Foto: Christine Fenzl
(Dieser Artikel erschien erstmals auf dem nicht mehr existenten Liedermacher-Blog “Ein Achtel Lorbeerblatt”)
Das Konzept hat er sich ein wenig bei dem schweizerischen Kollegen Markus Heiniger abgeschaut: in unregelmäßigem Abstand verabredet sich Schriftsteller & EAL-Redakteur David Wonschewski mit Liedermachern zum verbalen Ping-Pong. Das Konzept ist denkbar einfach und in Zeiten virtueller Betriebsamkeit fast schon „lebendig“ zu nennen: Man mailt sich hin und her. Der eine reagiert auf die Äußerungen des anderen, Missverständnisse und aneinander Vorbeireden inklusive. Keine vorgestanzten Fragebögen, keine dringend abzuhandelnden Kernpunkte – einfach laufen lassen. Schauen wohin es führt.
Ob es überhaupt irgendwohin führt.
Diesmal als Gesprächsgast am Start: Susanne Betancor. „Gebildet zur bildenden Künstlerin“, so lesen wir in der Vita der experimentierfreudigen Dame, „freischaffend als Sängerin, Komponistin, Musikerin, Autorin, (Kammer)Pop-Poetin.“ Ein kurzer, sehr kompakter – und doch bereits vielsagender Einblick in das facettenreiche Schaffen einer Frau, die bereits seit 25 Jahren auf deutschen Bühnen zu erleben ist. Längst gut bestückt mit u.a. dem Prix Pantheon oder auch dem Deutschen Kleinkunstpreis hat die Tochter eines Kanaren und einer Deutschen noch immer nicht die Faszination daran verloren, Humor und musikalische Finesse mit wagemutigen Improvisationen und Dekonstruktionen zu verbinden. Flockig und grell, dabei müde und zerrissen, hinreißend einnehmend, dabei erschreckend ablehnend – alles das zeitgleich kriegt nur sie hin, Susanne Betancor. Das aktuelle Album von Susanne Betancor „Mein Herz will sich schlagen“ ist im Dezember 2014 erschienen. Ein Gespräch über technische Defizite, intime Fragen und, oha: Selbstekel.
David Wonschewski (DW): Frau Betancor, welch‘ Freude Sie hier beim PingPong begrüßen zu dürfen. Gerade in diesen hektischen Zeiten, in denen es gemeinhin ja nicht mehr so viel gibt, auf das man sich freuen könnte. Die Welt scheint derzeit mal wieder unterzugehen, direkt vor unseren Fenstern, Terror und Krieg und freilaufende Irre allüberall. Ich neige nicht zur Hysterie, aber als jemand, der mit der S-Bahn täglich am Berliner Hauptbahnhof vorbei muss bin ich derzeit tatsächlich ein wenig angespannt zwischen den Stationen Tiergarten und Jannowitzbrücke. Und damit nicht genug: Jetzt will sogar Ihr Herz sich neuerdings schlagen, wie ich dem Titel Ihrer neuen CD entnehme…
Susanne Betancor (SB): Hallo Herr Wonschewski! Die Freude ist ganz auf meiner Seite und ich beglückwünsche uns alle zu diesem herrlichen Interviewformat. Ja, also, natürlich scheint der Wahnsinn derzeit wieder mal überpräsent im wahrsten Sinne der Tatsache, ganz mal abgesehen von den Worten, die überproportional auf uns nieder und in uns hinein rieseln… von den Bildern mal gar nicht zu schreiben… Meine neue Platte hat den – mit viel Fantasie – gewalttätigen Titel „Mein Herz will sich schlagen“. Und kommt aber fast flockig daher. Ich glaube, das macht der Mix aus Jazz – Haberkamp und Oster sind hier in Schuld – und Dancehall, für den die Kollegen und Ex-Lychees Dirk Berger und Based verantwortlich sind. Based, der hauptamtlich bei „Seeed“ spielt, hat der Rhythmusgruppe seinen teighten Stempel aufgedrückt, so dass die Songs fast tanzbar sind. Das aus dem Song Nr. 7 „Ich steh hinter dir“ heraus gelöste „Mein Herz will sich schlagen“ hat etwas Olympisches und Kämpferisches. In der Tat. Sportlich kapitalistischer Wettbewerb und das Kämpfen für eine Sache, eine Person eine Weltanschauung, eine Religion! Und da hätten wir wieder den Salat. Davon abgesehen, dass ich einer einerseits renitent, freiheitsliebenden evangelischen und andererseits autoritär fundamentalkatholischen Verbindung entspringe, würde letzteres aber für mich persönlich ausscheiden. Außerdem spielt der Song „Ich steh hinter dir“ in einer Supermarktschlange. Und es ist sowohl ein Liebeslied als auch eine Aufforderung, sich der täglichen Routine des Kapitalismus zu entziehen.
