David Wonschewski | Musikjournalist & Schriftsteller

Melancholisch-sarkastische Literatur für Schwarzhumoriker, Musikenthusiasten und andere glückliche Menschen.

Morast, nichts als Morast. Soeben ausgelesen: László Krasznahorkai – „Satanstango“ (1985)

von David Wonschewski

Vorabfazit: 5 von 5 Sternen

Die Frage ist nicht neu, bleibt aber berechtigt: Warum nur kennen wir ach so aufgeschlossenen Deutschen viel mehr Kultur von weit entfernt beheimateten Nationen als denn von denen, die uns regional so nahe sind? Trifft auf Polen zu, trifft auf Tschechen, Moldawier, Slowenen zu. Und auch auf Ungarn.
Literarisch wird es für uns frühestens doch erst ab Dnjepropetrowsk wieder interessant. Woran das liegt? Keine Gewissheit, allenfalls eine Ahnung: Wie singuläre Subjekte, so orientieren sich auch Gruppen zuvorderst nach oben. Briten, Russen und Amis werden schon nicht aus Zufall Weltmächte geworden (gewesen) sein. Wozu da im Morast derer wühlen, die weit hinter (unter) uns sind. Oder von denen wir geflissentlich (aus Arroganz oder Angst?) einfach einmal annehmen sie wären es.

Womit wir beim Ungar László Krasznahorkai wären. Einem germanophilen, in Berlin studierten, von Briten hochdekorierten, ja, Weltliteraten. Den hierzulande, sagen wir es doch ruhig, keine Sau kennt. Und wenn doch, dann bestenfalls jene Freaks, die ab und an mal bei TV-Literatur-Tonnenwerfer Denis Scheck vorbeischaut. Womit auch gleich geklärt wie ich vor wenigen Jahren zu Krasznahorkai kam.
Ja, bei Scheck entdeckte auch ich ihn erst – und kam schon vor der ersten gelesenen Seite nicht mehr an ihm vorbei. Denn er sei, so vernahm ich schnell, ein Schriftsteller, an dem jeder seine Freude hat, der… nun… ansonsten eher wenig Freude an Freude hat.

Mit derlei misanthropischen Vorschusslorbeeren kriegt man mich ja immer.

„Satanstango“ ist der erste Roman von Krasznahorkai (1985 erschienen) und auch der erste, den ich von ihm gelesen habe. Die Grundgeschichte ist schnell skizziert: In der ungarischen Provinz gibt es ein Dorf, in dem kaum noch einer wohnt. Alle abgehauen. Und wer noch da ist, hat kaum was, wenig, nichts. Überfluss herrscht nur an Alkohol, Perspektivlosigkeit und: keiner Zukunft. Der hier skizzierte, arg provinzielle Ungar ist Teil einer Gesellschaft im Niedergang, der Sozialismus hat ausgedient, den Kapitalismus erträumt man sich allenfalls. Überall Schlamm und Regen, vollzogene Besäufnisse und nicht mehr auf die Reihe bekommene Begattungen. Da, plötzlich, kommt ein charismatischer Ex-Dorfbewohner aus der Großstadt zurück ins Dorf. Einer, der schon bei seinem Weggang Eindruck hinterließ. Und dessen Rückkehr nun aufgenommen wird wie die eines wahrlichen Messias. Obschon auch er nur ein Strolch gewesen ist, ein Mann ohne Plan, jedoch mit einem Gespür für die charakterliche Anfälligkeit aussichtloser Menschen …
Oha, der Roman von László Krasznahorkai liest sich tatsächlich wie Morast. Zwar kommt er in klarer, schnörkelloser und nur selten doppelbödiger Sprache daher, doch er atmet Zeile für Zeile Aussichtslosigkeit. Vertane und verschranzte Leben. Alkohol als einzig aufrichtigem Retter in der Not.
Nein, Licht sucht man vergebens im „Satanstango“. Und doch lässt sich nicht verschweigen, dass dieser Roman kein Stück weniger faszinierend ist als die frühen abgehalfterten Aussteiger- und Loser-Filme eines Jim Jarmusch. Und das Wunderwerk vollbringt, ein politischer Roman zu sein, ohne dabei politisch daher zu kommen.

Ich gebe unumwunden zu, dass es ganze Passagen gab, die mir weniger zusagten. Wo bei meinem Lieblingsmisanthropen Thomas Bernhard Seite auf Seite ein Affront zu erwarten ist, wo bei meinem favorisierten Schweizer Zyniker Markus Werner die Unbill des Lebens himmelschreiend komisch durch jede Zeile trieft… nunja…. quält sich Krasznahorkai halt so voran. Und mit ihm sein Leser. Das ist schon viel Uff. Wie wenn man einen mit Kohlestücken voll beladenen Bollerwagen einen Berg hoch zu seiner armen kranken Oma ächzt. Wohl wissend, dass man, wenn man oben ankommt, eh merken wird, dass da keine Oma wohnt. Und man wohl auch keine hat.

Nie hatte.

Das ist Krasznahorkai. In seiner nicht selten dunklen Fantasterei gut verfilmbar (auch bereits geschehen). Und wohl erst verständlich nach dem zweiten Lesen.

Lesen Sie auch die Rezension zu: László Krasznahorkai – „Der Gefangene von Urga“ (1993). Und zwar – HIER.

Ein Kulturjournalist tobt sich aus – „Schwarzer Frost“, der bitterböse Debütroman von David Wonschewski. Mehr Informationen zu diesem Buch entnehmen Sie bitte den Seiten dieses schattigen Blogs. Oder aber tummeln sich direkt HIER.

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Dieser Eintrag wurde veröffentlicht am 20. November 2022 von in 1950 - 1999, 5 Sterne, Krasznahorkai, László, Soeben ausgelesen und getaggt mit , .

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