David Wonschewski | Schriftsteller

Kulturjournalist – Romancier – bipolarer Bedenkenträger

Weimar unter Palmen. Soeben ausgelesen: Klaus Modick – “Sunset” (2015)

von David Wonschewski

Zwei der lustigsten mir bekannten Kurzgeschichten stammen von einem Filmemacher: Woody Allen. Die eine trägt den Namen “Erinnerungen an die Zwanzigerjahre”, die andere “Die Schmidt-Memoiren” (beide zu finden in “Wie du dir so ich mir”, 1971). In beiden setzt Allen das gleiche komische Konzept um, indem er uns entrückte Gestalten der Geschichte auf den wahrhaftigen Boden der Tatsachen hot. In der ersten Geschichte erinnert er sich als fiktiver Ich-Erzähler daran, wie er sich in den Zwanzigerjahren einem Künstler- und Intellektuellenzirkel rund um Gertrude Stein, Hemingway und Picasso anschloss, sich mit denen für ein paar sonnige Wochen in einer Villa an der südfranzösischen Küste einquartierte. In der zweiten hingegen lässt er den hauseigenen NSDAP-Friseur, einen gewissen Schmidt, erzählen, wie das so war, wenn die Nazi-Größen auf seinem Stuhl Platz nahmen, um sich das Haupthaar adrett frisieren zu lassen. Beide Geschichten werden deswegen so komisch, weil Allen allen seinen Gestalten eine Menschlichkeit einhaucht, ohne sie dabei ihres historischen Rufes zu berauben. Das Hochgeistige und/oder Hochpolitische wird hier stets vermengt mit dem simplen, um nicht zu sagen simpelsten Leben. Hemingway, der inmitten intellektueller Diskussionen nicht mehr mitkommt, was für die anderen offenbar genauso zutrifft und damit endet, dass sich alle Boxhandschuhe überziehen und sich der Einfachheit halber gegenseitig die Nasen platt hauen. Oder Göring, der zeitgleich mit Heß beim Friseur eintrifft, aber nicht den Stuhl kriegt, den er gerne hätte. Und eingeschnappt beschließt, sich künftig die Haare nur noch von seiner Frau schneiden zu lassen, mittels Topf auf Kopf. Und überhaupt: “Picasso war gerade dabei, mit einer Periode zu beginnen, die später als seine blaue bekannt wurde, aber Gertrude Stein und ich tranken erst einmal Kaffee mit ihm, und so fing sie zehn Minuten später an.”

Ob Klaus Modick diese beiden Geschichten kennt, sie vielleicht sogar Pate standen als er sich daran machte “Sunset” zu schreiben, nun, das ist mir nicht bekannt. Fest steht jedoch, dass er mit ganz ähnlichen Mitteln wie dereinst Allen einen Roman konstruiert hat, der – schaut man sich zuvor einfach nur die Inhaltsangabe an – doch eigentlich zum Scheitern verurteilt ist. Der in den Wirren des Zweiten Weltkriegs ins kalifornische Exil geflüchtete Weltliterat Lion Feuchtwanger erhält 1956 die Nachricht vom Tod seines besten Freundes Bertolt Brecht. Und beginnt sich zu erinnern, wie das so war, damals, als er den noch unbekannten Dramaturg traf, ihn nachhaltig förderte. Und zunächst er, später auch Brecht, in die USA emigrierten, sich im Großraum Los Angeles ansiedelten. Und somit zum Teil einer kleinen, aber aus heutiger Sicht sehr erlesenen Clique wurden, die sich allesamt dort tummelten, trafen, gegenseitig stützten, aber auch – Modick zeigt das immer wieder wunderbar auf in seinem Buch – herzhaft stritten, ihre jeweiligen charismatischen Marotten aufeinanderknallen ließen. Lagerkoller at it’s best, gewissermaßen. Thomas und Heinrich Mann, Franz Werfel, Adorno, Döblin, Marcuse, Feuchtwanger, Brecht, Baum und andere – in Erwartung einer baldigen Rückkehr ließ sich der Großteil der Autoren zunächst in europäischen Nachbarländern nieder. Doch der Vormarsch der deutschen Truppen in Europa zwang sie schon bald zu einer erneuten Flucht. Häufigstes Ziel der Emigranten war dabei Amerika. Insbesondere Pacific Palisades wurde zum bedeutenden Treffpunkt deutschsprachiger, nicht selten bereits weltberühmter Autoren, ein „Weimar unter Palmen“.