DW: „Ich steh hinter dir an der Kasse, schau aufs Band, deine Waren und dein Rücken setzen mich in Brand“ heißt es dort so trefflich. Aber mal ehrlich – sich der täglichen Routine des Kapitalismus entziehen, geht das überhaupt in einem marktwirtschaftlichen System? Das geht doch im Kunst- und Kulturbetrieb – in dem manche Menschen noch die eheste Möglichkeit der Verwirklichung sozialromantischer Ideen vermuten – schon los. Als jemand, der auch schon in vielen anderen Berufen gearbeitet hat, kommt es mir sogar so vor, dass man dieser Unmöglichkeit, sich dem Ganzen zu entziehen, in keiner Weise so sehr begegnet wie als Künstler. Sicher, der ein oder andere kann sich darauf berufen keinerlei Wert auf Geld oder Besitztümer zu legen – damit beginnt dieser künstlerische Eiertanz aber doch gemeinhin erst. Sei es als Organisator kultureller Veranstaltungen, als Schriftsteller in eigener Sache oder als PR-Mann für Liedermacher – seit ich Künstler bin ist das Wort Finanzierbarkeit zum bestimmenden Begriff meines Alltags geworden. Als ich noch beim privaten Kommerzfunk – wahrlich eine der übelsten Ausprägungen der Konsum-, Verwert- und Verwerfungsgesellschaft – gearbeitet habe, spielte Geld zwar eine wichtige, auch tragende Rolle – aber nistete sich bei weitem nicht derart im Schädel ein. Seit ich mich bewusst entschieden habe es nicht zum Motor meines Lebens werden zu lassen, ist es erschütternd konkret geworden, das liebe Geld… was mache ich nur falsch?
SB: Oh je, das Geld. Auf meiner letzten Platte „kein Island“ war der heimliche Hit „Faul und Feige“. Eine utopische Hymne auf die Verweigerung, und da heißt es „Ich will die Welt nicht verändern/ich bin zu feige und zu faul/lehne lieber an Geländern/beug mich rüber wink dem Paul/und der Müllabfuhr und dem Motz-Verkäufer Motz-Verkäuferin/ich hänge da und bin so froh/dass ich nichts geworden bin“. Ein Journalist warf mir Zynismus vor und dabei ist dieser Text Ausdruck meiner nackten Skepsis. Ich habe schon viel Geld verdient und schon sehr wenig. Aber zum Glück konnte ich immer das tun, was mir im wahrsten Sinne des Wortes gepasst hat. Und ich hoffe, dass ich das weiter tun kann, bis ich den Löffel weglege. Mein Kapital ist meine Unabhängigkeit. Das klingt pamphletisch, ist aber wahr. Auf „Mein Herz will sich schlagen“ findet sich die Verweigerung gegen Verwertbarkeit im dem Song „Sediert fall ich nicht auf“. Ein Song über Selbstoptimierung kontra Sich-gehen-lassen. Und eine Ode an die Verweigerung. Ich glaube, ich bin allergisch schon gegen das bloße Funktionieren. Von Perfektion ganz zu schweigen. Ich spiele Klavier seit ich fünf bin. Aber aus mir wäre nie eine Konzertpianistin geworden, weil ich nicht vom Blatt spielen konnte. Ich hab lieber stundenlang vor mich hin improvisiert. Jahrelang nur nach Gehör gespielt. Die Improvisation ist mein täglich Brot. Übrigens auch bei meinen Konzerten und Liveauftritten, bei denen ein „Scheitern“ immer eingeplant ist. Inklusive der nächtlichen Martern. Wo ich mich verfluche, dass ich überhaupt auftrete. Wo ich doch eigentlich schüchtern bin bis zur Verklemmtheit. Aber ich tu es immer wieder. Und immer noch. Weil ich Reste von Sendungsbewusstsein habe, immer wieder eine Lanze brechen muss für die Verweigerung und weil ich das Improvisieren so liebe.
