von David Wonschewski
Vorabfazit: 4 von 5 Sternen
Soso, da war “Mobbing Dick” also für den Deutschen Buchpreis 2019 nominiert, landete just auf der sogenannten “Longlist”. Doch wie berechtigt ist das?
Nun, schaut man sich zunächst einfach nur den Grundplot an, so weiß der Roman von Tom Zürcher eher auf langweilige Art zu verschrecken als denn anzulocken: Ein junger Mann aus einer anständigen Mittelstandsfamilie beginnt sein Berufsleben bei einer Schweizer Bank, wird schnell mit deren fragwürdigeren Machenschaften vertraut, flitzt die Karriereleiter hinauf, wird dabei selbst korrupt und korrumpiert. Und der Leser darf miterleben wie der ach so nette Kerl erst seinen Charakter, dann seinen Verstand einbüßt, wahnhafte Züge ausbildet. Privat beginnt er zunehmend zu saufen und sonstige Pillen einzuwerfen, umgibt sich mit Huren und zwielichtigen Gestalten – derweil er im Büro umgeben ist von Kollegen, die abwechselnd angst- und machtfixiert, angst- und machtgesteuert sind. Und hinter deren vermeintlicher Geld- und Karrierefixiertheit sich, das wird schnell klar, vor allem eines verbirgt: eine handfeste Versagens- und Verfolgungsparanoia.
So weit also die Grundidee von “Mobbing Dick”. Fraglos aktuell, noch immer und wohl auch noch auf Jahre hinaus. Und doch seit diversen zu großer Berühmtheit gelangten Wall Street-Filmen und Romanen einer der inzwischen wohl ältesten aller Kulturhüte. Das Ganze zur Abwechslung einfach einmal in der Schweiz anzusiedeln reicht nicht. Da braucht Tom Zürcher schon ein wenig mehr.
Und Tom Zürcher hat mehr. Viel mehr. Zunächst einmal zynisch-lakonischen Witz, einen gnadenlos-trockenen Humor, der sich vor allem in den knappen Dialogen entfaltet, für die der Autor ein ausgeprägtes Händchen hat. Wenn beispielsweise der sich noch in Ausbildung befindliche Protagonist, Dick, von einem der mächtigen Männer der Bank, Leonhard, über die Hintertreppe zum Abteilungsleiter hochgehievt werden soll:
“Wie war der Kurs?
Gut.
Das System im Griff?
Ist nicht schwer.
(…)
Dann lass uns mal Tacheles reden, sagt Leonhard. Bachmann muss weg.
Ich weiß, sagt Dick, er braucht dringend Ferien.
Hehe. Sie sind viel zu lieb für diese Welt.
Ich bin nicht lieb.
Schön. Wir wollen, dass Sie unser neuer Bachmann werden.
Was?
Genau. (…)
Um den Aderlass zu stoppen, müssen die verbleibenden vier Fantastischen noch fantastischer werden. Aber hierfür brauchen sie ein stabiles Backoffice, auf das sie sich verlassen können. Da aber Bachmann weder gesund noch stabil ist, wird Dick ihn ersetzen, und zwar möglichst rasch. Er braucht noch einen weiteren Kurs, dann ist er mit allen Skills ausgerüstet und kann übernehmen. (…) Dick ist der Appetit vergangen. Ein Bachmann werden? Nie im Leben. (…)
Wir wollen was Frisches. Wir wollen Sie.
Wie lange habe ich Bedenkzeit?
Bis ich vom Kacken zurück bin.
Ich weiß nicht, sagt Dick.
Was wissen Sie nicht?
Ob ich den Job könnte.
Jetzt klingen Sie wie Bachmann.
Dachte, ich soll Bachmann werden.
Gut pariert. Schlafen Sie darüber und morgen schicken Sie mir eine Mail.”
Es ist exakt diese Mischung aus Unbeholfenheit, Naivität und letzten Resten von tatsächlichem Anstand, der Dick immer wieder in Gewissenskonflikte und Alltagsbredouillen bringt, ihn zugleich jedoch, da ihn niemand wirklich für voll nimmt, die Karriereleiter hochschießt. Und die den Roman mit einer Fülle hochkomischer Szenen versorgt, die sich gerade dadurch ergeben, dass Dick eben kein Zyniker ist, kein Widerling, kein Ekel. Sondern ein entscheidungsschwacher Mitläufer, zu desorientiert und lustlos, um auch nur einen Schritt gezielt im Voraus planen, geschweige denn auf irgendeine Art taktisch agieren zu können.