In diese Gemeinschaft von Exilliteraten begibt sich Modick mit seinem Protagonisten Feuchtwanger nun. Mit dem bewussten, sehr riskanten Ziel, ein Zwitterwesen aus historisch belegten Fakten und lustvoll fiktiven Vorstellungen zu schaffen. Wobei das Wort “fiktiv” hier nicht als zwangsläufiger Gegenpol zu den belegbaren Tatsachen zu sehen ist, was schon daran liegt, dass Modick als einer der besten Kenner von Feuchtwanger und jener Exilantenszene gilt, die es in unserem Land gibt. Seine Doktorarbeit hat Modick einst über Feuchtwanger verfasst, hinzu kam ein Arbeitsstipendium in der kalifornischen Feuchtwanger-Villa Aurora. Auch in den Aspekten, die Modick sich in “Sunset” letztlich nur erhirnt haben kann, stützt er sich auf ein unfassbares, über Jahre und Jahrzehnte erworbenes Spezialwissen aus Briefen, Tagebüchern und anderen Überlieferungen. Sicherlich, viele – nicht alle! – Zitate in diesem Buch sind keine Zitate, sondern den Handelnden von Modick in den Mund gelegt, wie auch nicht jede simple Bewegung irgendwo dokumentiert sein wird, klar. Genau das aber macht “Sunset” so faszinierend, gerät es doch genau dadurch zu einer amüsant-interessanten Charakterstudie und bietet somit die unique Möglichkeit, sich der menschlichen Seite jener übergroßen Namen zu nähern. Das ist zunächst – ähnlich wie bei Allen – oftmals komisch. Feuchtwanger, der in die Bruchbude zieht, die man zuvor Thomas Mann angeboten hatte, die dieser jedoch als zu schäbig und unter seinem Niveau abgelehnt hatte. Heinrich Manns nicht minder legendäre Frau Nelly, eine zur Trunksucht neigende ehemalige Animierdame, die – ähnlich wie Hemingway in der Allen-Story – gleich doppelt fehl am Platze ist, in Amerika gleichermaßen wie in diesem Künstlerzirkel. Und überhaupt Brecht, der – man vergisst es fast – im Gegensatz zu vielen anderen keinen Fuß auf den Boden bekommen hat, aber tatsächlich davon ausgegangen war, dass Hollywood gerade einem wie ihm doch den roten Teppich ausrollen müsste. Es ist herrlich zu lesen, mit welcher Inbrunst, nicht selten nah am Cholerischen gebaut, Brecht mit lautem Tamtam Ausflüchte und Ausreden erfindet, um nur nicht zeigen zu müssen, wie sehr ihn die Ignoranz der Amerikaner verletzt und wie gescheitert er dort ist. Wie Modick überhaupt – und das ist sozusagen sein Hauptplot – die Tiefen dieser etwas seltsamen Freundschaft auslotet, die aus einem – auch finanziell – sehr erfolgreichen Weltliteraten, Feuchtwanger, besteht, der hochdiszipliniert, besonnen, ruhig und immer hilfsbereit durchs Leben schreitet. Und einem Sparten- und Regionalkönig wie Brecht, der in so ziemlich allem das Gegenteil von Feuchtwanger ist, ja unumwunden zugibt, dass er diesen vom ersten Moment an auch stets ein Stück weit opportunistisch genutzt hat, um nach oben zu kommen. Was Feuchtwanger durchaus bewusst wird, von diesem jedoch mit einem milden Lächeln quittiert wird.

