David Wonschewski | Musikjournalist & Schriftsteller

Melancholisch-sarkastische Literatur für Schwarzhumoriker, Musikenthusiasten und andere glückliche Menschen.

Bekenntnisse eines bipolaren Bedenkenträgers. Heute: A boy called Danielvid.

Bekenntnisschreiben von David Wonschewski

Mein Name – tut nicht zur Sache. Steht ja da oben schon, ha. Und insofern man nicht gerade das Pech hat, mit sehr pikanten Nachnamen zur Welt zu kommen, ich spare mir mal die vielen frivolen Beispiele, ist so ein Name auch keine große Sache. Dann aber wieder doch und von daher interessant, da das Thema in den vielen aktuellen Identitätsdebatten nie vorkommt. Worüber definiert man sich, was definiert einen? Gut möglich, dass das tatsächlich so ein männlich-weiß-hetero-Privileg ist, wenn man Zeit und Muße hat, sich in Sachen Identität erst einmal am eigenen Namen zu reiben und zu scheuern. Einen Namen hat aber letztlich jeder. Und gottverdammt nochmal, das beziehungsweise der macht doch was mit einem. Und ich rede hier nicht einmal vom Nachnamen, der ist per se eine Marke für sich, schon aus familien- und ahnenhistorischen Gründen. Ich meine nur den Vornamen.

Das kennt man bei sich, man kennt es bei anderen. Nehmen wir als Beispiel den Frauennamen Birgit. Ich kannte nicht viele Frauen mit diesem Namen, aber einige wenige. Und die waren alle blond. Für mich ist Birgit quasi der Inbegriff, vielleicht sogar ein Synonym für blond. Sie können sich meine abgrundtiefe Konfusion vorstellen, als mir vor einigen Jahren mal eine brünette Birgit begegnete. Na der habe ich aber sofort reinen Wein eingeschenkt, sagte ihr klipp und klar: „Hümma, Haarfarbe ändern oder umtaufen lassen – so wie du bist, funktionierst du jedenfalls nicht.“ Ihre Reaktion? Nun, frei nach den alten Rüdiger Hoffmann-Sketchen: Nöööa, hat se auch gleich eingesehen…

Haben Sie sich schonmal Gedanken über den eigenen Vornamen gemacht? Gewiss. Finden Sie sich darin wieder, füllen Sie diesen Namen aus. Gehören Sie zu jenen Menschen, die nur durch den „Kevin“-Vornamen mit einem derart fetten Joch ins Leben starteten, dass Sie da gar nicht gegen an studieren konnten? Oder kamen Sie mit einem dieser elitären „Sophie“-Vornamen auf die Welt, bei dem Sie als Kind und Jugendliche so schnell wegrennen konnten wie sie wollten, der Klavierunterricht war schneller?

So gesehen habe ich echt Glück. Könnte man meinen. David ist so ein kleiner Dauerbrenner. Nie wirklich beliebt, aber auch nie aus der Mode. David ist selten genug, um sich nicht beliebig zu fühlen und eine Idee von Individualität zuzulassen. Und doch nicht so selten, als dass man sich auf Schritt und Tritt erklären müsste, wer die Nase rümpft oder mir fiese andere Davids aus der Geschichte vorwerfen könnte. Passt schon. Okay, die ewigliche Nachfrage, ob man es englisch oder hebräisch ausspricht nervt. Meine Eltern wollten es englisch, verruhrpottlerten es aber schnell, sodass ich von Mutter und Schwester bis heute nicht englisch „Däjwit“, sondern eher „Dehwitt“ genannt werde. Mein erstes Trauma. Versuche das ab Kindergarten aufwärts mal wem zu erklären, dass für dich da ein dritter Weg gefunden wurde. Die ersten Erfahrungen, die ich mit meinem Vornamen in der Öffentlichkeit hatte ist daher eine Mischung aus: „Häää? Wasss?“ und „Deinen Namen gibt es nicht, dann gibt es dich auch nicht!“

Kinder können verdammt grausam sein. Grüße an alle dunkelhaarigen Birgits an dieser Stelle. Wir sehen uns im Niemandsland. Meine Eltern hatten Däjwit im Sinn, englisch und speziell meine Mutter ließ mich als Kind recht lange Haare tragen. Wir ahnen was passierte, kaum war ich etwa 12 Jahre alt und hatte in Ansätzen Mitspracherecht: Haare kurz, Vorname hebräisch. Rebell without a cause.

„Wir haben ’86 und ich altes Trottelgesicht hab‘ mich verliebt“, sangsprachen Clowns & Helden in jenem Jahr. In dem ich neben meiner Nachbarin Tina am Grundschulpult saß. Daavid Boowie liebt Tiina Töörner rief man uns hinterher. Ich wollte empört sein, wusste aber gar nicht, wer das sein soll.

