von David Wonschewski
Vorabfazit: 2 von 5 Sternen
Vorsicht – dieses Buch ist eine Mogelpackung, die es in sich hat. Denn pünktlich zum Jahrestag des Mauerfalls erscheint dieser Roman, der in Klappentext und auf der Rückseite damit liebäugelt einen Einblick in eine Ostberliner Jugend zur Wendezeit zu werfen. Und was geworden ist aus den Kindern von einst, wie gut oder auch schlecht sie zu Rande gekommen sind mit den Verlockungen und Versprechungen des ach so goldenen Westens.
Um ehrlich zu sein: Geht man so an das Buch ran, erlebt man eine große Enttäuschung. So wahnsinnig viel Ostalgie tischt Tom Müller hier nicht auf, wie überhaupt die meisten Dinge, die er seinen Protagonisten Jonathan Buch in Einschüben immer wieder neu erleben lässt, auch Westberliner Jugendlichen hätten widerfahren können. Man knutschte ein bißchen, man fand den Weg zum Alkohol, rackerte sich vergeblich an Mädchen ab, balancierte an der Schwelle zur Kleinkriminalität. Und zwischendrin: Dieser und jener Pennälerquatsch. Inzwischen ist Jonathan an die vierzig Jahre alt, lebt bei seiner Freundin Elena und deren Hund Pasolini in Hamburg. Sie: arbeitet, ist entschlussfreudig und organisiert, treibt ihn an. Er: Job gekündigt, hängt ab, raucht, pinkelt, pinkelt, raucht, macht sich ein Bier auf, geht mit Pasolini spazieren. Um dann wieder zu rauchen und zu pinkeln und sich ein Bier aufzumachen.
Ja, die Geschichte plätschert verdammt ereignislos vor sich hin. Und zwar ahnt man schnell, dass dahinter ein literarischer Plan steht, aber nunja, der Zweck heiligt auch nicht alle Mittel und die Versuchung das Buch, das stilitisch eine wilde Aneinandereihung von Hauptsätzen ist, verfrüht wegzulegen ist da.
“Die Klingel weckte mich. Ich hob den Kopf von den Armen und sah aus dem Fenster. Es waren nicht meine Eltern. Auch nicht Frau Ziegelmann. “
So in etwa geht das fast 200 Seiten. Man erfährt, dass Jonathans Jugenkumpel Strippe gestorben ist und er sich mit dem Gedanken trägt nach Berlin zur Beerdigung und zu Strippes Mutter zu erfahren. Man erfährt auch immer wieder, dass Jonathan eine Leidenschaft für Italien und den politisierenden “Fin de Siècle”- Schriftsteller Gabriele D’Annunzio pflegt. Was das alles soll und warum man sich 200 Seiten dahinplätschernde Schiklderungen antun soll erfährt man hingegen – erst ab Seite 200 etwa. Denn ab da kriegt das Buch eine fulminante, wenn auch weiterhin unaufgeregte Wende hin.
“Es kratzt an der Wohnungstür Pasolini zwängt sich durch den Schlitz. Ich stoße die Tür weit auf, hole den Wein aus der Küche, stelle mich in den Windzug. Der Wein tut mir gut. Ich trinke nur winzige Schlucke, fahre mir mit der Zunge über die Lippen. An der Garderobe hängt noch seine Mütze. Ohrenklappen und Kordeln dran. Die Mütze eines Kindes oder eines Trottels.
So hatte er vor meiner Tür gestanden. Noch im Flur zog er die Flasche aus der Jacke. Angeblich geklaut. Ich glaubte ihm nicht. Er sah nicht aus wie ein Dieb. Auch nicht, als er die Mütze abnahm. Sein Kopf war fast kahl unter der Mütze. Was übrig war – nicht der Rede wert. Er sah nicht aus wie jemand, der sich nahm, was ihm nicht gehörte, er sah aus wie jemand, der Angst hatte, das, was er noch hatte, zu verlieren.”
Jonathan verbindet seinen seinen verstorbenen Freund Strippe mit dem heißblütigen Redner und Revolutionär D’Annunzio und erkennt, dass beide hochtrabend ins Leben starteten, beiden jedoch früh der euphorische Motivations- und Aktionszahn gezogen wurde, beide verglühten, als Schatten, fast möchte man sagen Gegenentwurf einstiger Ideen und Lebensentwürfe. Und er, Jonathan, steht mittendrin, noch am Leben, irgendwie, aber schon lange nicht einmal mehr zu Träumen, geschweige denn zielgerichtet zu agieren in der Lage.
“Ich lege es mir neu zurecht: ich habe das Haus verlassen, ich bin mit dem hund spazieren. Gegenüber vom Hafen wird er zur Belohnung etwas Salami bekommen. Weiter bin ich noch nicht. Unscheinbare Handlungen, die kein Urteil erfordern, daran muss ich mich halten.”
Man darf und muss diesen Jonathan Buck als Abziehbild des modernen Mannes betrachten. In früheren Romanen wurde Charakteren wie ihm noch der ein oder andere heroische Zug verpasst – ein Amoklauf, eine Flucht in Wald oder Wüste, ein Suizid. All das hat Jonathan nicht zu bieten, der einfach nur ideen- und illusionslos ausplätschert, erkennt, dass selbst seine Vorliebe für Italien und faschistische Vordenker wie D’Annunzio keinerlei Wert mehr besitzen.
“Auf der Rückfahrt im Auto spielt sie Musik, und ich heulte. Und das Beste: Es störte sie nicht. Im Refrain sang eine Frauenstimme: Wir sind hier nicht in Seattle, Dirk, und werden es auch niemals sein. Sie sang es so vorsichtig, als tue es ihr leid, diese Nachricht überbringen zu müssen.”
Ja, wir, die Männer der Generation Tocotronic, sind in die Jahre gekommen. Die Trainingsjacken von einst passen uns nicht mehr. Und neue Klamotten haben wir nicht mehr finden können.
Ein Kulturjournalist tobt sich aus – „Schwarzer Frost“, der bitterböse Debütroman von David Wonschewski. Mehr Informationen zu diesem Buch entnehmen Sie bitte den Seiten dieses schattigen Blogs. Oder aber tummeln sich direkt HIER.