DW: „Sediert fall ich nicht auf“ ist das Stück, das mir – entgegengesetzt zum Titel – gleich als erstes auffiel. Vermutlich, weil ich ein großer Freund der Tocotronic-Platte „Kapitulation“ bin, in der es in eine zum Teil ähnliche Richtung geht wie von Ihnen benannt, eine Verweigerungshaltung, die sich zum Teil aus Trotz gegen eine jegliche Selbstoptimierung, immer wieder aber auch aus Erschöpfung speist. Zudem kam mir ihr Stück „Desolat“ in den Sinn. Wenn ich das mal so sagen darf: Die beiden Stücke – Sediert und Desolat – bedeuten mir persönlich sehr viel. Da sich dort dieser Zwiespalt offenbart, der Niederschlag und Antrieb zugleich ist. Bis Anfang 30 fiel ich dadurch auf, dass ich gar nicht auffiel, es gibt Mitschüler, die erinnern sich nur deswegen an mich, weil ich rot anlief und stammelte, wenn ich vor mehr als zwei Leuten sprechen musste. Der Inbegriff von Verklemmtheit, das geht im Grunde bis heute so. Auf eine gewisse Art widerstrebt mir sogar das, was wir beide gerade hier machen zutiefst, diese ganze virtuelle Selbstdarstellung. Geändert hat sich das mit dem Schreiben und Auftreten, eine seltsame Art von Befreiung geht da immer wieder vonstatten. Heute kann ich auf der Bühne sitzen und brüllen und zetern und weinen und zittern, explodieren – nur um hernach drei Tage lang wieder in diesen Selbstekel zu verfallen, in dem ich für niemanden ansprechbar, für niemanden erreichbar bin. Man wirkt ja so schnell selbstverliebt, dabei trifft vielfach das brutale Gegenteil zu. Ich schreibe und trete auf, um der Kleinheit in mir zu entgehen. Dementsprechend ist das Hauptthema meiner Bücher auch stets der Hang zu Selbstaufgabe und Selbstzerstörung, die ständige Überlegung wie es wäre, wenn sich doch nur endlich ein großes Loch auftäte und mich verschluckt. Es gibt Menschen, die finden das lebensverneinend, für mich ist aus dem Kampf mit den Dämonen, dem vielfach nur mit medikamentöser Hilfe zu begegnen ist, dadurch ein Tanz mit den Dämonen geworden. Die hohe Kunst des Sich-gehen-lassens, alles zuzulassen, egal wie es sich offenbart. Eine feine Lebensaufgabe. Würde ich über glücklich verliebte Menschen schreiben, ich hätte mich wohl längst umgebracht…
SB: Selbstekel! Danke dafür. Oder auch „die Marter“. Just heute Nacht hat sie wieder gewühlt. Jegliches Veräußern bereitet mir nachträgliche Qualen. Vor allem wenn es überstürzt passiert. Wie ja normal und natürlich in den Medien R, F und I. Deshalb verweigere ich mich auch so gut es geht den sozialen Medien, weil ich jedes Wort auf die Goldwaage lege. Und das wäre auf Dauer doch zu zeitaufwendig. Wie gut!, dass es dieses herrlich entschleunigte Interviewformat gibt. „Baggersee“! ist auch ein entscheidendes Werk zum Thema Selbstablehnung. Das liebe ich besonders. Vor allem wegen der Outro, die wie ein impressionistischer Nachklapp den gesungenen Text transformiert. Auf jeden Fall ist es nackte Liebe. Musik wie ich sie mache, auffasse und höre, hat immer mit Liebe zu tun. Ob Fats Waller, Betty Carter, Monk, Abbey Lincoln, Tom Waits, Radiohead, Schönberg, Beethoven, Olga Neuwirth oder Rainer Rubbert. Rainer Rubbert, Musikerfreund und zeitgenössischer Komponist, habe ich damals gefragt, ob er Streicherminiaturen „auf“ meine live aufgenommenen Songs von „kein Island“ komponiert. Und er hat es getan und Matthias Leupold hat sie eingespielt und diese – für manche Ohren – spröden Melodien, auch noch herzzerreißend gespielt, geben den Songs im besten Sinne den Rest. Manche Akkordverbindungen und Melodieführungen greifen einfach ans Herz. Und dann muss man einfach trinken. Und rauchen. Wovon „Sediert“ auch zu erzählen weiß. Und dann gibt es natürlich noch das aufmüpfige Moment. Wenn Wut und umfassende Bedientheit sich Bahn brechen wollen und müssen. Und aber auch das muss für mich kathartisch geschehen und ja. Das schaffen Tocotronic auf „Kapitulation“. Aber noch lieber sind mir da die „Goldenen Zitronen“. Und sehr gerne – auch weil sie beides können – Christiane Rösinger oder Cora Frost. Und natürlich Cäthe! (Sieland), eine tolle schreibende Sängerin, für mich die beste in letzter Zeit. Die hatte ich damals aus dem MY SPACE-Becken gefischt. Vielleicht hab ich sie sogar entdeckt! Sie war auch auf dem vom Kurtbuero (Betancors Musikmanufaktur) veranstalteten Songfest 2009 in den Sophiensaelen, trat solo auf mit selbstproduziertem Playback und war umwerfend.