Nun könnte diese feiste Geschichte hier enden, doch frisch vornamengestärkt kam ich auf das Gymnasium und bekam ab der 7. Klasse Lateinunterricht. Zunächst ging alles gut, dass ich da einige vorlaute Rüpeljungs mit im Kurs hatte war mir egal, die wollten ja immer nur der Lehrerin ans Leder, nicht mir. War auch so. Bis das Verb „laudare“ – loben – drankam. Und die Lehrerin uns ausgerechnet an diesem Verb das Konjugieren einpolterte. Durch alle Zeitformen, wieder und wieder. Wer das Latinum in der Tasche hat, ist eventuell bereits im Bilde, was kommen musste. Für alle anderen: Irgendwann kommt unweigerlich die Verbform laudavit. Ich bin nicht mehr so fit darin, aber ich glaube es heißt: er hat gelobt. Und nun werden Sie, als intellektuell-vernünftiger und vor allem erwachsener Mensch sich fragen, was das mit meinem Vornamen zu tun hat. Nichts. Das ist es ja eben. Aber erklären Sie das mal einer Horde pickliger Jungen mit Pennälerhumor. Ich weiß, man kann bedeutend schlimmere Spitznamen abkriegen, aber ich hatte meinen weg – und wurde ihn bis zum Latinum nicht los. Und ich rede nicht davon, dass Leute sagten: „Ey, Laudavit, hast du Mathe gemacht?“. Sondern ich rede von Klassenfenstern, die aufgerissen wurden, von schlachtenbummlerhaften Gröhlgesängen, wenn ich an einem Pulk Mitschüler vorbeiging: Laaaauuudaaavit! Wie gesagt, wer einen fiesen Spitznamen abkriegt, der durchaus was mit einem selbst zu tun hat, dann ist das deutlich übler. Kriegt man aber sowas ab, tja, dann wird man irgendwie schizoid. Frei nach dem Motto: Wer bin ich und wenn ja, wie viele und in welcher Zeitform?

Latein hin, Latein her – mit Blechhelm auf dem Kopf könnte ich wohl wirklich Römerramschware in jedem Gallierfilm sein. Zenturio Davidus Stelldichnichtsoanixus. Hm.

Als ich Jahre später auf der freudschen Couch lag und wir in den Fehlern meiner Eltern herumstocherten, um herauszufinden, warum ich ein wenig, nun, schizoid-bipolar geraten bin, war das vergebens. Wir hätten direkt beim Vornamen ansetzen sollen, wie ich mittlerweile ahneweiß.

Ob das mit dem Alter denn nicht besser wurde, fragen Sie? Nö. Kaum war das Latinum eingesackt und wir alle in den letzten zwei Jahren vorm Abitur, war eine Lehrerin blöde genug, vor versammelter Jahrgangsstufe, als sie mich aus anderem Grunde zu nennen hatte, mit verträumtem Blick hinzuzufügen, wie schön der Vorname David doch sei. Ja, Kompliment, aber klar, leises Kichern in den Reihen acht bis zwölf. Das unvermeidbare „Ey, Wonsch, da geht was bei der Frau xy, hihhi“ wurde flüsternd bis zu mir durchgestochen. Bekam sie wohl irgendwie mit und fügte dann – sie meinte es gewiss gut, so wie alle Frauen die Grütze, die sie bauen, eigentlich immer sehr gut meinen – na ja, fügte hinzu, was der Name David übersetzt heißt. War mir damals selbst nicht nicht bekannt gewesen. Und ich sage es hier nun auch nicht. Nur so viel: Gehört man zu den Jungen, die eher wenig bis eher gar nicht im Verdacht stehen ein womanizer zu sein, ist das alles wenig hilfreich.

Letztlich habe ich mich aus dem Gymnasium mit einem Hechtsprung gerettet, Hauptsache Abi irgendwie klauen und weg. Wie Dr. Kimble, auf der Flucht. Nur halt vor seinem eigenen Vornamen. Dem Ich, dass er gar nicht ist. So gesehen schrieben sich meine ersten drei Schizo-Romane quasi von selbst. Meine Mutter, Lehrerin xy, hach, ich verdanke feinsinnigen Vornamenfetisch-Frauen so viel an Kreativität. Und Therapie.

