David Wonschewski | Schriftsteller

Kulturjournalist – Romancier – bipolarer Bedenkenträger

Bekenntnisse eines bipolaren Bedenkenträgers. Heute: Abschlussbericht Katar oder Die neue deutsche Scham ein Deutscher zu sein.

von David Wonschewski

Das ist schon eine Krux. Mit mir selbst. Fiel mir erst die Tage auf. Da stricke ich mit meinen misanthropisch-bipolaren Romanen seit mittlerweile 10 Jahren an meiner eigenen Legende als zynischer Weltpessimist – und überbiete mich seit einigen Monaten selbst mit positiven Gedanken. Und, wo ich die Möglichkeit habe, mit Mahnungen und Belehrungen, doch mal ein wenig Sonne zuzulassen. Wie beim Thema Katar. Nahezu alle schimpften vorab, moserten prophylaktisch. Halb Deutschland stand kurz davor, sich vor der FIFA-Zentrale in Zürich festzukleben. Wie man das heutzutage halt so macht. Wenn man etwas quengelig drauf ist, aber keine Argumente mehr hat. Und ich so: Lass doch den Ball erstmal rollen, lass die doch erstmal anfangen. Gib ihnen eine Chance, kann doch auch cool werden.

Wurde es dann ja auch. Hach, was für eine tolle WM.

Ich glaube ja, dass Dinge, die im Privaten nicht gehen, folgerichtig auch im Öffentlichen nicht funktionieren. Über eine Party meckern, zu der man eingeladen wurde, zu der man auch geht, beispielsweise. Aber eben zu meckern, bevor diese Party auch nur angefangen hat. Und wacker weiter über den Gastgeber herzuziehen, derweil man längst lässig an dessen Bar steht, mit dem vom ihm bezahlten Bier in der Hand. Wir brauchen die einzelnen Kritikpunkte an der WM nicht mehr aufzudröseln, wir sind es wohl alle mittlerweile satt, zurecht. Worum es mir eher geht ist, dass etwas Seltsames passierte bei dieser WM. Als unsere Jungs da beim ersten Spiel sich die Münder zuhielten, wohl wissend, dass dieses Foto um die Welt geht und sich auch nie nie nie wieder aus der Geschichte wird tilgen lassen – schämte ich mich zum ersten Mal Deutscher zu sein. Seit etwa 40 Jahren wird mir überall nahegebracht, warum es passend wäre, sich meiner Nationalität zu schämen. Habe ich aber nie, denn sich schämen ist für mich verbunden mit dem Fliehen vor Verantwortung, egal wie lange gewisse Dinge her sind. Was die Nazi-Zeit betrifft, so ist es immens wichtig auch heute noch Leute zu haben, die, wenn auch im übertragenen Sinne, sich als Täter fühlen, wissen, was das bedeutet. Das geht nicht mit Scham. Und darum geht es, ich verstehe sehr gut, wie Otto Normalverbraucher in den 30er-Jahren zum Nazi werden konnte. Nicht schön, aber erklärbar. Wie man sich im Vorfeld der WM verhalten konnte, wie wir das mehrheitlich taten und wie man sich als Vertreter Deutschlands die Münder zuhalten kann – das kann ich nicht erklären. Ich schäme mich abgrundtief, dass wir so sind, geworden sind. Ich es nicht aufhalten konnte. Ich fand unsere Empörung auch schon vorher selbstverliebt und bigott, aber dieses Foto, du meine Güte. Ich werde einige Jahre lang im Ausland nun als Schweizer oder Österreicher reüssieren. Himmel, finde ich uns mittlerweile peinlich. Oder wie der (mittlerweile ehemalige) Fußball-Kommentator Béla Réthy sinngemäß sagte: Deutschland geht mir gerade ein wenig auf den Keks. Hochmut kommt bekanntlich vor dem Fall. Ich hoffe sehr, diese WM war er dann auch, dieser Fall.