DW: Cäthe und Cora Frost sind mir selbstredend bereits mehr als ein Begriff, bei Christiane Rösinger sollte ich wohl endlich einmal ein tiefergehendes Ohr riskieren. Von Ihrer Jubiläumsveranstaltung, die Sie im Dezember im BKA Berlin gegeben haben, habe ich im Übrigen vor allem den experimentellen Improvisationsmusiker David Moss mitgenommen. Ich kann zwar nicht behaupten jedes Wort von „Blau Meer, Daily“ verstanden zu haben (Anm.: der Song findet sich auf der jüngst ebenfalls erschienenen CD „Popette du bist Gold – 15 Freunde singen Betancor“) und habe mitbekommen, dass diese Art von Musik vielen Menschen zu freakig ist, empfinde es aber als befreiend. Ich höre ein Lied und raffe es nicht sofort, weder textlich, noch musikalisch. Und will es deswegen wieder und wieder hören, es sezieren, auf den Grund tauchen, nach unentdeckten Schätzen stöbern. Toll! Apropos befreiend, apropos Alkohol – oder apropos kein Alkohol: Joe Cocker, über Jahrzehnte ein emsiger Trinker, hat einige Zeit nach seinem Entzug einmal zu Protokoll gegeben, dass er froh ist mittlerweile nüchtern durchs Leben gehen zu können. Er sich aber nach all dem Gequatsche, was er sich von wohlmeinenden Menschen vorher anhören musste, den Gewinn eines nüchternen und drogenfreien Lebens bedeutend größer ausgemalt habe. Ich selbst zähle zu den Quartalstrinkern, oft über längere Zeit nichts – und wenn doch, dann gleich bis 8 Uhr morgens. Immer „der Letzte im Laden“, um eine Liedzeile von Malediva anzuführen. Der Sinn von einem oder zwei Bier zum Feierabend hat sich mir noch nie erschlossen, die Laune bleibt gedämpft, nur der Atem wird schlechter. Darf ich erfragen, wie das bei Ihnen aussieht? Leben Sie endlich das nüchterne Leben, das Sie sich erträumt haben? Oder ist da was dran, am cocker’schen Ausspruch?
