von David Wonschewski
Vorabfazit: 5 von 5 Sternen
Erwähnte ich schon, dass ich die Geschichtsschreibung ad absurdum führen werde? Und das kommt bzw. kam so: Vor einigen Jahren, kurz vor seinem Tod, führte mein Vater mich in unserer Garage und zeigte auf einen alten, vermoderten Koffer. Der stand dort schon immer, in der hintersten Ecke, zwischen anderem Kram. Auf die Idee, dass da auch was drin sein könnte, bin ich nie gekommen. “Der gehört jetzt dir, Sohn”, sprach mein Vater. Und fügte bedeutungsschwer hinzu: “Mach’ was du für richtig hältst mit dem Zeug.” Nein, keine Sorge, da waren keine Drogen drin, auch keine Hehlerware. Der Koffer ist knallevoll mit rechtmäßig erworbenem Zeug. Urkunden und Medaillen, die verliehen wurden. Und Zeitschriften, allesamt ganz legal am Kiosk erworben. Das Problem ist weniger, wem der Krempel gehörte, sondern wie und wann er dazu kam. Antwort: meinem Großvater. Und in den Jahren 1934-1941. Hüstel hüstel und so.
Also auf den Medaillen und Urkunden ist überall die Swastika drauf. Aber in den Illustrierten, ich schwöre es, wird der Führer nicht auf jeder Seite positiv erwähnt. Wenn überhaupt, dann: auf jeder zweiten Seite. Masterfrage: Was macht man mit dem Zeug? An dieser Stelle darf gerne erwähnt werden, dass es drei bis fünf Jahre in meiner jüngeren Vergangenheit gab, in denen ich enorm abgebrannt war, finanziell völlig am Boden. Und es mit Sicherheit offizielle Stellen in diesem Land gibt, die mir den Krempel abnehmen würden zur Zeitdokumentation. Aber eben für umme. Derweil es, nun, inoffizielle Liebhaber gestriger Kultur gibt, die mir mein Bankkonto füllen würden dafür. Ist neben moralischen Gewissenserwägungen auch eine rechtlich schwierige Kiste. Haben durch Vererbung darf man so was, Handel treiben damit ist schon eine andere Nummer. Damals, als der Magen schon am 17. des Monats knurrte und ich die Entscheidungsfreiheit hatte, ob ich mich nun lieber mit Kredithaien abgebe oder eben zwecks Kofferübergabe mit arg konservativen Geistern und wenn wie ich das denn bewerkstelligen könnte ohne Knast und ohne mit-Zementschuhen-in-den-Rhein, verbrachte ich manch wache Nacht, durchschwitzte ich manch Verfolger-und-Verfolgte-Traum, spähte ich lieber öfter als gar nicht durch meinen Türspion. Sah vorbeihuschende Schatten, nahm ein jähes Knacken wahr, immer hinter mir, über mir, unter mir. Und wusste: Sie beobachten dich. Seit Langem.
Wer “sie” sind ist nicht so einfach zu sagen. Mir fällt da eine Menge ein. Um die Sache abzuschließen, ich habe nichts weggegeben, nichts verkauft. Und habe es auch nicht vor. Da ich nach aktuellem Stand der Dinge aber auch keine Nachkommenschaft ins Leben werfe, bleibt mir der etwas unfaire Move meines Vaters ebenfalls nicht als Option. Und Opa Sachen verbrennen und verschrotten, das schaffe ich emotional nicht. Ich werde mich also wohl oder übel mit dem Krempel bestatten lassen. Ja, als Grabbeigabe zusammen mit mir in den Sarg. Hat vielleicht auch was Symbolisches, Sühne und Sippenhaft Nachgeborener. Problematisch wird es nur, wenn mich Archäologen in 200 Jahren ausbuddeln, Historiker mich anhand der Funde entschlüsseln. Seht her, wird es dann gewiss heißen, der hier Bestattete war ein ranghoher Nazi, zu erkennen an den Grabbeigaben. Und wie das so läuft, wird man bei der Interpretation von Höcksgen auf Stöcksgen kommen. Schwupp wird meine ganze Generation, ach was sage ich denn, das ganze westliche Münsterland der 90er-Jahre als eine einzige große Swastika gesehen. Wird schon kein Zufall gewesen sein, dass man in diesen – also meinen – Kreisen einen charismatischen und ausnehmend blonden Mann zur Stilikone wählte. Als wenn es im Großraum Seattle nicht noch andere Männer gegeben hätte, aber nein, ausgerechnet der musste es sein. Da schließt sich doch ein Kreis, wird es heißen. Alles eine einzige Nazi-Suppe, werden sie rufen.
