Aus der Reihe: „Was vom Feminismus übrig blieb – feministische Thesen auf dem Prüfstand“
Warum verstehen Männer bestimmte feministische Thesen nicht? Warum fühlen sie sich von ihnen bedroht oder sogar angegriffen? David, Semi-Feminist, selbstreflektierend aufgeschlossen, wünscht sich echte Antworten. Nikoletta, Feministin – was sonst – und null männerfeindlich, ist gern bereit, offen zu antworten.
Nikoletta: David, heute wünsche ich mir mal umgekehrt Antworten von dir. Ich möchte mit dir über das Geschlechterungleichgewicht im Literaturbetrieb sprechen. Das Buch „Frauenliteratur“ von der Literaturwissenschaftlerin Nicole Seifert hat mich zum Nachdenken über dieses Thema gebracht. Du aber boykottierst dieses Buch. Zu deinen Gründen kommen wir noch. Nun haben wir schon so ausführlich über die Thesen dieses Buches gestritten, dass du sie wenigstens aus meinen Erzählungen kennst.
Lass mich wie folgt beginnen: Ist dir schon einmal aufgefallen, dass es den Begriff „Frauenliteratur“ gibt, niemand aber bezeichnet die Romane von einem Philip Roth oder Charles Bukowski als Männerliteratur, wobei es in ihnen doch vorwiegend um die Innenwelt von Männern geht. Andere Literatur als Frauenliteratur nennt man allgemeingültig „Literatur“.
David: Die Frage ist doch zunächst, ob das eher gut oder eher schlecht ist. Ich für meinen Teil wäre froh als Leser im Buchladen einen Tisch mit vermeintlicher Männerliteratur zu finden: Roth, Kracht, Bukowski. Auf die Trendwelle müssen wir aber wohl noch eine Weile warten. Ich als Mann bin da neidisch, denn wenn man genau hinschaut, ist dieser vermutete Frauennachteil doch eigentlich ein ziemlicher Vorteil. Auch aus Autorinnensicht. Das Label „Frau“ oder „feministisch“ ist aktuell wahnsinnig erfolgreich. Nicht ihr müsst uns hier hinterhereifern, sondern wir euch. In der Literatur ist es letztlich wie in den meisten anderen Bereichen, es gibt eine Bewegung, die sich für Frauenbelange einsetzt. Und das ist super. Es braucht auch eine solche Männerbewegung, denn dieses maskuline Untermantschen im angeblich Generellen bringt, da stimme ich dem Feminismus sogar zu, uns nicht weiter. Ich für meinen Teil nehme euch als Vorbild und plädiere für eine neue, eine ehrliche, eine erste wirkliche Männerliteratur. Die paar wenigen Ausnahmebücher ergeben noch keine Bewegung.
Nikoletta: Stimmt, Literatur von Frauen ist stark in die öffentliche Wahrnehmung gerückt. Allerdings hängt nach wie vor ein Stigma an dem Begriff „Frauenliteratur“, er steht für von Frauen geschriebene Unterhaltungs- bis Trivialliteratur, überspitzt formuliert, assoziieren wir mit dem Begriff Bücher mit rosa Blümchencovern. Literatur von Frauen muss sich noch immer grundsätzlich gegen den Nischenverdacht behaupten, sie sei nur interessant für Frauen. Wenn es um Frauenleben geht, heißt es oft, es sei ein Frauenroman.
David: Einerseits stimme ich dir da zu, wobei das natürlich auch mit der beneidenswerten Konsequenz von „Frauenliteratur“ zu tun hat. Egal, ob im Trivialen oder aber feministischen Bereich, der Trend, männliche Leser bewusst außen vor zu lassen ist relativ ausgeprägt, die Ansprache „an alle Frauen da draußen“ drückt sich deutlich durch. Andererseits muss ich zugeben, dass ich gar nicht so genau weiß, wer das, was du sagst, behauptet. Ich habe das weder im TV gesehen oder im Radio gehört, noch in Feuilletons gelesen. Habe sogar gerade Google bemüht und nichts gefunden. Ich kenne diesen Vorwurf tatsächlich nur aus Frauen- und Feministenmunde. Wo sie ihm konkret begegnen kann ich aber nicht sagen.
Nikoletta: Dann helfe ich dir, gib doch bei Amazon „zeitgenössische Frauenliteratur“ als Kategorie ein, dann siehst du, was ich meine. Oder kommt die sehnsüchtig blickende junge Frau im Wollpulli („Who wins, Lou?“) und der Kerl mit dem Six-Pack („My best mistake“) nur bei mir, maßgeschneidert für mich als Frau sozusagen?
David: Habe ich mir gerne angesehen – und bin verwirrt. Ich dachte, das ist das, was du willst, dass da nur Kitschzeug auftaucht, derweil die hochwertige Literatur aus Frauenfeder einfach nur „Literatur“ ist….
Nikoletta: Was glaubst du, wie schnell eine Autorin das rosa Blümchencover übergestülpt bekommt?
