von David Wonschewski
Vorabfazit: 4 von 5 Sternen
Neuengland im Jahre 1964. Eileen ist 24 und hässlich. Also innerlich. Und dadurch, das eine führt bekanntlich oftmals geradewegs zum anderen, auch äußerlich. Denn wo Selbsthass waltet, da hilft auch Schminke nicht viel. Doch was heißt schon Schminke, regelmäßiges Duschen. Alles, was helfen würde sie nicht wie einen in einen Kohlesack gesteckten Putzlappen wirken zu lassen, das wäre doch schon was. Das hätte doch schon was.
Doch wozu? Eileen ist nicht viel wert. Die Mutter tot, der Vater Alkoholiker, sie hässlich, ergiebt summasummarum: noch Jungfrau. Wobei, vielleicht ist Eileen gar nicht einmal so hässlich. Sie hasst einfach nur ihre Brüste, ihre Verdauung, ergo ihr Leben. Denn alles ist heruntergekommen: das Haus, in dem sie lebt, ihr Körper, die schmale handvoll sozialer Kontakte. Nach außen hin übt sie sich in Gelassenheit und Unnahbarkeit, während sie sich zwischen Selbstbetrachtung und Selbsthass ihren Fantasien über heiße Liebschaften oder Planungen ihrer Flucht hingibt. Besonders weit kommt sie damit aber nicht, genaugenommen gerade einmal bis zur Haustür:
“Meine letzten Tage als die kleine, zornige Eileen spielten sich Ende Dezember in der grimmigen Kälte jener Kleinstadt ab, in der ich geboren und aufgewachsen war. Mehr als ein Meter Neuschnee war bereits gefallen und schmolz auch nicht mehr weg. Unerschütterlich lag er in allen Vorgärten und drängte wie eine Flutwelle an die Brüstung jedes Erdgeschossfensters. Tagsüber taute die Schneeschicht ein wenig an, etwas Matsch floss in die Gullys und man erinnerte sich, dass es Freude und Sonnenschein im Leben geben konnte. Aber im Laufe des Nachmittags verschwand die Sonne, alles fror wieder zu und bildete nachts eine Eisschicht, die so dick war, dass sie das Gewicht eines ausgewachsenen Mannes tragen konnte. Jeden Morgen streute ich Salz aus dem Eimer, der neben der Haustür stand, auf den schmalen Gartenweg von unserer Veranda zur Straße. Vom Dachsparren über der Tür hingen Eiszapfen, und wenn ich darunter stand, stellte ich mir vor, sie würden abbrechen und meine Brüste durchbohren, den dicken Knorpel an meiner Schulter durchtrennen oder sich wie eine Gewehrkugel in mein Hirn bohren. Der Schnee auf dem Bürgersteig war von den Nachbarn weggeschippt worden, denne mein Vater zutiefst misstraute, weil sie Protestanten waren und er Katholik. Allerdings misstraute er allen und jedem. Wie die meisten alten Säufer war er voller Angst- und Wahnvorstellungen.”
Wenige Zeilen, in denen bereits deutlich wird warum Ottessa Moshfegh zu den spannendsten und auch bereits hochgelobten literarischen Stimmen der USA gehört: Wie kaum einer anderen Schriftstellerin gelingt es ihr weibliches Empfinden und Unbehagen auf eine derart dreckige, mitunter bitterböse Weise zu formulieren, das es auch Männer anspricht. Dass sie zudem der weißen Unterschicht, im amerikanischen Volksmund auch “White Trash” genannt, Ohr und Auge leiht, lässt auch Feuilletonisten jubilieren.