SB: Öha… Das is ja mal eine persönliche Frage, gut, dass wir uns siezen. Ich kann da leider nicht mehr mitreden. Seit meiner MS-Diagnose in 2004 sagt mein Körper, wo es lang geht. Das ist einerseits praktisch, andererseits wahnsinnig nervig. Im natürlich wahrsten Sinne des Wortes. Ich gehe meinem Körper zur Hand indem ich mich bewege, keine Currywurst mehr esse und jedes neue Medikament teste, was auf den Markt kommt. Alkohol nehme ich in homöopathischen Dosen zu mir und rauchen geht leider gar nicht mehr. Berauschen tu ich mich ausschließlich mit Musik. Und David Moss! kenne ich schon seit den späten 80ern, da ich ihn veranstaltete als AStA – Kulturreferentin an der Uni Essen. Ich durfte ein Jazz-Festival ausrichten, weil ich vorher eine erfolgreiche Semestereinstiegsfete organisiert hatte und sehr viel Geld da war. David spielte im Duo mit Jon Rose im Flur vor einem Hörsaal, weil nur achtzehn Leute kamen. Nach dem Konzert gingen wir Frikadellen essen und ich nahm mir vor, mir irgendwann eine Bassklarinette zu kaufen und mit ihm zu spielen. Ich hatte immer sehr konkrete Vorstellungen von meiner Karriere. Und was ich auch tat dann, 2009 auf dem Berliner Hbf im Zuge des Ankunft neue Musik-Festivals der Zeitgenössischen Oper Berlin. Wir zerspielten einen Dylan-Song. Später auch noch mal auf dem Essener Hbf. Ich war quasi auf Bahnhofstour mit David Moss. Es steht auch noch unser Duoabend an, für den wir damals leider keine Förderung bekommen haben. Aber wir sind ja noch jung. Und diese GOLD-CD, die ich geschenkt bekommen habe, ist natürlich der Klopper. Nicht nur, dass viele meiner liebsten Kolleginnen und Kollegen drauf sind; alle haben auch noch unfassbar tolle Versionen von meinen Songs gemacht und aufgenommen. Allein die Österreicher! „Ollas wuascht (Alles egal)“ von den Strottern, meine derzeitige Lieblingsband („Wia tanzen“ ein herrlicher Song mit dem schönsten Flügelhornsolo der Popgeschichte). Mit denen teile ich mir einen Abend übrigens am 18.4.2015 im BKA Berlin. Schon mal zum Vormerken. Oder Josef Hader singt meine Freilufthymne „Wurst und Bier“ mit den Strottern. Und jetzt muss ich jeden und jede aufzählen. Das ist, glaube ich, das Größte, was einem als Songschreiberin passieren kann. Dass bewunderte Kollegen die eigenen Songs spielen und singen. Jetzt kann ich mich zur Ruhe setzen.
DW: Na da danke ich umso mehr für die ehrliche Antwort da oben. Wobei ich als der Fragende nachreichen muss, dass ich so etwas wohl nur jemanden frage, der kurz zuvor bekannt hat komplett weg zu sein von des Fusels finsterer Verlockung. Ob ich sowas auch jemanden fragen würde, der noch drin steckt – ich vermute nicht. Für irgendwas hat man wohl doch dereinst eine „gute Erziehung genossen“, wie es so nett heißt. Die Strottern erwähnte ich im Übrigen nicht, da ich die tatsächlich schon vorher kannte. Die beiden waren im September 2013 auf Einladung der Liederbestenliste im unterhaus Mainz und ich hätte mich wahrlich kugeln können vor Entzückung, der 18. April ist also sowas von vorgemerkt. Der Sänger, Klemens Lendl, war sogar so zuvorkommend meine Bücher zu bestellen, zu bezahlen UND zu lesen. Wo gibt es denn sowas noch? Ob er sie gemocht hat, das hat er mir allerdings nicht gesagt. Und ich werde den Teufel tun und ihn fragen. Schlaue Leute erzählen einem ja so gerne, dass man Kritik auch annehmen können muss, mir selbst fällt das Annehmen positiver Rückmeldungen genauso schwer wie das Annehmen negativer Kritik. Wenn mich einer lobt, denke ich: Mist, ich schreibe zu fluffig. Und wenn mich einer niedermacht, denke ich: Mist, ich schreibe zu fluffig. So oder so ergibt sich ergo alles in Fluffigkeit, es ist ein Wahn mit der Welt! Können Sie mit Feedback besser umgehen?
Foto: Czok
SB: Ich weiß es nicht. Feedback ist gut. Aber es kommt nicht an gegen den Zweifel. Gevatter Zweifel. Auf ihn möchte ich nicht verzichten. Er lässt mich abrücken von mir selbst und den Dingen. Amen. Leider ist letztens beim Mailprogrammabsturz nicht nur das Programm, sondern der ganze Laptop frazze gegangen, weshalb ich nun am Standgerät sitze. Und da ich heute morgen ein Vorsingen hatte, bei dem ich mich begleitenderweise nicht verspielen durfte, um die Singenden nicht reinzureiten und danach noch eine Unterrichtsstunde inklusive Diskussion mit dem Fachleiter plus anschließender Heimreise während der Prominente und Semiprominente mich vor jedem Halt anschrieen, gebe ich für heute zurück.