David: Gemäß einer Stichprobe in meinem Regal: nicht so schnell. Immerhin knapp 40 Bücher aus Frauenhand stehen da, keines rosa, eines immerhin lila angehaucht (ausgerechnet Judith Sevinç Basad – „Schäm Dich!“, ergo Ironie) Und die Frage war ernst gemeint, hier ist mal wieder ein Mann, der nicht rafft was Frauen wollen.Ist das nun gut, wenn man „Frauenliteratur“ bei Amazon eingibt und Juli Zeh oder Zeruya Shalev kommt? Oder schlecht? Du sagst irgendwie beides. Wie dem auch sei, bei mir kommen sie nicht, du mit deinem Roman im Übrigen auch nicht, die Suche funktioniert also gut, ist zumindest in der Hinsicht fair. Wie du gewiss weißt, werden die Suchergebnisse bei Amazon im Groben aber eh von den Angaben der Händler/Verlage beeinflusst, andere Parameter wie Bewertungen und Verkäufe verfeinern das Ganze dann weiter. Bedeutet: Wenn ein Buch dort als „Frauenliteratur“ auftaucht, dann nur, weil Verlag/Autorin ein kommerzielles Interesse daran hatten exakt dort aufzutauchen.
Nikoletta: Juli Zeh und Zeruya Shalev sind Beispiele für Autorinnen, die es geschafft haben, sich im Heiligtum der Hochliteratur Respekt zu verschaffen, ihre Werke werden nicht als „Frauenliteratur“ bezeichnet. Mein Punkt ist aber, dass Autorinnen es grundsätzlich schwerer haben, von literarischen Verlagen wahrgenommen zu werden als ihre männlichen Kollegen, gerade wenn sie über Themen schreiben, die Frauen bewegen. Ich als Autorin hinterfrage ernsthaft, ob ich über Themen wie Mutterschaft schreibe, oder die Freundschaft zwischen zwei Frauen, weil ich weiß, dass Bücher dieser Art schnell in der Schublade „Frauenliteratur“ landen und eine geringere Chance haben, überhaupt einer Literaturkritik unterzogen zu werden.
David: Du sagst das so dahin. Wo aber steht denn das, dass Autorinnen es „grundsätzlich schwerer haben“? Ja glaubst du denn wirklich, dass Männer es in der aktuellen Situation einfacher haben, über Männeranliegen zu schreiben? Nein, das ist sogar nahezu unmöglich, die meisten Verlage knicken da komplett ein. Wir erinnern uns an „Artur Lanz“ von Monika Maron, da geht es um Männeranliegen, die Dame ist hoch angesehen, wenn wer was von Menschenrechten versteht, dann die. Und ihr Verlag – hat sie weggejagt. Warum glaubst du musste eine Frau kommen und so ein überfälliges Buch schreiben? Weil du als Mann mit so was (noch) keine Chance hast, zumindest nicht bei anerkannten Großverlagen. Frauenrechte gelten derzeit aus unerfindlichem Grunde als „links“ und “gut”, Männerrechte werden, ebenso ein Unfug, automatisch als „rechts“ und “böse” verortet. Deswegen kommt auch die (nicht nur literarische) Männerbewegung nicht in Gang, eine Mischung aus Shitstorm-Angst und Ignoranz, die Verlage haben da, nicht zu Unrecht, große Vorbehalte. Und überlassen das Feld dadurch, simsalabim, den wirklich Rechten. Derweil die ach so menschenfreundliche Mehrheitsgesellschaft sagt: Wozu Männerliteratur, es gibt doch schon Goethe und Grass. Jaja, neulich beim Lachen. Neulich beim sich nicht mehr Mitwundern, dass es immer mehr Wutbürger gibt.
Also: Es gibt momentan sehr viele Werke von Frauen, die weibliche Lebenswelten und feministische Vorstellungen behandeln, das Zeug liegt auf extra Tischen im Buchladen und bekommt heftig Presse und das ist für den Moment auch gut so. Schwieriger haben es Frauen gewiss nicht. Wenn es mal ein Problem gab, so ist es erfolgreich wegemanzipiert worden. Auch darum lese ich das Buch von Frau Seifert nicht. Ich habe die staatsbürgerliche Pflicht mich mit ungelösten Problemen zu beschäftigen, nicht mit gelösten.
Nikoletta: Ich glaube tatsächlich, es ist eine gute Zeit für Autorinnen und vielleicht ist es so, dass Männer bzw. Männerthemen es entsprechend schwerer haben. Monika Maron’s „Artur Lanz“ halte ich aber für kein passendes Beispiel. Ich würde mir diesen Roman gern einmal mit dir separat vornehmen. Monika Maron spult darin die ganze Palette rechter Gesinnung herunter, es geht los bei ihren Reminiszenzen über das verlorene Heldentum, dem vermeintlichen Klimawandel bis zu nicht integrierbaren Muslimen. Alles drin. Feministische, linke Gegenstimmen kommen nicht vor oder werden böse denunziert. Ich achte Monika Maron für ihre früheren Romane. In „Stille Zeile Sechs“ rechnet sie mit ihrer Vätergeneration ab, den empfindungsgestörten, mächtigen, alten Männern, in Artur Lanz heroisiert sie eben diese. Aber kein Wort mehr dazu, den Roman diskutieren wir beide mal richtig.
So sehr der Frauenhype gerade auch wütet, das Problem ist noch lange nicht wegemanzipiert worden. Wusstest du, dass der Anteil von Autorinnen bei Hanser im Frühjahresprogramm 2020 gerade einmal 22% betrug, bei Fischer 27%, bei KiWi 33%, bei Suhrkamp immerhin 36%? Diese Zahlen stammen aus einer Zählung der Verlagsvorschauen durch die Literaturwissenschaftlerinnen Nicole Seifert und Berit Glanz. (2020).
David: Gerne reden wir separat über Monika Maron. Ich habe mich aber sehr über deine Zeilen gefreut, das weckt doch glatt den alten Lateiner in mir: Quod erat demonstrandum! Mir hat sie sehr aus der Seele gesprochen, tja, dann bin ich wohl rechts, wenn du das so einschubladest.
