von David Wonschewski
Vorabfazit: 5 von 5 Sternen
Ach, was ist nur aus dem guten alten Säuferroman geworden? Zu Zeiten eines Bukowski fast schon ein eigenes Sub-Genre, sind all die widerlich schönen Schaudergeschichten um Schnaps, Teufel und Tod zum Opfer anderer, angesagterer psychologischer Schieflagen geworden: Depressionen beispielsweise, Burn-out, all das vermeintlich neumodische Zeug, zu dem jede Saison gefühlt 20-30 Romane erscheinen.
Auch Bachmann-Preisträger Peter Wawerzinek ist mit seinem “Schluckspecht” aus dem Jahr 2014 relativ spät dran, was jedoch seinen guten Grund hat: es hat ihn viele viele Jahre gekostet loszukommen von seiner eigenen Alkoholsucht, einen Abstand zu gewinnen, groß genug, um darüber schreiben zu können. Und wie es sich für eine authentische Suffgeschichte gehört, ist der Plot des Romans, fasst man ihn, öhem, trocken zusammen, wenig attraktiv: Ein feierlauniges Paar bekommt einen Sohn, hat aber keinerlei Lust an dem Bengel, schiebt ihn schnell zu Tante und Onkel ab. Die Tante hat ein sehr, nunja, knochiges Gemüt, der Onkel ist stiller, sympathischer – schnäppert sich aber ganz gerne mal einen. Oder auch zwei. Und auch wenn ihn die verdammte Sauferei einige Male ins Hospital bringt, bleibt es mehr eine verschmitzte Gaunerei als denn eine Sucht. So wächst der Protagonist mit Alkohol auf, trinkt, vom Onkel herzlich ermuntert, kaum der Kindheit entwachsen zum ersten Mal. Was folgt, ist das, was viele, sehr viele kennen: mit den Kumpels unterwegs, Bock auf Kneipen und Diskotheken, Bock auf Rockmusik. Und der Alk, tja, er ist halt immer mit dabei. Im Gegensatz zu seinen Kumpels, die nie so tief sinken, nie so heftig versacken wie er, die immer aufhören und Pausen einlegen können, schafft der Protagonist den Absprung nicht mehr. Die Getränke werden härter, die Tageszeiten früher, die Nächte kürzer. Filmriss auf Filmriss, ernste körperliche Verletzungen, sich eingehandelt irgendwo, irgendwie, wer weiß das schon. Ein Job nach dem Nächsten geht flöten, der Beginn der großen Verwahrlosung. Bis die Tante auf der Bildfläche erscheint, knöchern wie eh und je, den aus der Spur geratenen, längst nicht mehr jungen Mann in ein therapeutisches Wohnheim auf dem Land verfrachtet.
Soweit der Plot und soweit die Realität, spiegelt der Roman doch vieles von Wawerzineks Leben wieder. Dass “Schluckspecht” dennoch weit mehr geworden ist als ein plumpes Herunterleiern biografischer Notizen, ist, man muss das so klar sagen, Wawerzineks unfassbarem literarischen Talent zu verdanken. Der sich von der ersten Seite an keinesfalls darauf verlässt, eine möglichst erschütternde Darstellung einer Sucht zu liefern, sondern über den fast schon verbotenen Weg kommt: Uns zu zeigen, wie geil es ist, betrunken zu sein. Wie warm sich das anfühlt, wie schön. Und jeder verdammte Brummschädel tags drauf es wert ist, zum Wiederholungstäter zu werden. Ein Unterfangen, dass schnell platt werden kann, so es nicht mit überzeugenden Argumenten unterfüttert wird. Und Argumente, halleluja, die hat Wawerzinek. Nicht nur vor sich selbst als schale Rechtfertigung, nein auch für den Leser. Es ist geradezu ein Fest, Wawerzinek zu erleben, wie er LKW-Ladungen an Sprüchen, Erkenntnissen, wissenschaftlich fundierten Fakten über uns auskippt, immer wieder vermengt mit hochkomischen “boah, was war ich peinlich gestern!”-Anekdoten. Ungezählt die Stellen, die man sich im Buch markieren möchten, um immer mal wieder drüber nachzusinnieren.
Gott hat den Alkohol so fein und dem Wasser so ähnlich gestaltet, dass der Mensch den Alkohol wie das Wasser lieb hat. Krug macht klug. Solange man auf dem Boden liegen kann ohne sich feszuhalten ist man nicht betrunken. Es tut mir im Herz so weh, wenn ich vom Glas den Boden seh. Es geht hoch her bergab in der Kneipe. Alkohol ist ein hervorragendes Lösungsmittel, es löst Familie, Ehen, Freundschaften, Bankkonten, Arbeitsverhältnisse.
