David Wonschewski | Musikjournalist & Schriftsteller

Melancholisch-sarkastische Literatur für Schwarzhumoriker, Musikenthusiasten und andere glückliche Menschen.

Monty Python lassen grüßen. Soeben ausgelesen: Yishai Sarid – „Limassol“ (2009)

Yishai Sarid - Limassol

von David Wonschewski

Als passionierter literarischer Vielquatscher bekenne ich: ab und an packt mich der totale Neid, wenn ich so „Gestalten“ wie beispielsweise Amélie Nothomb oder eben Yishai Sarid sehe. So dünn deren Romane, so kompakt, so luftdicht verschlossen. Nicht eine Zeile, was sage ich denn: nicht ein Wort zu viel. Wenn ich anfange so einen Nothomb-Roman zu lesen, ist da immer eine große Vorfreude, aber die wird eben getrübt, weil ich sehe: 170 Seiten. Und ich mich seufzend frage: Was soll das bitte schon geben, außer dem Vorwurf an in dem Fall Diogenes, hier einen üppigen Euro-pro-Seite-Faktor aufzufahren.

Gibt aber immer was. Und nicht nur das: wie ein guter Nothomb-Roman, darf offensichtlich auch ein guter Sarid-Roman niemals auch nur normal lang bzw. dick sein. Es ginge was kaputt dadurch. Was auch immer das sein mag.

Nun, nach „Siegerin“ aus dem Jahr 2021 – zur Buchbesprechung geht es HIER entlang – ist Sarids Debüt „Limassol“ mein zweiter Roman von ihm. Um ehrlich zu sein, da kickt mich schon der Titel, übt nur der Städtename „Limassol“ doch nach „Warschau“ die größtmögliche Faszination auf mich, seit jeher. So richtig erklären kann man so etwas nicht, denn in beiden Städten war ich nie, beiden Städten begegnet man aber zum Beispiel im musikalischen Kontext (siehe Maximo Park, Joy Division, David Bowie etc.) öfters, was ich so deute, dass es auch anderen Geistern so geht. Was es mit diesem „Limassol“ gerade aus der Feder von Yishai Sarid auf sich hat, musste ich dieses Buch lesen. Obschon ich mir – nach gerade einem zuvor gelesenen Roman von ihm – einbildete, dass, kennt man ein Buch von ihm, dann alle anderen letztlich ein Äquivalent davon bilden.

Ohne zu viel zu spoilern: Die Stadt Limassol auf Zypern hat hier wenig Bedeutung, bestenfalls eine aufgeladene und terroristisch konnotierte, so wie wir in Deutschland es kennen, wenn es „München“ heißt oder „Mogadischu“. Ein Fall für das Sonderkommando, es lebe hoch die Spezialeinheit. Doch so explosiv fängt es nicht an, natürlich nicht. Zunächst ist da nur der reiche, aber noch halbwegs junge Ex-Investmentbanker, der genug Kohle angehäuft hat, um sich nun seinen literarischen Leidenschaften zu widmen. Also bucht er einen Creative-Writing-Kurs bei einer etwas älteren, aber wahnsinnig attraktiven, sehr eigensinnigen, einstmals recht erfolgreichen Schriftstellerin. Aber natürlich führt er anders im Schilde, er hat einen Auftrag vom israelischen Inlandsgeheimdienst Schabak. Er ist eigentlich Verhörspezialist und bearbeitet „am Fließband“ jeden Araber und/oder Palästinenser, aus dem sich irgendeine Information pressen lässt, mit der man die vielen lebenden Bomben entschärfen kann, die in diesen Breitengraden leider herumlaufen. Nein, er ist keiner von den „Schlächtern“, wie er und sein Chef gewisse Kollegen nennen. Er ist gut vierzig, hat Frau und Kind und vernachlässigt beide, weil es ihn immer obsessiver in den Jerusalemer Folterkeller zieht. Aus Pflichtbewusstsein, weil er Menschen schützen will und muss, klar. Doch ist das alles?