Das ist keineswegs weit hergeholt. Siehe Pharaos. Ob das nicht einfach Bettler waren, die man verspottete, indem man ihnen die Grabkammer mit Kostbarkeiten vollstellte, das ist doch noch gar nicht raus! Hm. Ich denke wohl doch noch mal drüber nach. Was ich mit dem Koffer mache. Immerhin habe ich jetzt in Siegfried Blum ein Vorbild, das mir eindrucksvoll zeigt – wie es auch nicht geht. Blum ist eine gar nicht mal so doofe Type Ende dreissig, der sein Studium abbrach, dessen grundsolider Versuch, eine Kunstgallerie aufzubauen, scheiterte und der sich mit dem Verticken selbst produzierter Pornohefte auf Malta knapp über Wasser hält. Über das Toupet eines Italieners – nicht fragen, einfach allein die Vorstellung genießen – kommt er zufällig an eine fette Ladung Koks, fünf Pfund. Schmierig und im Eimer genug, um das Zeug verkloppen zu wollen und sich auf den Bahamas niederzulassen ist er. Anderseits aber auch relativ ehrlich, auf seine abgerockte Art sogar anständig – und was das Veräußern von Koks angeht, komplett unerfahren. Kurzum: Einen Haufen Koks zu Geld zu machen, ohne im Knast oder mit Betonschuhen in der Amstel zu landen, tja, das ist definitiv eine Nummer zu groß für den Kleinstunternehmer Blum. Das Zeug den Bullen geben fällt aus, das Leben schuldet ihm einfach noch was. Genug halbseidene Gestalten kennt er auch, neben mafiösen gestalten auch arabische Geschäftsmänner und amerikanische Lobbyisten. Und kleine Straßendealer. Also zieht er los mit seinem Musterkoffer, wie eine Art Handelsreisender, dockt überall an, trifft sich hier inkognito, tütet – nettes Verb im Kokszusammenhang – dort eine Übergabe ein. Und kommt doch nicht vom Fleck.
Der viel zu früh verstorbene Kultautor Jörg Fauser hat mit seinem “Schneemann” 1981 einen Roman vorgelegt, der sich wie eine Mischung aus Bukowski und Chandler liest. Einerseits eine Story im Krimigewand, erzählt aus der Sicht eines potenziellen Täters. Andererseits aber stellt er einen Protagonisten ins Zentrum, der – ähnlich wie Bukowski-Charaktere – den schlunzigen Stolz des Abgewrackten mit sich herumträgt. Gesoffen wird eigentlich die ganze Zeit, gekokst sowieso, es gibt ein wenig zugedröhnten Sex und mit schöner Regelmäßigkeit kriegt auch einer gepflegt eins auf die Kauleiste. Aber das ist nicht alles, Fausers Kunst besteht darin den Schweiß seines Anti-Helden, der sich überall verfolgt und beobachtet fühlt, nichts und niemandem mehr traut – und sich gerade dadurch manch Geschäftsabschluss selbst versaubeutelt – also diesen daraus resultierenden Schweiß gewissermaßen zum Leben zu erwecken. Nein, in Panik verfällt Blum nie, dafür ist er nicht der Typ. Es ist eher so, dass der naturcoole Typ seit seinem Fund randvoll mit Adrenalin ist – und genau das riecht man bei der Lektüre. Ja wirklich, flüssig und atemlos – und nicht zu vergessen extrem belustigt – liest man Seite um Seite. Und denkt permanent: Boah, Blum, du ranziger Spacken – willste nicht mal duschen?
Zwar habe ich die Verfilmung von “Der Schneemann” nicht gesehen, wenn Marius Müller-Westernhagen dort aber einen ähnlichen Typen auf die Leinwand gebracht hat wie wenige Jahre zuvor im Roadmovie “Theo gegen den Rest der Welt”, doch, dann passt das perfekt.
Thriller mag ich gar nicht, klassische Krimis nur manchmal. Wenn mir aber einer so kommt wie Fauser hier, dann hat er mich, sofort und komplett. Folgerichtig habe ich mir zwei weitere Romane direkt bestellt. Den Mann suchte ich aber mal so was von durch.
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