DW: Ich hoffe dieses Gespräch wird nun nicht zur technischen Tortur für Sie, Frau Betancor! Oh, ja, der Zweifel, ein ständiger Begleiter, Motor und Moloch eines, meines, Lebens. Kaum vorstellbar, dass es Leute gibt, die nicht derart vom Zweifel zerfressen werden. Stoße ich aber auf solche, die zumindest die Kunstfertigkeit besitzen frei von Zweifeln zu erscheinen, so komme ich nicht an einer Form von Bewunderung bis hin zur Faszination vorbei. Sie besingen auf Ihrer neuen CD eine solche Person: Ursula von der Leyen. Auch wenn mein Wahlkreuz vermutlich nie bei ihr landen wird, kann ich als jemand, der das Stolpern für sich zur bevorzugten Gangart erkoren hat, durchaus die Attraktivität nachempfinden, die sie in Geträumt (von der Leyen) so austangiert offenlegen. Sicher, man ist zunächst gewillt das Stück als durchweg satirisch zu nehmen, was vermutlich mit etwaigen Vorprägungen zusammenhängt. Im Kabarett wird vornehmlich geholzt gegen konservative Politiker und selten Bewunderung ausgesprochen. Sie tänzeln in Wortwahl und Stimmlage für meine Begriffe aber so fein zwischen gespielter und nicht gespielter Bewunderung, dass abseits der großen Politik die kleine menschliche Schwäche hervortritt. Eine strukturierte, eine zielbewusste Frau wie Ursula von der Leyen, eine Frau, die scheinbar alles, wirklich alles zeitgleich hinbekommt, eine Frau, die alle Fäden in der Hand hält und wenn überhaupt, so allenfalls noch durch „Pralinés von Lindt“ kurzzeitig aus dem Konzept zu bringen ist. Die Frau ist so komplett, dass es schon an „Überfrau“ grenzt und komisch wie traurig zugleich ist, dass sie gerade deswegen ein Chanson bitter nötig hat, um wieder ein paar normalsterbliche Züge zurückzuerhalten…
SB: Danke, Herr Wonschewski! Für diese Kurzanalyse. UvdL ist sicher keine Frau zum Verlieben. Und zwar weil sie hat, was Frauen nicht haben dürfen: Ehrgeiz. Ehrgeiz und dabei eine gewisse stoische Gelassenheit und einen Pragmatismus, den man gemeinhin nur bei Männern feiert. Am Beginn ihrer Karriere, als Familienministerin hat sie einfach nur genervt. Die langen Haare, das angeknipste Lächeln, die Großfamilie, die sportliche Figur und der Mann, der sich um Haushalt und Kinder kümmert. Ach so, nee, das ist doch eigentlich auch gut, wenn der Mann auch im Haushalt hilft. Nee, ja, das wollen wir ja eigentlich auch alle, so’nen Mann… Und so wie Andrea Nahles an ihren Vater dachte, als sie die Rente mit 63 auf ihren Zettel schrieb, schöpfte Frau vdL aus ihrer Erfahrung als „Leiterin eines erfolgreichen Familienunternehmens“ (Ich weiß nicht, was zuerst da war, die Werbung oder vdL). Und sie drückte das Elterngeld durch. Und im dritten oder vierten Anlauf einen Quotenansatz. Und je mehr sie von Parteigenossen angefeindet, von Kabarettisten verhöhnt und von der Presse zum gering geschätzten Problemfall rauf und runter geschrieben wurde als sie ins Verteidigungsministerium „aufstieg“, erwischte ich mich dabei, dass diffuse, klammheimliche Sympathie für sie aufblitzte, wenn ich an Titelseiten vorbei lief. Und dieser Reflex ist aber in erster Linie ein frauenkämpferischer. Sie kann die Bundeswehr noch so zum familienfreundlichen Arbeitsplatz abrüsten – mancher Leutnant aD würde schreiben „degradieren“ – und alle gemeinsam können wochenlang lamentieren, dass der Bundeswehr die Baracken wegschimmeln und nur jeder vierte Hubschrauber fliegt. Die Crux ist aber, dass der Rüstungsexport im Kapitalismus den Hut aufhat. Alles greint in diesen Zeiten des IS und sich häufender Attentate nach mehr Bildung, mehr Sozialarbeitern, geistlichen Lehrern für radikal gefährdete Jugendliche, und es