Oder:
“Den Trinker und den Säufer trennen Welten. Der Trinker verschaffe sich Erleichterung, wenn er trinkt. Der Säufer ertränkt nur seine Probleme. Der Trinker hingegen steigt heiteren Gemüts in die Abhängigkeit wie in einen Swimmingpool und schwimmt auf dem Alkohol wie ein Papierschifchen. Der Trinker gibt sich dem Wein hin wie Casanova dem Flirt (…) Während der Säufer torkelt und krakeelt und auf allen Vieren nach Hause kriecht, gerate der Trinker nur in kleine Seenot, wanke wie bei Sturm und Wind das Boot; wenn er lalle, zwitschert da stets auch die Nachtigalle. Der Trinker begibt sich mit Eleganz in die alkoholische Abhängigkeit, der Säufer wird durch sie nur geistlos. (…) Der Trinker trinkt, um zu verstummen, der Säufer säuft um zu verdummen. Der Säufer stillt sein Verlangen grob und laut, der Trinker trinkt still, wird weise und ergraut.”
Ja, es ist nicht von der Hand zu weisen: Die erste Hälfte des Romans machen Lust, sich mit Wawerzinek an die Theke zu setzen. Was auch daran liegt, dass Wawerzinek mit feiner Selbstironie schreibt, wenn es um ihn geht – und zugleich mit Zärtlichkeit und Liebe, wenn er Tante und Onkel und deren so ruppige, aber wundervoll funktionierende Beziehung beschreibt:
“Ich sehe uns in der Küche sitzen. Und ihr Mann, den ich Onkelonkel nenne, lebt da noch. Und ist der Fisch gegessen, klatscht Onkelonkel in die Hände, wendet sich an die Tante, die erst tut, als ahnte sie nicht, was jetzt kommt, wenn er: Her mit dem Schnaps, Fisch muss schwimmen, ruft. Dann stellt sich die Tante stur, verschränkt die Arme vor der Brust, weigert sich aufzustehen. , ins Wohnzimmer an den Schrank zu gehen, wo die feinen Sachen stehen. Und jedes Mal sagt sie zum Onkel: Schämt euch. Nicht vor dem Jungen. Sie sagt zum Onkel “euch”, und nur deswegen schäme ich mich für den Onkel mit, der sich jedesmal wieder neu darüber freut, dann aber selbst ins Wonzimmer geht, den feinen schottischen Whisky hervorholt, von dem er meint, dass er am besten zum Karpfen passt.”
Und so ist “Schluckspecht” nur an der Oberfläche eine Trinker- und Therapiestory. Auf dem Grund aber, wie Wawerzinek selbst schreibt, ein sehnsüchtiges Tasten nach, ein zartes Erspüren von Liebe. Der von seinen leiblichen Eltern nicht gewollte Junge, der Mann mit der lebenslangen Seelenwunde, der einsam und verloren nach Gefühlen stochernde zunächst Trinker, später dann Säufer, er rührt den Leser zu Tränen, steht die Liebe doch direkt vor ihm, schwebt über und zwischen ihm, seiner Tante, Onkelonkel.
Es braucht lange bis man zum ersten Mal Mitleid mit dem Protagonisten bekommt. Dann aber trifft es den Leser gleich mit voller Wucht. Die Freunde, die Kneipenbrüder, die nicht sehen, dass da einer ein wirkliches Problem hat, die ihre deftigen Witze reißen, wenn er vom Tisch aufstehen will, es aber nicht kann. Die ihn nachts auf die Fußmatte legen, wo er am nächsten Tag immer noch liegt. Und die ihn immer wieder abholen, mit großem Hallo zum nächsten Saufgelage. Oder die feiernde Meute in einem Zug, die den vollkommen orientierungslosen, kurz vor Alkoholvergiftung stehenden Mann zu Balanceakten animieren, ihn mit Zungenbrechern aus der Reserve locken, was er, einem treudoofen Tanzbären nicht unähnlich, mit sich machen lässt, wie er überhaupt vieles mit sich machen lässt, in seiner Suche nach Wärme, Liebe, Freundschaft. Bis es zur ultimativen Erniedrigung kommt, die Feiermeute schier explodiert vor Amüsement über den derart derangiert auftretenden Säufer. Eine Frau Eierlikör in eine Babyflasche füllt und ihm in den Mund steckt, zum Nuckeln. Und er nuckelt.
Ein tolles Buch. Und sogar mit einem positiven Ende. Wobei, was ist schon ein positives Ende bei einer Trinkervita?
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Ich könnte mit den anderen Büchern nicht so viel anfangen. Sie blieben für mich stecken in den traumatischen Kindheitsereignissen.
Hey – hm, darf ich daraus lesen, dass die anderen frischeren “Vögel”-Bücher weniger empfehlenswert sind. Liebtirilliere ja mit dem Erwerb, kreise aber adleräugig aktuell noch in höchster Höhe über dem Raben und dem Tölpel…. Viele Grüße!
Hab das Buch auch sehr gern gelesen. Im Prinzip ist es das einzige Buch was ich von Wawerzinek wirklich gern gelesen habe.