Ob ich denn mittlerweile nur noch positive Erfahrungen mit diesem doch eigentlich echt nicht wilden Vornamen mache – oder zumindest neutrale? Nö. Denn seit etwa 20 Jahren stoße ich mit hartnäckiger Regelmäßigkeit auf etwas, was ich das „Daniel-Phänomen“ nenne. Ich kürze es ab und es ist schnell erklärt: Das „Daniel-Phänomen“ ist, wenn einer, der David heißt, Daniel genannt wird. Passiert mir zuverlässig 2 bis 6 Mal pro Jahr. Nicht oft, so in Summe, aber doch zu auffällig, um nicht die nächste Klatsche zu kriegen. Zumal es ja auch andere schöne Vornamen mit „Da“ gibt, die man mir vor den Latz knallen kann, aus welchem Hirndreher auch immer. Und ich „Daniel“ jetzt nicht soo nah an „David“ sehe, um es für naheliegend zu halten. Wichtiger aber, das machen jetzt nicht nur Fremde, mit denen man zum ersten Mal Kontakt hat. Das wäre fast noch verständlich. Mein Onkel schreibt mir oft Mails. 2020 dann plötzlich, in einer Geburtstagsmail. „Hallo, Daniel – selbstverständlich habe ich deinen Ehrentag NICHT vergessen!…“

Nö. Nur den Vornamen. Genauso Kollegen, Chefs. Nein, meine Mutter nicht, die würde aber eh die Englische wählen. Und wahrscheinlich an Elton John angelegt singen: „And he looks like DÄNIÄL, must be the clouds in my brain“. Last und least: 2010 schrieb ich für eine größere Musikzeitschrift eine 4-seitige Reportage über Musikfestivals. Was war ich stolz, was war ich gespannt, was blätterte ich aufgeregt als ich die Ausgabe endlich hatte. Da war er, MEIN ARTIKEL, der erste 4-Seiter! Toll aufgemacht vom Layout, super Fotos. Und ganz vorne der Titel: „Haldern und Co – was geht noch auf deutschen Musikfestivals? Eine Bestandsaufnahme von Daniel Wonschewski“.

Vielleicht versteht ihr mich jetzt. Die haben einen Lektor. Einen Lektooor!!! Eigentlich sollte der Text meine Bewerbungsunterlagen krönen. Ging dann natürlich nicht mehr, sieht ja aus wie „mit fremden Federn“ schmücken, den Baerbock machen.

Resultat: Ich finde meinen Vornamen immer noch gut. Habe aber das Gefühl, dass er mich in ein lebenslanges Hasch-mich-Spiel gezogen hat. Such dich, such mich, bin ich vor dir, hinter dir?

Wie geht es euch dabei?

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Oder schauen und hören Sie es sich direkt an:

8 Kommentare zu “Bekenntnisse eines bipolaren Bedenkenträgers. Heute: A boy called Danielvid.

  1. Pingback: Bekenntnisse eines bipolaren Bedenkenträgers. Heute: Meine Zahnärztin hat mit mir Schluss gemacht. - David Wonschewski | Schriftsteller

  2. norberto42
    18. Januar 2023

    Ich habe „gefällt mir“ gedrückt, aber da kommt nichts an. Liegt’s an meinen firefox-Einstellungen?

  3. Anastina
    13. Januar 2023

    Poste doch den Link, du willst die Bücher ja verkaufen, was heißt hier geschaeftssuechtig

  4. Anastina
    13. Januar 2023

    Ich habe gesehen was du alles veröffentlicht hat. Top
    Super, auch auf Kindle erhältlich, das ist gut, werde Mal reinschauen.

  5. Anastina
    13. Januar 2023

    David, kannst du auf deinem Blog nicht einstellen, dass man es auch auf einem Mobiltelefon lesen kann ? Könnte ja sein. Bei mir gehts

  6. dasschauichmiran
    13. Januar 2023

    Spannende Erfahrungen!
    Interessant wäre zu erfahren, ob andere Davids mit ähnlichem konfrontiert wurden.
    Was die Schulzeit angeht, die Gründe warum manche Individuen immer wieder von ihren Mitmenschen in dieser Lebensphase eingeschenkt bekommen sind austauschbar… bei mir war es nicht der Name.
    Ich habe in früheren Jahren mal gehört: Aus schwieriger Kindheit kommen interessante Erwachsene hervor!
    Das hat mich oft trösten können.
    Alles Liebe,
    Ina

  7. davidwonschewski
    13. Januar 2023

    Anastina, entschuldige, kam nicht zum Antworten. Freut mich, dass du dereinst „Schwarzer Frost“ bestellt hast. Ja, habe seitdem viel veröffentlicht. Leicht zu finden auf der Website (ist kein Vorwurf, nur wenn ich den Link dahin poste wirkt es so geschäftssüchtig).
    Wer warst du denn?

  8. Anastina
    13. Januar 2023

    David ist ein guter Name, Kevin find ich blöd

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Information

Dieser Eintrag wurde veröffentlicht am 22. August 2023 von in Bekenntnisse eines bipolaren Bedenkenträgers, Nachrichten.

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