Zu den Verlagszahlen: Das ist interessant, aber natürlich nicht sonderlich aussagekräftig. Denn um zu wissen, ob es ein gar nicht bestrittenes Problem von früher auch 2021 noch immer gibt, muss man die Quellen entsprechend separieren. Also nur die AutorInnen zählen, die nach 2018 unter Vertrag genommen wurden. Dann haben wir was, dann wissen wir was. Die Zahlen da oben vereinnahmen ja etwas frech auch die Altlasten, das senkt den Schnitt, ruiniert das Bild. Eine faktische optische Täuschung gewissermaßen.
Nikoletta: Janein, diese Zahlen stellen den Status quo dar, das sind die Neuveröffentlichungen in den aktuellen Vorschauen. Auch die „Altlasten-Autoren“, mal Entschuldigung, sie so zu nennen, gehören da mit hinein, weil sie mit ihren neuen Büchern den Diskurs mitbestimmen, Plätze „besetzen“, die NeuautorInnen nicht mehr zur Verfügung stehen. Der Status quo bestimmt, welche Korrektur notwendig ist. Aber sicherlich wäre der Blick auch wichtig auf die Neuautorenlisten, und dort, da stimme ich dir zu, wird man vermutlich Autorinnen stark vertreten sehen.
David: Also wenn du Zahlen so lesen willst wie oben beschrieben, dann wirst du niemals glücklich werden. Hammer, Nagel, wir kennen es. Mensch, Nikoletta, die Altlasten besetzen keine Plätze, sie finanzieren den Schuppen. Wenn ein Verlag umdenkt und seit 2019 nur Frauen einen Vertrag gibt und in Verlagsvorschauen dennoch vermehrt die “alte Säcke” nach vorne rückt, dann ist das Feminismus pur. Das ist wie ein umgekehrtes Rentensystem, nur dass es noch funktioniert, weil es genug potente Alte gibt. Auch deswegen ist diese Beschwerde schief, warum gräbt sich der Feminismus selbst das Wasser ab? Und nicht nur das, diese Studie ist so unsagbar beliebig. Könnte ich auch, ich erstelle dir problemlos anhand der exakt gleichen Vorschauen 10 Studien, die beweisen, dass ich der Gedeppte bin und du Misses Privilege. Steht ja nirgends, dass man so was nur nach Geschlecht zählen kann. So schnell kannst du gar nicht wegschauen, wie ich mich diskriminiert rechne. Ich mache es halt einfach nicht, weil mir bisher niemand erklärt hat, was am Aufrechterhalten des Opferstatus so toll sein soll. Ich ärgere mich über die Erfolgreichen, aber nehme sie als Ansporn. Es ist aus der Mode gekommen, aber man darf Erfolg auch mal gönnen, zugeben, dass andere was besser können. Dauernd nach potenziellen strukturellen Ungerechtigkeiten zu würfeln, die mein eigenes Scheitern etwas besser dastehen lassen, ist mir schlichtweg zu ineffektiv, unfair zudem, von Moral gar nicht erst zu sprechen.
Nikoletta: Kennst du „Quasikristalle“ von Eva Menasse (KiWi 2013)? Ich gebe zu, das Buch ist verhältnismäßig alt, aber ich denke, das Beispiel ist immer noch treffend. In dreizehn Kapiteln zerlegt Menasse die Biografie einer Frau in ihre unterschiedlichsten Aspekte, zeigt sie als Mutter und Tochter, als Freundin, Mieterin, Patientin, treulose Ehefrau. Das Cover schreit rosa! Dieser Roman hat es in die Feuilletons geschafft und wurde als große Literatur gelobt, aber wäre es von einem Mann geschrieben worden, hätte es sicher auch ein Cover bekommen, das nicht die Hälfte der Bevölkerung als Zielgruppe von vornherein ausschließt, sprich annimmt, dass Männer sich für das Thema nicht interessieren.
David: Interessant. Hm. Und was, wenn es nicht rosa gewesen wäre? Hätten dann genauso viele Frauen zugegriffen oder weniger? Und hätte die Presse es besprochen? Okay, ja, hätte sie, immerhin ist es Eva Menasse. Ich kenne das Buch nicht, da ich Frau Menasse aber als sehr tiefgründig und klug analysierend wahrnehme, kommt mir der Gedanke, dass rosa auch hier ironisch ist. Letztlich müsste man aber die Autorin fragen, denn die und ihr Verlag wollten das so. Und der Erfolg gibt ihnen ja recht. Wenn wahnsinnig viele Frauen das rosa Buch kaufen, können sich wahnsinnig viele Frauen natürlich auch nicht beschweren, dass es weiterhin rosa Bücher gibt. Und vielleicht ist rosa auch gar nicht schlimm dann. Ob Männer sich davon abschrecken lassen, ist schwierig zu sagen. Halte ich für eine Klischeebehauptung. Männer, die lesen und auch Bücher von Frauen lesen, denen macht doch das rosa nichts. Weh tut es bestenfalls denen, die nie lesen und die lieber an ihrem Auto rumschrauben. Klischeemänner eben. Die hätten das Buch aber auch in anderer Farbe nicht gekauft. Mein Bauchgefühl sagt: Hat Frau Menasse alles richtig gemacht.