Und es ist exakt dieser charakterliche Knotenpunkt, an dem “Mobbing Dick” nach einer Weile eine zweite Geschichte erzählt, die mit fortlaufender Lektüre die eigentliche Hauptgeschichte ein- und überholt, ja ihr letztlich sogar klar den Rang abläuft. Es ist die Geschichte einer provinziellen, fast schon an die Fünfzigerjahre erinnernden hoch-muffigen Schweizer Mittelstandsfamilie. Mit einem rechthaberisch-pfennigfuchsenden Vater als Oberhaupt, einer dauertraurigen, zu sehr auf das Urteil der Nachbarn schielenden Mutter, einer offen rebellierenden Ausreißertochter – und einem Dick, wie zwischen den Stühlen, von früh auf mit der Rolle überfordert, als so etwas wie Familienkleister zu funktionieren. Niemandem Schande zu bereiten, ein guter Junge zu sein. In welche Schieflage es den jungen Mann bringt, diesen marode vor sich hin bröckelenden Beziehungen der anderen drei Familienmitglieder zueinander Stabilität zu verleihen wird schnell klar, lernen wir Dick doch als einen Menschen kennen, der dazu neigt sich gelegentlich den Arm blutig zu beißen. Und dessen Verhaltensauffälligkeiten zunehmen, je mehr seine Umgebung – Bank wie Familie – darauf beharren in ihm einen lieben, einen netten, einen gut funktionierenden Menschen zu sehen. Ihm niemand zutraut, niemand ihm zugesteht auch einmal mental auszukreisen. Auszuticken. Abzurutschen.
Dicks Leben implodiert, als er seiner Mutter schließlich einen Hinweis über das verheimlichte Millionenvermögen des Vaters zukommen lässt, diese kurzerhand auszieht – und der Vater nicht lange fackelt die Angestellte seiner Drogerie als Haushaltsersatz bei ihnen einzuquartieren.
“Vater kehrt in die Küche zurück. Mit Fräulein Bodmer. Sie trägt ein kleines Köfferchen.
Was macht denn die Alte hier?, fragt Amy.
Fräulein Bodmer wird uns in dieser schweren Zeit unterstützen, sagt Vater.
Was soll das heißen?
Sie wird im Haushalt helfen.
Wir brauchen keine Hilfe.
Du kannst nicht mal kochen, Amy.
Das glaub ich einfach nicht, sagt Amy und steht auf. Da ist Mutter gerade mal einen Tag weg und schon holt er sich eine neue Unterhosenwäscherin ins Haus. Wird sie auch Mutters Platz im Bett einnehmen?
Wo denkst du hin. Sie schläft in Dicks Zimmer.
Das ist jetzt Wilhelms Zimmer, schon vergessen?
Der kann bei dir schlafen. Kleine Kinder sollten nachts nicht allein sein.
Seit wann kennst du dich mit Kindern aus?
Wenigstens weiß ich wer der Vater meiner Kinder ist.
Bist du sicher?
Wieso, steht was in Mutters Brief? Dick, wie alt ist dieser Bachmann?”
Es ist eine Welt, in der niemand mehr dem anderen traut, eine Welt, in der jeder jederzeit den nächsten Hintergehungsversuch, den nächsten frech platzierten Abgrund wittert, sich Mobbing und Stalking beständig gegenseitig die Klinke in die Hand drücken. Das ist die Realität, die Tom Zürcher in “Mobbing Dick” in beeindruckend knappen, Sätzen, Bildern und Dialogen gleichermaßen lustig wie ernüchternd einzufangen versteht.
Und für die man, ganz klar: auch den Deutschen Buchpreis verdient hätte.
Weitere Literaturbesprechungen gibt es: HIER.
Ein Kulturjournalist tobt sich aus – „Schwarzer Frost“, der bitterböse Debütroman von David Wonschewski. Mehr Informationen zu diesem Buch entnehmen Sie bitte den Seiten dieses schattigen Blogs. Oder aber tummeln sich direkt HIER.
Hallo,
oh, das freut mich natürlich, was für ein feines Feedback! Also, würd emich wundern, wenn es eine Enttäuschung wird!
Viele Grüße,
David Wonschewski
Ich habe eben Ihre Rezension gelesen und habe mir das Buch gleich bestellt. Bin gespannt. Die Szenen erinnern mich an die Kurzgeschichten von Martin Suter.