Wann, diese Frage stellt Sarid zwischen den Zeilen schnell, wird staatsbürgerliche Aufmerksamkeitspflicht zu handfester Paranoia? Dazu die ewig gleiche Frage, oft gestellt, nie beantwortet: Ab wann darf der Vertreter eines Rechtsstaats unlautere Mittel anwenden? „Gar nicht“ ist die Antwort, die dem Protagonisten auch die junge Staatsanwältin gibt, als er wegen eines anderen Vorfalls Rede und Antwort stehen muss. Dafür ist es ja ein Rechtsstaat. Doch was nutzt einem der Rechtsstaat, wenn es 12 Unschuldigen beim Besuch eines Marktes die Leiber zerfetzt, derweil der, der das hätte verhindern können, grinsend auf dem Verhörstuhl sitzt, nichts sagt?

Wie schon in „Siegerin“, wo Sarid auf literarisch engster Tanzfläche der unfassbar tiefen Frage nachspürte, ob Töten menschlich und sogar auch weiblich ist, macht er den Leser auch in „Limassol“ zum Richter seiner eigenen Anschauungen. Der aufgeklärte, der friedensbewegte Leser, er will eigentlich alles, was der Protagonist beruflich da macht und tut, blöd finden, verurteilen. Doch es will nicht gelingen, dieses Verurteilen, zumindest geht es mir bei Sarid so. Einen alten, todgeweihten krebskranken Palästinenser unter Vorspiegelung falscher Freundschaft und falscher medizinischer Heilsversprechen aus Gaza heraus und nach Limassol lotsen, um in der Folge dessen Sohn, einen Terroristen zu einem letzten Treffen mit seinem Abu dahin zu kriegen, wo man ihn abknallen kann, doch, das ginge für mich persönlich sogar noch. Zu dumm nur, wenn diese vorgespielte falsche Freundschaft zunehmend, weil zwangsläufig, echtem Kennenlernen weicht, echte Freundschaft beginnt. Und wenn einem, nicht zum ersten Mal, auffällt, dass die Definition von“Terrorist“ so simpel klingt wie sie moralisch schwer vertretbar ist.

Yishai Sarid schafft auch in „Limassol“, was nur wenige Autoren können: Mit wenigen Füllerstrichen, die Tiefen ausloten, die man nicht sehen kann, wenn man nur von außen, von oben, aus dem Frieden heraus urteilt. Das Motto einer alten deutschen TV-Show – „Wie würden Sie entscheiden?“ – begleitet den Leser Seite um Seite. Und erinnert an eine Weisheit, die zumindest ich erstmalig im Monty Python-Film „Der Sinn des Lebens“ (1983) so derb humoristisch vor den Latz geknallt bekam. Zu sehen war dort ein mehrfach durchlöcherte Soldat, dem das Blut nur so aus allen Wunden sickerte, suppte, teils schoss. Dem ein Kamerad das letzte Geleit geben wollte in der Stunde seines Todes, nur dass der Todgeweihte gar nicht daran dachte, sich todgeweiht zu geben, vielmehr munter, flockig und fröhlich herum plauderte, Monty Python-Legende Eric Idle in Höchst-, also Normalform halt. Eine der Weisheiten, die er da von sich gab, war die, dass Helden und Schurken weniger trennt als wir glauben. Wenn du 12 Männer abknallst, kann es dir passieren, dass man dich an den Galgen bringt. Es kann aber auch sein, dass man dir eine Medaille um den Hals hängt, vielleicht sogar eine Straße nach dir benennt. Mit dir hat das gar nichts zu tun, es ist ein Winkelzug des Moments, ein Treppenwitz der Geschichte, ob du als Held oder Schurke stirbst.

Letztlich macht Saris nichts anderes, als diese Überlegung auf Romanlänge zu bringen. Mit einem Roman(anti?)helden, der auch nach Abschluss in mir weiter arbeitet, weil ich mich schlichtweg nicht entscheiden kann.

Unterstützen Sie den Autor der obigen Zeilen, indem Sie sich sein „eigenes Zeug“ reinziehen – zwei erste Videoeinblicke sind untenan einzuhaschen. Vielen Dank.

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Dieser Eintrag wurde veröffentlicht am 26. Oktober 2022 von in 2000 - 2018, 5 Sterne, Nachrichten, Sarid, Yishai, Soeben ausgelesen und getaggt mit , , , , , .

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