Letztlich ist es bei Büchern wie bei Lebensmitteln und sogar Prostitution. Angeboten wird was sich verkauft. Präsentiert in einer Art und Weise, dass es bestmöglich anlockt. Die Frage, die ich mir weiterhin stelle ist aber, ob das, was du bemängelst, denn wirklich so nachteilig und gemein ist. Oder nicht doch ein Vorteil?
Nikoletta: Die Frage ist doch, was ist für dich Erfolg? Es ist ein Unterschied, ob du Verkaufszahlen meinst oder den Anspruch als „hohe Literatur“ wahrgenommen, in den Feuilletons besprochen zu werden, in den Kanon aufgenommen zu werden. Die Signalfarbe Rosa hilft dabei sicher nicht. Autorinnen wurden bis ins 20. Jahrhundert nicht ernst genommen, schufen durchaus Bestseller, die aber als triviale, frauenspezifische Literatur etikettiert in Vergessenheit geraten sind.
David: Bestseller geraten oft in Vergessenheit. Und haben dann noch Glück. Denn die anderen Bestseller werden verspottet. Ich gehe mit dir gerne mal alle Nummer 1 Hits in Deutschland und Österreich ab 1985 durch. Glaub mir, das erfreute Mitwippen ist selten. Öfter lachst du: ach das, huch, wie peiiinlich wir waren! Vergessensein ist kein Frauending, es ist Menschending. Ein Frauending wäre es, wenn du beweisen kannst, dass Männer davon nicht betroffen sind. Hat Frau Seifert denn eine Studie, wonach Männerwerke nicht/kaum/nie vergessen wurden? Ich meine das ernst, bin gesprächsoffen. Wir brauchen halt wen, derdie sich mal objektiv mit dem Thema auseinandersetzt. Unser Ausgangspunkt bei dieser Reihe ist ja, warum ich als Mann gewisse feministische Bestreben nicht mitgehe. Nun, mir fehlt die Objektivität, auch wird mir zu oft von “Männern” geredet, dabei ist nur ein sehr kleiner Teil von uns gemeint.
Für mich ist Eva Menasse hohe Literatur, an der Farbe kann es ergo nicht liegen. Das mit der Vergessenheit stimmt natürlich. Bestätigt meine These aber eher, als dass es sie widerlegt. Warum werden denn diese ganzen Autorinnen gerade ausgebuddelt? Das wäre ohne den Hype um „Frau“ und „Feminismus“ nie passiert. Es passiert, weil es einen Trend gibt und man auf Verkäufe rechnen darf. Zeitungen brauchen Stories, eine gute Geschichte braucht einen Dreh und „verkannte Genie-Frau, die lebenslang ihrem Säufermann die Schuhe zuband“ ist eine gottverdammt tolle Story, pack noch Tränen und Gewalt rein und du hast Hollywood, Meryl Streep pur. Über die literarische Qualität kann ich nichts sagen, gut möglich, dass die wirklich enorm ist bei vereinzelten vergessenen Werken, das werden die nächsten Jahrzehnte zeigen. Aber was ist mit den Tausenden von männlichen Autoren, die ignoriert in der Versenkung verschwanden, obwohl sie wichtige Werke schufen? Werden die mitausgebuddelt? Eher nicht, egal wie hochwertig das Buch war. Tja, ganz schön ungerecht, diese Gerechtigkeit.
Natürlich leugne ich nicht, dass das Geschlechterbild vor 100 Jahren noch deutlich anders war, weibliche Autoren trugen, was das angeht, definitiv einen zusätzlichen dicken Zementschuh, keine Frage. Worauf ich hinauswill ist lediglich, dass die „wäre sie ein Mann gewesen“-Idee meistens ein Kurzschluss ist. Deswegen finde ich solche Listen zu Unrecht vergessener weiblicher Autoren immer respektlos den Frauen gegenüber, man reduziert sie wieder einmal aufs Geschlecht. Vergessene Männer müssen sich sowas nie anhören, da lag es dann an fehlendem Talent oder mangelnder Disziplin. Wenn ihr sowas auch für Frauen wollt, das geht ganz einfach: aufhören solche seltsamen Listen zu erstellen.
Nikoletta: Natürlich scheitern Leute aus den unterschiedlichsten Gründen. Aber von Gleichberechtigung kann hier nicht die Rede sein. Du sagst ja selbst, dass die Möglichkeiten von Frauen bis ins 20. Jahrhundert ganz andere waren. Ausgeschlossen von Bildung und weiten Teilen des gesellschaftlichen Lebens unterschieden sich ihre Erfahrungswelten und somit auch ihre literarischen Stoffe deutlich von denen der Männer. Nicole Seifert zeigt in ihrem Buch an konkreten Beispielen wie die Werke von Autorinnen trivialisiert und marginalisiert wurden.
Klar, wir leben heute in einer anderen Welt, aber die Zahlen zeigen, dass Frauen im Literaturbetrieb noch immer nicht angemessen gehört, besprochen und literaturkritisch begutachtet werden. Seifert verweist auf Studien, die belegen, dass Bücher von Männern noch immer doppelt so häufig besprochen werden wie von Frauen (Studie Uni Rostock 2018) und dass das Verhältnis von Autoren und Autorinnen in Vorschauen literarischer Verlage 60% zu 40% beträgt (Seifert & Glanz 2020). Im Literaturbetrieb der Gegenwart herrscht noch immer eine starke geschlechtsbezogene Ungleichheit, auch wenn das vom Gefühl her anders scheint.