“Eileen”, ihr Roman um eine sozial abgehängte Sekretärin einer Justizgsvollzugsanstalt, kommt im Gewand eines sehr düsteren Krimis, vielleicht gar Thrillers daher, der mit der steten Option spielt jederzeit abseitiger, vielleicht sogar blutrünstiger, ach warum nicht gleich splatterhafter zu werden. Denn diese Eileen, das ist eine tickende Zeitbombe. Ein Hauch von Amoklauf liegt über der jungen, extrem unterkühlten Frau, deren Charakter gerade durch Moshfeghs Kunstfertigkeit so faszinierend gerät, ein Stil, der die sensiblen, weiblichen, fast noch kindlichen Sehnsüchte Eileens in derbe Denk- und Verhaltensweisen packt. Moshfeg braucht nicht viele Seiten, um selbst im der Ggewalt abgeneigten Leser den Wunsch zu entfachen, Eileen möge doch endlich explodieren, ihren Dämlack von Vater erstechen, Handgranaten ins Fenster der Nachbarn werfen oder, herrje, mit Freudengeschrei ein Reh überfahren. Oh doch, genau so eine ist diese Eileen, die davon träumt, der dass der muskulöse Kollege, Randy, ein viel zu schöner Ex-Knacki, sie zu einem Date einlädt und gar nicht merkt, dass das mit Sicherheit keines ihrer multiplen Komplexprobleme lösen würde, es bedeutend mehr braucht, was mit Knall und Rauch und Geschrei.
Zu was von alledem es kommt oder auch nicht kommt soll hier nicht näher benannt werden, es würde, so vorweggenommen, potentiellen Lesern den Hauptreiz der Lektüre nehmen. Durchaus dankbar darauf hingewiesen werden sollte jedoch, dass “Eileen” nicht zuletzt durch all die unterdrückte Aggression seiner Protagonistin zwangsläufig feministische Züge aufweist – ohne gleichwohl männlichen Lesern allzusehr auf den wohlbekannten Puffer zu gehen damit. Denn was so wohltuend ist an dieser Eileen ist, dass sie wahrlich genug Gründe hätte zu jammern, sich über ihren Vater, die Männer, die Gesellschaft oder “das System” zu beschweren – und es zu keinem Zeitpunkt tut. Nein, Eileen nimmt stoisch hin, fordert keine Entschuldigungen oder Rechenschaften und der größter Katalysator für erlittene Grausamkeiten – ist und bleibt sie selbst. Was sie durchaus erkennt, gut reflektiert – und auch wieder nur apathisch hinnimmt.
Ja, es ist schon was dran, man weiß nicht ob man nun Mitleid haben soll mit ihr oder Verachtung empfinden dafür, dass sie – der Roman ist aus der Ich-Perspektive geschildert – erzählerisch auf den großen Wendepunkt in ihrem Leben hinweist, der dann aber doch weiter und immer weiter auf sich warten lässt.
Und nein, viele sympathische Figuren gibt es nicht in diesem Roman. Viellecuht Lee Polk, einen Minderjährigen Sträfling in der Haftanstalt. Der seinen Vater getötet hat. Weil dieser ihn jahrelang missbrauchte. Derweil seine, mit Verlaub, fette und zahnlose Mutter saufend unten im Wohnzimmer saß und TV glotzte. Doch, der ist ganz nett. Wie er sich in der Isolationszelle einen runterholen will, aber es nicht so recht kann, weil er weiß, dass man ihn beobachten kann ohne dabei von ihm selbst gesehen zu werden. Eine Möglichkeit, von der wer am meisten Gebrauch macht? Genau, Eileen.
Tiefes, dunkles, gewaltaffines – und doch fluffig und leicht zu lesendes Pfundstück, dieses Buch.
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Ein Kulturjournalist tobt sich aus – „Schwarzer Frost“, der bitterböse Debütroman von David Wonschewski. Mehr Informationen zu diesem Buch entnehmen Sie bitte den Seiten dieses schattigen Blogs. Oder aber tummeln sich direkt HIER.
Hab das Buch auch sehr gern gelesen. Psychologisch tiefste tiefen ausgelotet und wahnsinnig spannend.