Da wühlt man nostalgisch in seiner digitalen Fotokiste und findet diesen geschnappten Schuss von 2006. Ich bin mir nicht ganz sicher, aber wenn ich mir das Bild so ansehe – hätte ich tätowierte Unterarme, ich hätte auch als Fussballbundesligaspieler durchgehen können. Wobei die 2006 auch noch anders aussahen. Mit Stefan Kuntz-Schnurrbart und so.
Ach ne, auch nicht. Das waren die späten 80er, frühen 90er. Aber feine Überleitung. Denn neben mir sitzt Cliff Richard, der sich damals schon bemerkenswert gehalten hatte. Und heute mit Sicherheit wesentlich stolzer auf seine Bilder von gestern zurückschauen kann als ich. Für den Radiosender 104.6 RTL nach Amsterdam fahren und ihn interviewen durfte ich seinerzeit. Ich war und bin absolut kein Fan und was die Musik betrifft, ist das bis heute so. Wobei “We don’t talk anymore” schon ein Wahnsinnsbrett an Mainstreamfunktionstüchtigkeit ist, zugegeben. Und “Some People” alles hat, was eine Sahne-80iger-Nmmer braucht.
Und wie ich nach Amsterdam fuhr. Als Vita-Opportunist nimmt man auch so einen von der Queen zum Sir geadelten Schnulzerich mit, dachte ich mir, damals. Wir erkennen bereits, ich fuhr nicht allein. Ich nahm mit: all die überkandidelte Arroganz eines indiekulturaffinen Neuberliners. Und ja, ich war mir ziemlich sicher, dass im Interview meine alternative Ader seine schnöselige Ader hervorbringen wird. Aber wie es so geht im Leben: als schnöselig und ungelenk entpuppte ich mich, als alternativ und locker er. Meine Güte, war der gut, menschlich. Ich kam mir richtig dumm und albern vor, nach einer Weile. Wie Kalle Kuchen, der denkt, er wäre besser als Petrus. Oder so.
Sogar das Konzert, das man mir für den Abend geschenkt hatte, war gut. Die ersten 8 Minuten saß ich natürlich noch da, wie es sich für einen der gerechten und guten, also mich, gehört. Hand theatralisch vor den Augen, damit halb Amsterdam mitkriegt, wie arrogant ich bin. Die totale Spaßbremse, wenn es um Musikmoral geht. Deutscher halt. Dann aber, ich glaube, es war bei “Living Doll”, fing mein rechter Fuß, die konservative Sau!, zu wippen an. Wir “Indie”-Pupils mögen Hochglanzentertainer, die mühelos auch in Las Vegas auftreten könnten ja nicht so. Um es noch diplomatisch auszudrücken. Dass aber mal live zu sehen, was einer macht, wenn er es kann, das war schon groß. Ich habe viel gelernt im Interview mit Cliff Richard. Und noch viel mehr bei seinem Konzert.
Zuzugeben, dass ich gewiss auch bei Frank Sinatra auf meine Kosten gekommen wäre, fällt nicht schwer. Der war halber Mafioso und hat gesoffen, männliche Stilikone obendrauf, passt. Aber der Furcht, dass vielleicht auch endlich mal meine bodenlos miese Meinung über Celine Dion und Konsorten überdenken sollte, treibt mich des Nachts aus dem Schlaf.
Kennen Sie die Geschichte von dem, der dachte, er hätte Geschmack – hatte er aber gar nicht?
Ja, freundlich, charmant, geistreich und witzig hatte Cliff Richard auf jeder meiner (offen gesagt enorm dämlichen) Fragen eine einleuchtende Antwort. Ob das charakterlich nicht etwas daneben sei, da er ja selbst keine Songs schreibe, immer nur die Lieder anderer Leute zu trällern, schlaumeierte ich. Ob er nicht mal was anderes auf Lager habe als immer nur Liebesliedeinerlei. Und dass er genau genommen überhaupt kein internationaler Star sei, da ihn in den USA keine Sau kennt, cleverte ich daher.
Meine Güte, Wonschewski – was hat dich bloß so ruiniert?
Der schnelle, der spontane Erfolg, er hat nur bedingt mit Können zu tun. Auch Zufall, Fügung, Zeitgeist und Verwertbarkeit gehören dazu. Der langanhaltende künstlerische Erfolg aber, über viele Jahrzehnte andauernd: nein, kein Zufall. Gruß auch an Phil Collins, Elton John und Rod Stewart. Die allesamt in voller Diskographie in meiner Schrankwand stehen. Was ich öffentlich aber nie nie zugeben würde.
Lesen Sie auch: David Wonschewski – “Schwarzer Frost”. Ein Musikjournalist dreht durch. Mehr Informationen zu diesem Buch finden Sie in den Rezensionen, Interviews und Leseproben auf dieser Website. Oder aber: HIER.
Immer wieder gern gehört, der Sir Cliff…
LG
Maccabros