Die zuvorderst bei uns hitzig geführte Diskussion um diese “One Love”-Binde war von Beginn an verlogen. Nicht wegen der Werte und Ideale, sondern weil die, die diese Idee hatten, ja schon vorher wussten, dass das Tragen der Binde verboten wird, ja allein das überhaupt die Idee war. Öffentlichkeitswirksam verboten zu werden, auf künstlichem Wege Empörung zu erzeugen. Ist auch das Konzept der Letzten Generation, wenn sie Gemälde vollkotzen. Die sind schlau genug zu wissen, dass das viele eher abschreckt, sich abwenden lässt. Aber: Even bad promotion is good promotion. Die Binde musste abgelehnt werden, ganz ohne Moral und Anstand. Platzwart-Knowledge for Beginners. Fragen Sie andere Profisportler mal. Hätten wir mit dieser Binde Japan im ersten Spiel 4:0 vom Platz gehauen, Japan hätte, eben wegen dieser Binde, am sogenannten grünen Tisch Einspruch gegen die Wertung dieser Niederlage erheben können. Und mit Sicherheit gewonnen, die juris prudenz hätte ein 2:0 für Japan draus machen müssen. Die Ablehnung war also gewissermaßen lange vor der Binde da. Wussten die Profis und Funktionäre nicht? Aha.

Ja, es war eine tolle WM. Nach der luftleeren WM in Russland, die ich in Gänze zum Abgewöhnen fand, hatte diese WM alles. Sogar einen Schurken, der in der Vorrunde ausscheidet. Und wenn selbst Frauen, die vor Ort waren, davon berichten, dass sie sich nie so gerne auch spätabends noch zwischen Fanmassen bewegen wollten und konnten – kein Alkohol ist zumindest temporär doch eine Lösung – und wenn es die “frauenfeindliche” Religion und Gesellschaft ist, die das ermöglicht, nun, dann darf man sich zumindest mal ein paar wirklich tolerante Gedanken machen.

Ja, Messi. Der olle Penunzeneinheimser. Steuerarsch, Saudifreund, der Depperte. Ich verstehe nicht viel von Menschen, aber eines habe ich begriffen: Wir sind nicht sauer, dass Promis derlei Geldscheffelmöglichkeiten nutzen. Wir sind sauer, dass sich diese Möglichkeiten ihnen bieten, uns aber nicht. In einer gerechten Welt hätte auch ich ein Werbeangebot aus Saudi-Arabien und Katar. Wobei es in meinem Fall eine Einladung vom RBB auch schon tun würde. Obwohl die in Sachen Korruption ja bekanntlich eher so FIFA sind. Mir ist es offen gesagt egal, wie Messi noch 88 Millionen mehr pro Jahr einholt. Der Fußballerspruch “entscheidend is aufm Platz” kommt nicht von ungefähr. Ich muss dazu aber sagen, dass ich mir auch weiterhin die Bill Cosby-Show ansehe, wenn sich noch wer traut sie auszustrahlen. Oder zu Michael Jackson-Songs tanze. Mich auf die Rückkehr von Luke Mockridge auf den TV-Bildschirm freue. Weil er die einzige Reinkarnation des legendären Peter Alexander ist, eine Allzweckwaffe, auch wenn ich nie Fan war, von beiden nicht.

Zum Abschluss zurück zur Scham: Wissen Sie, früher, oder bisher, war diese Scham deutsch zu sein ein eher linkspolitisches Phänomen. Mir sind in meinem Leben sehr viele Gestalten begegnet, die ich mittlerweile “die Mermi-Schmalzs” nenne. RTL2-Glotzer sind im Bilde, das waren und sind jene “Goodbye Deutschland” Baden-Württemberger, die aus unerfindlichem Grunde denken Brasilianer zu sein. Rastalook inklusive. Die aber dort in Brasilien auch deswegen scheitern, weil nicht einmal die Brasilianer so brasilianisch sind, wie sich Baden-Württemberger und Mermi-Schmalzer den Brasilianer – ist es nicht letztlich sogar eine Unterart von Rassismus? – denken. Ja, seit ich lebe, kenne ich “linke” Menschen, die sich von den “deutschen Tugenden” distanzieren. Vollmundig darauf bestehen, da anders zu sein, lockerer, easier. Der Typ, der in den 30ern aber natürlich voll im Widerstand gewesen wäre. Der Bob Marley- und Che Guevara-Poster im Zimmer hängen hat und bis heute denkt, beide wären global-tolerante menschenliebende Kerle gewesen.

Das wandelt sich gerade. Aktuell distanzieren sich eher liberale und konservative Menschen von Deutschland. Schämen sich ein Deutscher zu sein. Ich bin einfach nur einer davon.

Unterstützen Sie den Autor der obigen Zeilen, indem Sie sich sein „eigenes Zeug“ reinziehen – zwei erste Videoeinblicke sind untenan einzuhaschen. Vielen Dank.

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Dieser Eintrag wurde veröffentlicht am 20. Dezember 2022 von in Bekenntnisse eines bipolaren Bedenkenträgers, Nachrichten.
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