ist aber gar kein Geld da bzw. das ganze Geld fließt in die Rüstungsindustrie. Wie natürlich genau so auch im Kommunismus und Postkommunismus. Die Welt ist instabil durch Rüstungsexporte. Terrorismus wird zur Welt beherrschenden Gefahr durch Rüstungsexporte. Solvente Staaten wie Deutschland stoßen sich gesund und schreiben die schwarze Null durch Rüstungsexporte. Soll doch die Rüstungsindustrie neue SoldatInnenheime bauen und die Hubschrauber reparieren. Die Welt braucht Lerntransfer bei Politikern und Toleranz. Amen. Was nun meinen Song anbelangt, so stammen die Strophen aus dem Jahr 2007 und der Refrain aus dem letzten Jahr. Und durch diesen wunderbaren Refrain mit der getupften Pianetmelodie e h c g as, dem herrlichen C-Dur-Akkord mit großer Septime, gefolgt vom F-Moll-Septakkord, dann wieder Cj7 und dann! Abj7! und dann! die Rückung nach Dj7, G-7 und die Auflösung über E-7 nach A-Dur, bricht die Sympathie durch. Ist sie plötzlich da. Die nackte Liebe. Und wenn dann noch in berückender Zweistimmigkeit gesungen von Clara Haberkamp und mir und dann! auch noch dieses grandiose „Eagles“-Gitarrensolo von Dirk Berger in der Originaleinstellung auf Originalinstrumenten, dann wird die Persiflage auf die Überfrau, die höchstselbst Frauen zu Müttern macht, zum Liebeslied.
DW: Ohja, das erinnert mich an meine Lieblingsbegrifflichkeit, erst jüngst wieder in der Tagesschau gehört: „Wir liefern keine Waffen in Krisengebiete und Konfliktregionen.“ Ich lache ja eher selten, aber bei dem Satz ledert es mich immer von der Couch vor Amüsement. Ich weiß gar nicht, was daran so schwierig ist sich hinzustellen und zu sagen: „Wir exportieren Waffen, weil es eine Schweinekohle bringt und wir diese Schweinekohle ganz gut gebrauchen können.“ An moralischen Begründungen zur Rechtfertigung politischer Aktionen haben sich doch schon ganz andere verhoben. Aber wir wissen natürlich warum Politiker so reden wie sie eben reden: Die Wählerschaft wähnt sich ganz gerne integer und das geht nun einmal nicht mit allen Handlungsweisen konform. Oder um es mit einem Lehrsatz aus den Medien auf den Punkt zu bringen: Die Leute wollen nun einmal lieber beschissen werden als dauernd unangenehme Wahrheiten vor den Latz geknallt zu bekommen! Nun wäre es als Künstler vermutlich einfach gegen diesen medialen Leitsatz aufzubegehren, vor allem wenn man nachweislich nicht sonderlich nette Themen anpackt wie Sie oder vielleicht auch ich. Aber mal ehrlich: Wenn ich allein daran denke, wie oft mir empfohlen wird einfachere oder lustigere Dinge zu schreiben oder was mit „PoetrySlam“ zu machen, ganz zu schweigen von meinen Erfahrungen als Musikredakteur beim Radio – so richtig falsch ist das nicht, dass in den Menschen augenscheinlich eine gewisse Sehnsucht vorherrscht vereimert zu werden. Und so bekommt jedes Volk die Politiker, die es verdient. Ja oder nicht?
SB: Ungern. Dass die Griechen links gewählt und die neue Regierung prompt die TROIKA ausgeladen hat, würde nicht unbedingt in das Muster passen. Oder gerade? Ebenso die zur Partei institutionalisierte „Podemos“-Bewegung in Spanien, von der ich mir viel verspreche. Sie könnte ähnliche Kreise ziehen wie die Grünen, die inzwischen weltweit die Politik mitbestimmen. Solange die es schaffen, sich nicht korrumpieren zu lassen, nicht mit rechten Parteien koalieren und solange es eine freie Presse und andere Bewegungen gibt, die darüber wachen, bleibe ich zuversichtlich. Und ich arbeite weiter im und am Hintergrund. Wenn ich es schaffe, ein Lied zu schreiben, was eine neue Perspektive eröffnet auf eine einzementierte Sichtweise, dann bin ich zufrieden.