David: Gut, wer bisher nicht weiß, dass Frauen dereinst weniger Rechte hatten, sollte tatsächlich das Buch von Frau Seifert lesen. Und sehr gerne habe ich mir die genannte Studie angeschaut. „Sichtbarkeit von Frauen in Medien und im Literaturbetrieb“ heißt sie, findet sich bei der Uni Rostock problemlos im Netz – ist für mich aber halt zunächst mal keine Studie, sondern eine Zählung. Ein Team aus fast nur Frauen hat im Auftrag (auch) einer Frauenvereinigung und im Rahmen eines feministischen Projektes etwas gezählt. Analysiert wurde nicht, interpretiert auch nicht, weitergehende Studien wurden auch nicht durchgeführt, um zu schauen, ob die Zahlen irgendwas aussagen oder beweisen. Ich für meinen Teil stehe da vor etwas, von dem ich nicht weiß, was es sein soll. Vielleicht war die Idee, weibliche Benachteiligung im Literaturbetrieb nachzuweisen und dann gingen die Fördergelder aus und man musste aufhören, bevor man richtig loslegen konnte. Etwas seltsam, das so etwas schon in Publikationen übernommen wird.
Nikoletta: Frauenvereinigung? Der PEN Klub, der Schriftstellerverband stehen auch dahinter. Und feministisches Projekt? Ja, was sonst? Dass nicht gerade derRotary Club der Stadt so und so eine Studie zur Untersuchung von Geschlechterungleichheit in Auftrag gibt, überrascht mich nun nicht. Die Frage ist doch, ob die Studie methodisch korrekt durchgeführt wurde. Ich konnte nichts Problematisches daran finden.
David: Eine objektiv belastbare Studie sollte man zwar anders in die Spur setzen, schon um sich nicht so leicht angreifbar zu machen wie hier, aber da will ich jetzt mal nicht rumfiesepampeln. Was mich an der guten Grundidee ärgert, ist, dass es sträflich verpasst wurde, dem Ganzen etwas Gewicht und Bedeutung zu verleihen. Dabei wäre das einfach gewesen. Erst schaust du wie viele Bücher Männer und wie viele Bücher Frauen in einem gewissen Zeitraum veröffentlicht haben, dem daraus resultierenden Veröffentlichungsverhältnis stellst du die ausgezählten Feuilletonberichte gegenüber. Und sagst, nur so als Beispiel: „67 Prozent aller Bücher wurden von Frauen veröffentlicht, aber nur 31 Prozent aller Feuilletonberichte entfielen auf sie!“. Das hätte sogar mir das patriarchal-toxische Grinsen aus dem Gesicht geschmirgelt. Haben sie aber nicht gemacht. Und ich tue uns beiden den Gefallen mir gar nicht erst zu überlegen, warum sie denn das wohl nicht gemacht haben.
Nikoletta: Diese Studie stellt erst mal nur was dar. Sie hat eine Geschlechterungleichheit in den Besprechungen festgestellt: Im Sample sind 64% der besprochenen Bücher von Männern. Das ist nun einmal Fakt. Aber ich gebe dir total recht, dass die Studie nicht die Ursachen klärt, das kann eine einzige Studie gar nicht. Was wir hier haben, ist ein Warnsignal: es gibt ein Problem und den Ursachen muss in weiteren Studien nachgegangen werden.
David: Na ja, so wie die Studie da steht, stellt sie nicht einmal eine Geschlechterungleichheit dar, ich sehe daher weder Warnsignal, noch Problem. Das ist ja mein Kritikpunkt: Sie tut einfach so als gäbe es da was. Weil ich professionelle Erfahrung mit Researches habe und lange in Kulturredaktionen gearbeitet habe kann es sein, dass ich eventuell schneller was sehe. Ich versuche darum mal es simpel zu beschreiben: Wir haben, grafisch gesprochen, zwei Balken, der eine ist höher als der andere. Eine Ungleichheit, ja. Welche Art von Ungleichheit wissen wir aber nicht. Du machst von selbst eine „Geschlechts“-Ungleichheit draus, was natürlich an der Fragestellung und der vorgegebenen Denkrichtung liegt. Wenn die Denkrichtung “Alter” oder “Herkunft” gewesen wäre, hätte es andere Balken gegeben. Das wurde aber nicht zugelassen, somit wurde die Antwort durch die Fragestellung zumindest forciert. Du kannst nun problemlos 15 andere weitere Zählungen machen. Wenn du daraus dann einen Pool machst und dass irgendwie zusammenrechnest, dann ist die Schar der wirklich diskriminierten Menschen sehr klein. Aber, vielleicht und immerhin, sehr ehrlich. Eines kann ich dir sicher sagen: Du und Frau Seifert und ich sind privilegiert. Sogar, wenn wir nicht ins Feuilleton kommen. Wer mit solchen “Studien” hausieren geht, damit berühmt wird und Verkaufserfolge erzielt zündelt gewissermaßen mit Ansage.
Wir sollten uns den Genderpaygap mit seinen beiden Balken eine Warnung sein lassen. Der zeigt auch nur einen „Gap“ auf, aber kein „Genderpay“. Das kann ich sagen, weil dort eben längst umfassend analysiert wurde. Es gibt keine ungerechte Entlohnung, Frauen werden nicht für gleiche Arbeit mieser bezahlt. Es gibt aber andere Aspekte, die unter Umständen als ungerecht empfunden werden können und die den „Gap“ erzeugen (Teilzeitarbeit etc.).
