David Wonschewski | Schriftsteller

Kulturjournalist – Romancier – bipolarer Bedenkenträger

Über die formidable Vereinbarkeit von Haltung und Nicht-Haltung. Soeben ausgelesen: Witold Gombrowicz – “Trans-Atlantik” (1952)

gomtran

von David Wonschewski

Vorabfazit: 4 von 5 Sternen

Ohje. Nazi-Deutschland überrennt Polen, der Pole Gombrowicz flieht bis nach Argentinien, findet jedoch keine Heimat mehr und findet sie, mag man fast sagen, ein Leben lang nicht mehr. Und was macht David Wonschewski, anno 2019, inmitten seiner westdeutschen Weitnachkriegsbehaglichkeit, just Gombrowicz’ “Trans-Atlantik” auf den Knien? Lacht sich halbtot. Über den, dieses Wort sei mir hier anlassbezogen gestattet, Güllenscheiß, den Gombrowicz – der sich in dem Memoiren-Roman selbst in den Stand des Protagonisten erhoben (auch auch versenkt) hat – alles erleiden muss. Und was ihm so alles gegen den Strich, unsagbar auf den Senkel geht. Ihn in herrlich zu lesende Wut- und Hasstiraden treibt.

Ist aber auch zum Schießen. In allen Bedeutungsebenen, die diese wankelmütige Begrifflichkeit mit sich führt. Wie die Haupt- und Nebendarsteller dieser Nationalsatire, mehrheitlich Exilpolen, sich hier fortwährend ins Wort fallen, sich permanent piesaken und in bester und nah am Klamauk gebauter “drei Stooges”-Manier über den Haufen rennen, gegenseitig in wutentbrannte Höhen brüllen bis sie merken, dass Ihr Gerede und Geschacher auf nichts anderem als Luft aufgebaut ist, alles in sich zusammenfällt und sie beschließen, och ja, dann halt einfach gemeinsam einen Trinken zu gehen – alles das, ein großer Spaß. Dessen tiefer Ernst und dessen Quelle, die nationale polnische Tragödie, sich erst nach und nach offenbaren.

Gombrowicz (der reale wie der literarische) strandet 1939 ungewollt in Argentinien. Deutschland hat soeben Polen überrant und er mag gleichermaßen nicht recht zurück wie es ihm vom polnischen Gesandten vor Ort auch schlichtweg nicht gewährt wird. Was nun richtiges oder gar anständiges Verhalten für einen patriotisch denkenden Polen ist, niemand vermag es so recht zu beurteilen:

“Ich bin nicht so irrwitzig, dass ich in den Heutigen zeiten etwas meine oder nicht meine. Aber wo du nun hiergeblieben bist, so gehe gleich zur Gesandtschaft, oder geh nicht hin, und melde dich dort An, oder melde dich nicht An, weil wenn du dich Anmeldest oder Nicht Anmeldest, kannst du dir große unannehmlichkeiten zuziehen oder nicht zuziehen.

Finden Sie?

Das finde ich oder finde ich nicht. Tu, was du selbst für gut befindest (hier dreht er mit den Fingern) oder nicht befindest (und dreht mit den Fingern), denn dafür bist du nun einmal selbst verantwortlich (wieder dreht er mit den fingern), daß dir nicht was Schlechtes zustößt oder vielleicht doch Zustößt (und dreht wieder).”