DW: Liebe Frau Betancor, was für ein feines Schlusswort. Wobei – ich erwische mich erneut bei einer Frage, die ich mir längst abgewöhnen wollte. Leider fehlt mir bis heute eine Antwort darauf. Das Meckern über Politiker hat ja permanent Hochkonjunktur und das ist prinzipiell auch sehr in Ordnung in einer, wie heißt es noch so schön? Achja: gelebten Demokratie. Was mich befremdet – und da muss ich mich selbst einschließen – ist, dass das Meckern oder verächtliche Abwinken lieber in Anspruch genommen wird als das aktive Mitarbeiten. Denn das ist doch das wahrlich Fiese an der Demokratie, es gibt keine Entschuldigung für Untätigkeit, jeder kann anpacken, jeder kann was tun. Man kann in eine Partei eintreten oder nötigenfalls eine gründen. Genau das ist der Grund, warum ich mich bisher noch schwer damit tue in meinen Texten allzu politisch zu werden, weil es aus meiner Warte auch immer etwas Feiges hat. Frei nach dem Motto: Ich erzähl den Leuten was richtig oder falsch ist, aber richten sollen es die Politiker, ich bin ja schließlich Künstler! So ungern ich konservative Strömungen unterstütze, wenn ein Liedermacher auf die Bühne steigt und erstmal seine vier Standard-Lästereien über Angela Merkel loslässt – natürlich tosenden Applaus erntet – finde ich das leider auch immer etwas unaufrichtig, nahe an widerlich. Vielleicht können Sie mir da mit Ihrer Erfahrung ein wenig weiterhelfen, so zum Schluss dieses wunderbaren Austausches – sehe ich das zu borniert, zu kompliziert? Ist es vielleicht gar nicht anrüchig, gar nicht bigott nur über die weiche künstlerische Textflanke zu kommen, die echte Drecksarbeit aber denen zu überlassen, die ich gerne – intellektuell, versteht sich – bepöbele?
SB: Aber gerade das Bücherschreiben ist doch die nachhaltigste Plattform für Gesellschaftskritik. Ein Song kann es auch sein, aber da ist immer Geschmack im Weg. Mag ich die Musik, die Stimme, die Sängerin, den Sänger… Auf jeden beziehungsweise im besten Fall aber ist er Vehikel für Inhalt. Und ein ernst zu nehmendes, weil ernsthaftes. Auch wenn er satirisch/witzig/komisch ist. Komik ohne Ernsthaftigkeit gibt es nicht. Es sei denn, im Kabarett. Das Kabarett, eine deutsche Krankheit. Ich würde mich aufschwingen und behaupten, das Kabarett, wie es heute kredenzt und ermöglicht wird, ist ein konservatives im eigentlichen Sinne des Wortes. Das heutige Fernsehkabarett – reine Männerdomäne übrigens – ist allergisch gegen unkategorisierbare Zwischentöne und abseitige Themen. Es huldigt dem Mainstream, dem kabarettistischen Wertekanon des Politikerbashings und ist damit nicht nur konservativ, sondern wie das ganze konsenskonformistische (von ein paar Politmagazinen abgesehen) öffentlich rechtliche Fernsehen auf dem besten Weg in die Reaktion. Zementierte Allgemeinplätze im Betonvortrag. Zum Abschalten. Mich hat man auch zwischendurch in die Kabarettschublade gesteckt. In Deutschland braucht man für alles eine Schublade. Für Ironie, Pop, Ernsthafte Musik, Kunst, Underground, Singersongwriter. Und jede Schublade kriegt ihr Etikett aufgeklebt. Und der Rest ist Dünkel. Auch ich hab mir das halb ironische Etikett „Kammerpop“ aufgeklebt und dünkelhaft darüber gewacht, dass es nicht kopiert wurde. Und jetzt schreib ich: Scheiß drauf. Ich bin Betancor, ich mache Musik und singe. Und dieses Jahr schreibe ich endlich mein Zweitbuch.