Ich will gar nicht ausschließen, dass du beim Feuilleton in der Sache vielleicht recht hast. Vielleicht aber ist die Ungleichheit auch anders begründet. Eben da ich selbst lange genug als Kulturredakteur gearbeitet häbe fällt mir eine ganze Menge ein, was die Ungleichheit besagen könnte. Das Geschlecht käme mir da eher spät in den Sinn.
Nikoletta: Eben um die Art dieser Ungleichheit zu klären, also ihre Ursachen, haben Nicole Seifert und Brit Glanz im Frühjahr 2020 die Vorschauen literarischer Buchverlage nach ihrer Geschlechterverteilung ausgezählt. Das Ergebnis ergab ein Verhältnis von 60% Autoren zu 40% Autorinnen. Dass insgesamt mehr Männer als Frauen verlegt werden, kann also offenbar eines der Ursachen sein, warum auch mehr Männer im Feuilleton besprochen werden.
David: Ja, zum Beispiel. Und genau das meine ich, wenn wir was verändern wollen, dann müssen wir uns ohne derlei ideologische Scheuklappen bis an den Ausgangspunkt kramen. Gerade wurden noch die Kulturredakteure „in den Senkel gestellt“, jetzt wissen wir bereits, dass das womöglich vorschnell und unfair war, die baden nur aus, was Verlage vorher versaubeuteln. Die Folgestudie könnte also genau dort ansetzen. Leider aber zu dem Ergebnis kommen, dass es auch an denen nicht liegt, die auch nur irgendwas von irgendwem ausbaden müssen. Hach, ja.
Nikoletta: Nicole Seifert zeigt in ihrem Buch übrigens eine Reihe weiterer Ursachen auf, die für die Geschlechterungleichheit im Literaturbetrieb verantwortlich sein können. Hierzu gehört die Sozialisation von Kindern und Jugendlichen, die mit einer männlich dominierten Schullektüre oder einem Literatur-Kanon wie dem von Thomas Kerstan (2018, DIE ZEIT) aufwachsen, in dem von 100 Werken nur 9 von Autorinnen vorkommen.
David: Männlich dominierte Schullektüre, in die Hirne gestopft von fast durchweg weiblichem Lehrpersonal. Läuft das schon unter Stockholm-Syndrom? Im Ernst: Mit dem Punkt tue ich mich schwer. Ich kriege das nicht so richtig ins Hirn. Also das bedeutet, dass, als Beispiel, die heute 44-jährige kritisch-intellektuelle Feuilletonistin männliche Autoren unterbewusst bevorzugt, weil ihr zu Schulzeiten eingetrichtert wurde, dass nur Männer Literatur können…richtig? Hm. Und Frauen, also zum Beispiel du, nur so gerne ständig zu Autoren greifen, weil ihr ein Stück weit gehirngewaschen wurdet, eigentlich wollt ihr das gar nicht, euer inneres Ich schreit nach Frauenliteratur. So etwa? Nun gut, diese Argumentation ist im Feminismus ja sehr beliebt, das Feindbild der andersdenkenden Frau, die einfach noch nicht weiß, was gut für sie ist und erleuchtet werden muss wird ja sehr gehegt und gepflegt. Tja. Kann ich schlecht beurteilen, ob anno 2021 so viele Frauen so klein sind wie der Feminismus sie macht. Ich persönlich denke ja, Frauen wissen, was sie wollen und vertreten diesen Willen stark und eindeutig. Schwer vorstellbar, dass irgendeine Frau, wenn ich der mit dem Argument da oben komme, mich nicht auslacht. Zumal die Schulprägung unabhängig vom Geschlecht zumeist doch gleich ist: Goethe – kotz. Schiller – brech. Wenn es ein gutes Argument gibt, sich nie nie wieder mit männlichen Autoren zu beschäftigen, dann ist es doch der Schulunterricht. Apropos: Heine – würg.
Nikoletta: Lach! Aber da ist schon etwas dran, David. Wenn ich als Mädchen kaum Autorinnen als Vorbilder habe, wenn ich lerne, dass Themen, die Frauen in den vergangenen Jahrhunderten beschäftigten, sagen wir, eher nach innen gerichtete, emotionalere Stoffe, im Kanon nicht oder kaum vorkommen, dann werde ich als Autorin vermeiden, über solche Themen zu schreiben, wenn ich ernst genommen werden will. Jetzt sagst du, die Stoffe, die Frauen, sie sind doch da! Nimm Madam Bovary, Anna Karenina, Effi Briest. Ja, und diese Romane wurden von Männern geschrieben. Ich wäre die Letzte, die behaupten würde, ein Autor oder Autorin könne nicht authentisch aus der Perspektive des anderen Geschlechtes schreiben. In fremde Perspektiven zu schlüpfen ist Sinn des Schreibens und des Lesens. Nicole Seifert aber stellt in ihrem Buch eine Reihe Kanon-würdiger Autorinnen vor, die nirgends vorkommen. Die weiblichen Vorbilder gibt es, wir kennen sie nur nicht. In einem ihrer eindrucksvollsten Beispiele demonstriert sie, wie der literarisch hochwertige Roman einer Frau heute nahezu unbekannt ist, während der zur gleichen Zeit entstandene, thematisch vergleichbare und handwerklich ebenbürtige Roman eines Mannes es zur Weltberühmtheit gebracht hat. Es handelt sich um Fontanes „Effi Briest“ und den Roman „Aus guter Familie“ von Gabriele Reuter. Und es gibt spannende, feinstoffliche Unterschiede zwischen diesen zwei Romanen, die entdeckt und studiert werden sollten.
David: Leg mir bitte nicht Worte in den Mund, die ich nie gesagt habe, ha. Madame Bovary war für mich nie ein Frauenbuch, allerdings auch kein Männerbuch. Es ist ein Reicher-Sack-Buch, unerträglich, gerne da einbuddeln, wo gerade Frauenbücher ausgebuddelt werden.
Du, ich bezweifle ja gar nicht, dass das Buch von Frau Seifert auch gute Seiten hat, viel Interessantes bietet. So wie das Buch verschiedentlich dargestellt wurde, ist der Eindruck leider der, dass es polarisiert und auf der Stelle tritt, dazu eine gewisse Unsauberkeit und Einseitigkeit aufweist. Mag falsch sein, aber Kaufentscheidungen werden halt nach Eindrücken getroffen und hier überwiegt, auch nach diesem Gespräch, der schlecht-unnötige. Sollte Frau Seifert in 20 Jahren also so eine vergessene Autorin sein, man kann es getrost mir in die Schuhe schieben, ha.
Zu dem vergessenen Roman – gewiss ist das eine interessante Geschichte. So interessant wie die vielen Tausend anderen Geschichten dieser Art. Die Historie ist voll von Erfindern und Kreativen, die wegen dieser oder jener Tragik nie den Ruhm erhielten, der ihnen gebührte. Gibt faszinierende Bücher darüber. Die meisten dieser Vergessenen sind Männer, ein paar davon waren Frauen (was natürlich auch daran liegt, dass Männer mehr Optionen hatten, sich an Dingen zu versuchen). Die vergessenen Frauen werden gerne auf ein „ja als Mann hätte sie“ reduziert. Ist das besser, schlechter, passend oder zu simpel? Keine Ahnung. Ich weiß nur, dass dieses Vergessen selten nur mit dem Geschlecht zu tun hat. Falsche Zeit, falscher Ort ist universell, ist vielschichtig.
Nikoletta: Ich sehe schon, du bleibst dabei, dass Frauen es im Literaturbetrieb nicht schwieriger haben.
David: Nö, ich sage nur, dass mir die Anhaltspunkte dafür fehlen. Natürlich liegt das auch daran, dass ich ein Mann bin und man mir weibliche Benachteiligung daher zwei- bis siebenmal erklären muss. Ist ja andersherum genauso, männliche Benachteiligung ist Frauen oftmals gar nicht vermittelbar. Ich tue mich immer dann besonders schwer, Benachteiligung am Geschlecht festzumachen, wenn Männer unter exakt den gleichen Problemen leiden. Wenn du nicht ins Feuilleton kommst und ich nicht ins Feuilleton komme, dann ist die Antwort „liegt wohl am Geschlecht“ schlichtweg unlogisch. Der überwiegende Teil der männlichen Autoren kommt da nicht rein, in absoluten Zahlen vielleicht sogar mehr Männer als Frauen (auch das würde in eine ernsthafte Studie gehören), da kannst du nicht ernsthaft mit so einer Geschlechtsbegründung kommen, das hat was von konsequenter Missachtung, um es mal noch freundlich auszudrücken.
Du hast vorhin was von kindlicher Prägung gesagt. Natürlich ist da was dran, aber man sollte doch bitte beidäugig hinsehen. Dass man es als Frau irgendwie schwerer hat ist auch so eine frühe Eintrichterung, mir kam vor einigen Monaten eine 8-jährige damit, dass es Mädchen immer schwerer haben und Jungs immer leicht. Ich dachte, ich spinne, noch nichts erlebt und haut schon so einen Lehrbuchsatz raus, wurde ihr in der Grundschule von der Lehrerin irgendwie beigebracht. Ich habe mal eine Strichliste geführt für jedes Mal, wenn eine Frau im Fernsehen einen Satz beginnt mit „Gerade für mich als Frau“. Da kannst du eine Comedynummer draus machen, wo Frauen das fast schon floskelhaft überall vorsetzen. Die Frage, warum Frauen benachteiligt sind wird öfter gestellt als die Frage, ob Frauen benachteiligt sind. Bei ein paar wenigen Dingen sind sie es noch, bei den meisten Sachen aber eben nicht. Was dieses Buch oder besser die Studie letztlich ja bestätigen. Die Sehnsucht, die Liste an Benachteiligungen wieder etwas länger werden zu lassen, ist ja geradezu greifbar.
Die hätten bei der Studie im Übrigen statt Geschlecht lieber mal nach Verlag zählen sollen, welcher wie oft und warum ins Feuilleton kommt und welche nie. Oder Herkunft, Alter, Bildungsgrad. Genau das ist doch Aufgabe eines feministischen Projektes, Benachteiligung sichtbar machen. Hätte auch den Vorteil gehabt, dass all die vielen an Feuilletonmauern gescheiterten Männer mitgenommen und mitbedacht werden. Warum, frage ich mich, so plakativ gegeneinander, wenn es gemeinsam doch viel besser geht?
Mir fallen natürlich diverse Gründe ein, warum man lieber polarisiert als verbindet. Die Gründe liegen aber derart auf der Hand, dass ich sie hier nicht nennen muss.
Nikoletta: Ich verstehe sehr gut, was dich als Mann und als Autor schmerzt an all dem. Der Hype um den Feminismus, die Literatur von Frauen ist allgegenwärtig. Die Verlagsvorschauen in diesem Jahr waren bisher so weiblich wie noch nie, die meisten großen Literaturpreise gingen an Frauen in 2020 (allerdings auch erst, seitdem die Jurys paritätisch besetzt sind). Die Korrektur ist also längst im Gange. Die Zahlen zeigen aber, dass diese nach wie vor bitter notwendig ist, denn noch immer nehmen Autoren den größten Raum ein. Es gibt einen Kreislauf, der durchbrochen werden muss. Es geht los bei der Sozialisation von Mädchen und Jungen, die später zu einem bestimmten Kaufverhalten führt, das wiederum die Verlagsprogramme beeinflusst, diese den Feuilleton, und dieser wiederum das Leseverhalten – der Kreis schließt sich. Leider ist es so, dass jede Bevorteilung einer Gruppe, für welche edlen Zwecke auch immer, zur Benachteiligung einer anderen führt. Es sind junge Autoren wie du, die nichts mit dem hundert Jahre alten Kanon zu tun haben, und die nun das Gefühl haben, in den Hintergrund gedrängt zu werden. Seifert sagt dazu, dass es nicht darum geht, Autoren unsichtbar zu machen, sie sind ja auch nach wie vor überproportional sichtbar, sie fordert nur den gleichen Raum für Autorinnen. Das empfinde ich als fair. Ein Hype vergeht aber, die Korrektur ist temporär und hoffentlich führt sie in ein gerechteres Gleichgewicht, in dem es irgendwann in den Buchläden den Männertisch neben dem Frauentisch gibt mit hochwertiger Literatur auf beiden, wo Männer wie Frauen gleichermaßen stöbern.
David: Ich glaube, wir sind beide alt und sogar modern genug, um zu wissen, dass ab zwei Tischen der Punk erst richtig ab geht. Wer sich dann so alles melden und einen eigenen Tisch einfordern wird, auf das Geschrei freue ich mich jetzt schon.Ich danke dir dennoch für deine Empathie. Mit dem Frauenbücher-Hype komme ich sogar sehr gut klar, jeder Hype hat seine Berechtigung, seine kurze Zeit, bevor er geht. Was mich schmerzt ist eher dieses Bubble-Ding, die eigene Blase. Ich würde gerne daran glauben, dass die meisten Leserinnen diese Art Benachteiligungsstudien genau angeschaut, heruntergeladen, kritisch begutachtet haben. Leider muss ich aber davon ausgehen, dass kaum jemand sich das anschaut, die Botschaft trifft das eigene Weltbild und ab geht die virtuelle Share-Lucy, weil ist ja Unterdrückung, ist ja wichtig, man ist ja ein guter Mensch. Deswegen schalte ich bei Berichten zu Genderpaygap-Demos auch immer um, denn wie du korrekt sagst: Da ist mittlerweile richtiges körperliches aua. Manchmal finde ich die Fernbedienung nicht rechtzeitig, dann sitze ich da, im Unterhemd mit Flasche Bier in meinem Familienchefsessel und fluche wie dereinst Ekel Alfred über die Dusseligkeit der Welt (deutsche Kinder der 70er-Jahre erinnern sich mit Freude). Ich war mal so ein eloquenter Robert Habeck-Typ und ich glaube, wenn ich aufhöre, mich weiter um Feminismus zu kümmern, Frauenrechte mir endlich egal sind und ich nur noch Männerbücher lese, dann kann ich mich wieder dahin zurückentwickeln. Vielleicht reicht es aber auch einfach das Ende des Hypes abzuwarten.
Weitere Ausgaben von Kiss & Wonschewski: HIER.
„Schwarzer Frost“, „Geliebter Schmerz“, „Zerteiltes Leid“ – zu den Romanen von David Wonschewski: HIER entlang.
Frauen? Gibt’s doch gar nicht mehr. Die Wesen, über die wir hier sprechen, heißen heute “als Frau gelesene gender-weibliche Cis-Personen” (die GenZ möge mir verzeihen, wenn ich bei dem Begriff etwas vergessen habe, aber mein armer Boomer-Kopf ist gerade mit anderen Problemen beschäftigt, nämlich dem *Achtung Triggerwarnung* Alltagsgeschäft😄
Hui. Das reißt viel an und verdient Erweiterung:
Autorenfrage: Noch soviel männliches Übergewicht bei Neuerscheinungen? In meinen Buchläden hier arround liegen fast nur Autorinnen und Hape kerkeling!
Sollte man vllt berücksichtigen, ob Sachbuchmarkt oder bellestristik? Letztere ist für mich gefühlt zu 90% in Autorinnenhand. Und deshalb für mich nix.
All diese Klischeeromane von der Benachteiligung und dann doch Aschenputtelkarrier in a Jutta Dittfurth Way. Also ohne Prinz. Abwink.
Sozialisation: Die Jungskatastrophe rollt: Sitzenbleiben, rückläufiger Gym-Zugang usw., weil nicht nur weibliche Personaldominanz vorliegt, sondern auch weibliche Themen in Deu und Ge. Frauenfrage all over.
Geschichten von sozialer Benachteiligung anhand von Mädchenschicksalen (Ich bin eine Wolke); Atomkatastrophe (Die Wolke), gefolgt von Galotti und Luise Millerin bis Maria Stuart und Effi Briest. Gäääähn.
Geschichte: Sophie Scholl und Anne Frank. Andere historische Zeiträume gibts ja fast nicht mehr.
Also da grasiert ein vielfältiges Elend.
Weltliterarisch relevante Bücher aus Deutschland: Seit der Blechtrommel keine mehr.
Frauenfrage oder Eierlosigkeit?