Cold cold heart. Hard done by you.
Ich war 13, als ich diese simplen Zeilen zum ersten Mal hörte, 1990 etwa. Ich gebe es ungern zu, nenne bei musikalischen Einflüssen, die mich zum Schreiben und Psychoseelenromane verfassen brachten lieber die Kinks, Paul Weller, Ian Curtis. Wenn es ganz weich kommt auch mal Martin Gore. Aber das ist, wenn auch nicht gelogen, so doch vorgeschoben.
Cold cold heart. Hard done by you. Ich war 13, sah den Videoclip von Elton Johns „Sacrifice“ und, nun, war verloren. Wer den Clip kennt, das ist an sich keine so große Kunst, er wirkt etwas wie ein Karaoke-Filmchen, zwei schöne Menschen, die sich so ihre Gedanken machen über die Liebe, während sie am Strand entlanglaufen oder durch die Stadt, auf dem Balkon stehen. Eine einzige große Mainstreamkacke ist das. Und ich war 13. Total ergriffen, ergriffen wie nie zuvor. Man muss dazu sagen, dass Elton John seinerzeit noch ohne Wischmop auf dem Schädel daherkam, dadurch fiel auch das blöde Grinsen weg, das man seitdem hat, wenn man ihn sieht. Ich saß also da wie eine Frau vor so einer Netflix-Scheiße oder vor so einem auf England getrimmten ZDF-Schmonzerl. Noch schlimmer als „Sacrifice“ ist eigentlich nur „Careless Whisper“, das größte Weltlied der, ehm, Welt. Ich hasse George Michael bis heute dafür, dass ich ihn liebe. Verzeihen Sie mir die deftige und unzeitgemäße Wortwahl, aber ich frage mich schon manchmal, wie schwul man eigentlich sein muss, um sowas schreiben zu können. Das ist ein Lob. Das man als Heteromann doch bitte auch mal so formulieren darf, damit es irgendwen, vielleicht sogar „die Gesellschaft“ weiterbringt. Ich mag es nicht, wenn Popmusik so geschrieben wird, dass sie auch in ein Musical passt. Deswegen ist ABBA für mich größtenteils die entscheidende Zuckerstufe zu viel. Ich bin halt kein 8-jähriges Mädchen, verdammt. Aber in meinen Top 10 der schönsten Poplieder sind mit Paul Weller und Ray Davies nur zwei Heteros. Jajajaja, das sollte egal sein, es geht doch nicht um…doch, tut es. So wie lesbische Frauen die besseren Fußballspielerinnen sind, sind schwule Männer die besseren Popsongschreiber. Das nicht zu benennen ist so als würde man einen Song über eine Prostituierte verbieten, weil man denkt dadurch Prostitution aus der Welt zu schaffen. Ich habe nicht viele Ziele im Leben, ich würde aber gerne beizeiten als nicht bigotter Mensch sterben. Denn das Umhüsteln und Umtänzeln ist doch der Fehler, die Diskriminierung. Haben Sie geweint als Kurt Cobain starb? Ich nicht. Aber ich hatte feuchte Augen als Stephen Gately ging. Die nach Brian Wilson schönste Männerpopstimme der Welt.
Und so weiter und so fort.
1990 war ich 13, ich hörte: Cold cold heart, hard done by you, war eigentlich zu jung, um das zu raffen, war aber sofort auf die schönste Art und Weise bedrückt. Martin Gore-Zeilen für die Ewigkeit, hätte der beste Liedtexter der Welt, Ray Davies, nie hinbekommen. Ich wusste immer, dass das nicht zu Elton Johns Meisterwerken gehört, dass das Lied es kaum auf seine „Best of“-Compilations schaffen wird, dass es im Gegensatz zu „Careless Whisper“ zum vergessenen Song werden wird.
Tja, so kann es gehen. 2022, Beat drunter, dance. Genau deswegen vergleicht man uns Musikjournalisten so gerne mit Meteorologen. Weil wir unser Handwerk von der Pieke auf gelernt, dennoch keinen Schimmer haben. Ha.
Ich komme nicht drauf, weil an der Dance-Version gerade kein Vorbeikommen ist. Ich komme drauf, weil ich aktuell an meinem neuen Romanmanuskript hocke. Und versuche herauszufinden, was an Cold cold heart, hard done by you, eigentlich so schmerzvoll ist. Da steckt doch locker ein Dutzend sanfter Romane drin, in diesem kurzen Statement.
Ich wünsche Ihnen und euch ein schönes Wochenende. Lassen Sie das Radio ruhig aus, die Erinnerung an Radio reicht.
Unterstützen Sie den Autor der obigen Zeilen, indem Sie sich sein “eigenes Zeug” reinziehen – zwei erste Videoeinblicke sind untenan einzuhaschen. Vielen Dank.