Was Modick hier aufzeigt, ist somit auch, warum unmögliche Freundschaften, die von Umstehenden oftmals mit einem Kopfschütteln abgetan werden, doch funktionieren. Denn Brecht und Feuchtwanger profitieren voneinander, da doch der eine hat, was dem anderen fehlt. Die Brecht’sche Urwüchsigkeit, dieses Naturgenie, das hat Feuchtwanger nie besessen. Feuchtwanger konzipiert seine Romane generalstabsmäßig, derweil Brecht einfach in die Tasten haut. Feuchtwanger, von dem man immer weiß, wann er wo ist, was er macht und wie er sich verhalten wird, der zeitlebens auch nur eine große Liebe kannte, Marta, der er bis zu seinem Tod treu bleib. Und auf der anderen Seite eben, hüstel, Brecht.

Ob Feuchtwanger derart anständig und grundsympathisch war wie der Feuchtwanger-Fan Modick ihn hier zeichnet, ob Brecht wirklich ein solch impulsiver Bauchmensch und der ziemlich widerwärtig dargestellte Thomas Mann tatsächlich ein solch überheblicher Snob gewesen ist, der quasi alles, was nicht aus seiner eigenen Feder kam, als trivialen Schund erachtete, nun, es mag dahingestellt sein. Viele Originalquellen gehen wohl in diese Richtung und selbst wenn nicht – “Sunset” ist ein Roman und als Figuren funktioniert das alles ganz wundervoll.

Was “Sunset” nun wirklich die Krone aufsetzt, ist jedoch die Einbindung ins politische Leben der USA Mitte der Fünfzigerjahre. McCarthy-Ära. Als linke Intellektuelle, die nicht mit den Nazis kollaborieren wollten, waren Feuchtwanger und Co. dereinst mit Freude ins Land gelassen worden. Und müssen nun aus den gleichen Gründen – so irrsinnig kann Menschengeschichte sein – darum fürchten, die lang ersehnte amerikanische Staatsbürgerschaft doch nicht zu erhalten, wieder rausgeworfen zu werden aus den USA. Denn wenn einer nicht mit den Nazis kollaborierte, dann war er wohl Kommunist. Was auch sonst. Alle Exilliteraten stehen unter Beobachtung, hundert Meter vor Feuchtwangers Haus steht immer, wenig konspirativ, ein Wagen, darin immer ein Mann in Anzug, mit Hut. Wenn Feuchtwanger den Müll rausbringt, grüßt er den immer freundlich, hebt kurz die Hand. Irgendwann grüßt der zurück. Bei Franz Werfel stehen diese Staatsbeamten auch gerne mal direkt vor dem Fenster, schauen, was so abgeht im Hause Werfel. Und dann diese in aller Öffentlichkeit und sogar im Rundfunk übertragenen Verhöre. In denen auch manche Exilliteraten vor einer Kommission Rede und Antwort stehen müssen, geprüft wird, welchen Anteil sie haben könnten an kommunistischen Umtrieben. In der Tat ganz urig, dass ausgerechnet der linkeste Kapitalismuszerfledderer von allen, Brecht, der Einzige ist, der dort mit relativ großer Klappe aufkreuzt, sich keine Sorgen machen muss. Eben weil die Amerikaner ihn nicht nur künstlerisch ignorieren, sondern auch politisch für ein unsagbar laues Licht halten. Ein Luftikus. Feuchtwanger hat es da schon bedeutend schwieriger, seine Klugheit, seine politik- und philosophietheoretische Beschlagenheit, seine durch Nettigkeit erworbenen vielen Kontakte, seine besonnene Art zu sprechen – all das fällt ihm auf die Füße. Macht verdächtig.

“Sunset” ist eines dieser Experimente, von denen ich jedem Schriftsteller abraten würde. Warum? Weil man sich an Modick messen lassen muss. Und das wird unweigerlich schief gehen.

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