, Menschen in Autos, alles voll. Aber niemand sieht, niemand hört ihn. Und runter kommter dort auch nicht mehr.
Gibt es nicht? Gibt es doch! Zumindest bei Ballard. Klar, dass man unfallmäßig auf so einer Autobahninsel strandet und keiner kriegt es mit, mag schon in den frühen 70ern, als Ballard das Buch schieb, nur bedingt glaubwürdig gewesen sein. Und ist es heuer, im Zeitalter der Handys, schon erst recht nicht mehr. Aber eventuell geht es darum ja auch gar nicht so sehr. Sondern, wie so oft bei Ballard, um ein soziologisches Gedankenexperiment. Dass er so konsequent durchexerziert, so dass die Schlagwortbegriffe DYSTOPIE und eben SCI-FI halt doch stimmig sind.
In den 90ern, als Schüler, sagte ein damals junger Lehrer mir: “Gute SciFi ist immer psychologisch! Und guten SciFi-Autoren geht es auch selten um Technik und Laserschwert-Plimplam! Es geht ihnen darum zu illustrieren was sein könnte, wenn wir nicht bedächtig umgehen mit uns, der Welt, allem!”
Habe ich nie vergessen, diesen pathetischen Satz. Und bei Ballard findet sich das. Ja, ich habe nach der BETONINSEL mehr von hm gelesen, das verfilmte HIGH-RISE zum Beispiel. Wie auch bei der BETONINSEL fragt man sich auch bei HIGH-RISE oft wie glaubwürdig Ballards Fortschreibung des Plots ist. Moderne, perspektivreiche, fortschrittsgläubige Menschen bugsieren sich in eine unvorhergesehene Ausnahmesituation, für die es noch keinerlei Lösungs-Blaupausen gibt. Darum aber ist es SF, technische Monstrosität trifft permanent auf archaische Natur.
Und des Lesers Zweifeln, das ahnt, dass das, was gut erdacht war, nicht dermaßen aus dem Ruder laufen kann wie von Ballad skizziert, dieses eigene Leser-Zweifeln, das merkt man schnell, das ist gut, ist positiv. Und Ballard fördert es. Genau dafür wurde der dystopische Roman letztlich auch per se empfunden. Und darum machten auch Joy Division dereinst Musik. Nicht , um auf Gräbern zu tanzen. Sondern um zu warnen.
Und Ballard warnt sehr glaubwürdig. Im Verglech zu anderen Romanen nimmt sich die Betoninsel zwar fast als Fingerübung aus, aber es ist alles da: das Unerwartete, von einem Moment zum anderen. Die Hilflosigkeit, vor der kein Stand der Welt dich schützt. Die Angst, der Wille zu Sterben – und dann der Neubeginn, wie Stammeskriege der jüngeren Steinzeit, auch Macht und Territorium fixiert.
Was schrieb ich oben noch gleich? Achja, genau: Ich mag Bergman, ich mag ergo Kammerspiele. Und das hier, geleifert vom dystopischen SF-Autor Ballard, ist ein solches.
Ein Kulturjournalist tobt sich aus – „Schwarzer Frost“, der bitterböse Debütroman von David Wonschewski. Mehr Informationen zu diesem Buch entnehmen Sie bitte den Seiten dieses schattigen Blogs. Oder aber tummeln sich direkt HIER.
Pingback: Deutschland den Deutschen, Reichsbürger raus. Oder: Sie wussten, dass sie angelogen wurden, doch waren die Lügen hinreichend schlüssig. Soeben ausgelesen: JG Ballard - "Das Reich kommt" (2006) - David Wonschewski | Schriftsteller