Passagen dieser Coleur finden sich haufenweise in “Trans-Atlantik”, und sie bezeugen, dass der Literat, Protagonist, ach, nennen wir es: Mensch!, daß der Mensch Gombrowicz durch Haltung (oder Nicht-Haltung), vorgegaukelte Attitüden (oder Nicht-Attitüden) und aus den leeren ehemaligen Ordnungen entstandene Neu-Unordnungen (oder war es genau andersherum?), den gesamten Roman hindurch auch an rücksichtlos falsch gesetzten Groß- und Kleinbuchstaben verdeutlicht, hindurch nur eines erblickt: Nichts. Dementsprechend dürfte der meistgebrauchte Begirff der gesamten Erzählun fraglos das nichtssagende (oder vielssagende) Adjektiv leer sein. Und dementsprechend turbulent geht es zu: Gombrowicz bleibt in Argentinien hängen, trifft andere Polen, wird aus fadenscheinigen Gründen plötzlich als Dichtergröße hoch-hoch-hoch-verehrt, derweil sich überhaupt ein jeder Pole vor Ort in unerträglicher (für den Leser aber hochamüsanter) Kasparhaftigkeit beeilt einem jeden anderen Polen vor Ort die allgemeine großartige Unglaublichkeit aller Polen vor Ort zu versichern. Bis halt der unweigerliche Punkt kommt, wo wieder alles in sich zusammenstürzt, aus allen Huldigen die Luft entweicht und die hochwohlgeborenen Polen nicht wissen was anzustellen ist mit sich, außer sich gegenseitig Biergläser an den Kopf zu werfen, sich gegenseitig mit Sporen die Waden zu malträtieren oder sich einfach nur der Güllenscheißererei, des Güllenscheißertums zu bezichtigen. Und abschließend, um die angespannten Situationen aufzulösen: gemeinsam einen zu heben, auf die heilige polnische Nation anzustoßen.

Vordergründig ist das ganze Buch eine vernichtende Satire auf die Polen und die polnische Nation, die in Ihrer Demaskierung sehr oft an spätere intelligent-klaumaukhafte Großtaten von beispielsweise Monty Python ( wenn auch auf anderen Themenebenen, natürlich) erinnert. Skandalösereres dürfte in der polnischen Literatur bis zum heutigen Tag wohl kaum geschrieben worden sein. Doch auch wenn Gombrowicz – obschon heute als einer der großen polnischen Schriftsteller verehrt – seinerzeit viel Empörung und Wut seiner daheimgebliebenen Landsleute entgegenschlug, dürfte es ihm hier, wie so oft in guten Satiren, keineswegs darum gegangen sein ein Spottlied über den endgültigen Untergang polnischer Identität zu verfassen, sondern im Gegenteil: diese zu stärken. Seine Polen darauf zu trimmen die eigene Identität nicht – und im Hinblick auf die so wankelmütige polnische Historie schon mal gar nicht – auf den Begriff der Nation und Religiosität zu verengen. Ein Akt der Befreiung des Individuums , eine Stärkung gegen die übermenschlichen kollektiven Formungen.

Auch wir Deutschen haben bekanntlich unter den Irrungen und Wirrungen unserer Geschichte zu ächzen, unser nationales Selbstbild gilt daher bis heute als eines der verzerrtesten, verformtestes und ungelenksten der Welt. Mit bekannten Folgen: eilends haben wir uns zu Europäern und Weltbürgern umgeschaffen und wie gern desolidarisieren wie uns mit unserer Nation, je öffentlicher, desto besser. Auch das letzlich nur eine Form, die den stets gleichen vorhersehbaren Scemata aus Aktion und Reaktion folgt, dem stets gleichen Affentanz aus vorauseilender political correctness und Empörungsfanatismus. Sich als deutscher Leser über die hier so offen dargestellte vermeintliche Blödheit der Polen zu freuen trägt also nicht weit, hält es doch auch unserem eigenen Verhalten im Jahre 2019 viel zu oft den Spiegel vor – nur dass wir gleichsam von der anderen Seite durch ihn hindurchsehen als polnische Leser der fünfziger und sechziger Jahre.

Viel niederschlagender aber: so einen wie Gombrowicz, der uns herausholen könnte aus diesem Verhaltensgefängnis, haben wir nicht, nie gehabt.

Weitere Literaturbesprechungen gibt es: HIER.

Ein Kulturjournalist tobt sich aus – „Schwarzer Frost“, der bitterböse Debütroman von David Wonschewski. Mehr Informationen zu diesem Buch entnehmen Sie bitte den Seiten dieses schattigen Blogs. Oder aber tummeln sich direkt HIER.

Ein Kommentar zu “Über die formidable Vereinbarkeit von Haltung und Nicht-Haltung. Soeben ausgelesen: Witold Gombrowicz – “Trans-Atlantik” (1952)

  1. Madame Filigran
    12. November 2019

    Sehr interessant der Beitrag, sage ich als Gombrowicz-Fan. Hoch empfehlenswert auch sein 1059 Seiten schweres “Tagebuch 1953-1969”. Beste Grüße

Kommentar verfassen

%d Bloggern gefällt das: