David Wonschewski | Schriftsteller

Kulturjournalist – Romancier – bipolarer Bedenkenträger

Liedermacher-Rezension: Manfred Maurenbrecher – „flüchtig“ (2017)

mamaurrrr

von David Wonschewski

Es ist noch gar nicht lange her, da sprach ich mit einem Liedermacher älteren Jahrgangs über den Niedergang des politischen Liedes. Ein Niedergang, den offenbar nur ich sehen konnte, derweil er mir als Denkaufgabe mit auf den Weg gab, dass das Politische sich heutzutage mehr denn je im Privaten wiederspiegle. Und es dementsprechend noch immer einen Haufen politischer Lieder gäbe, vielleicht sogar mehr als je zuvor.

Womit wir direkt bei Manfred Maurenbrecher angekommen wären, der zwar nicht der soeben benannte Liedermacher ist, jedoch bei genauem Hinsehen just jenes Konzept des mit Politik durchsetzten Privaten seit mittlerweile Jahrzehnten verfolgt wie kein Zweiter. Bereits der Titel seiner nunmehr 24. Veröffentlichung weist in diese Richtung: „flüchtig“, heißt es lapidar. Wohl kein Titel könnte die aktuelle Politik besser treffen als dieser. Und doch weist er noch viel mehr als gen Regierung tief in Maurenbrechers eigene Vita. Denn der Berliner liebt es in Bewegung zu sein. Ob auf einem Spaziergang, dieser kleinen Reise um den Block vor jedem seiner vielen Auftritte, als tourender Musiker, als Kind auf Entdeckungsfahrt mit dem Roller durch Berlin oder als junger Mann mit Rucksack durch ferne Länder – Viele dieser Reisen finden sich bereits in seinen älteren Liedern wieder. Nicht von ungefähr tragen schon seine Kulthits aus den Achtzigern Titel wie „Avignon“, “Bingerbrück“ oder „Hafencafé“. Mit „flüchtig“ ist nun erstmals ein ganzes Album über das Reisen entstanden, über die vielen flüchtigen Begegnungen mit der Welt, die das Unterwegssein mit sich bringt und wie sie uns und unsere Welt verändern.

Sag du mir nicht ich sollte mich mehr pflegen, ich hock am Weg, du kommst vorbei // Ich hab‘ für alle meine Töne einen Segen, ich mach‘ ein bisschen Krach, der Weg ist frei“

Ja, seine Rolle als sanft schlampiger, sich selbst genügender Rebell, die hat Maurenbrecher schon vor Jahren gefunden. Und er kultiviert sie, wozu ihm natürlich gerade ein Album wie „flüchtig“ immer wieder die Chance gibt. „Der Fuhrmann“, so heißt der Eröffnungstrack, dem diese Zeilen entstammen. Ein wunderbar versonnenes Stück Outlaw-Musik, prall gefüllt mit schönen poetischen Metaphern rund um das Thema Außenseitertum. Aber auch ein Stück wie es Maurenbrecher schon zu Dutzenden geschrieben hat, wenn er gebetsmühlenartig wieder einmal dafür plädieren möchte, die eigenen Träume und Wünsche gering zu halten,  um nur nicht der Bigotterie des ach so schönen Scheins zu erliegen.

Ein gelungener Track, jedoch kein Grund, sich deswegen „flüchtig“ zuzulegen – ganz im Gegensatz zur sich anschließenden Backpacker-Liebesballade „Schräge Straße“, die die kurze Begegnung eines jungen Mannes und einer jungen Frau an der mazedonischen Grenze schildert, deren Sehnsucht nach Weite und Fremde für einen kurzen Augenblick zurücktritt hinter das Verlangen füreinander. Ein Lied das, mehr noch als „Der Fuhrmann“, einen zusätzlichen Reiz über die von Maurenbrecher sanft eingestreute (und doch brutal nachhallende) Kritik an plumpen „Es steht alles in Gottes Plan“- Botschaften bezieht. Eine Liebesballade, so staubig, so schön und so aussichtslos wie sie nur einer schreiben kann, der schon verdammt viel umhergeirrt ist im Leben.

Zu früh“, der Song, der es immerhin auf Platz 1 der Liederbestenliste gebracht hat, liefert den Beweis, warum Maurenbrecher – privat-politische Vermengung hin und her – noch immer als einer der Zeitchronisten erachtet werden muss, die nur so schwerlich Nachfolger finden in der jüngeren Musikergeneration. In aggressiv-giftendem, ja verdammt nah am Rap gebautem Sprechgesang seziert Maurenbrecher hier das europäische, speziell bundesdeutsche Unbehagen angesichts der Flüchtlingskrise. Schonungslos deckt er die eigene Scheinheiligkeit auf, das durchaus vorhandene große Wohlwollen einer Nation, die prinzipiell zu jeglicher Hilfsbereitschaft, prinzipiell zu jedem Opfer bereit wäre – nur halt eben nicht sofort, nur eben nicht jetzt. Ein großes Stück, das schonungslos das schöne Sprechen und das verweigerte Handeln aufeinander losstürmen lässt.

So gelungen auf den Punkt gebracht und Platz 1-würdig die Nummer auch ist – sie verblasst gegen Maurenbrechers neu entfachte Lust an unheimlich vor sich hin dräuenden Liedern, die das Kunststück vollbringen den Hörer das nahende Armageddon spüren zu lassen ohne es wohlgleich mundgerecht zu servieren. So begleiten wir den traumatisierten, mit der Flüchtlingsbewegung aus Damaskus nach Berlin gespülten Taxifahrer „Jamal“ durch seinen von Bedrohlichkeiten durchsetzten Alltag. Und begeben uns in „Das war sein Glück“ als Tramperin neben jenen Fahrer eines schwarzen Jaguar, dessen Antrieb überhaupt wen mitzunehmen auf grausame Weise im Dunkeln bleibt.

Das Glück stand an der Autobahn, bei irgendeinem Städchen, mit Short und weitem T-Shirt an, wie tausend andere Mädchen // Der Mann im schwarzen Jaguar ging langsam vom Gas, wahrscheinlich weil er hungrig war, aus Müdigkeit und Hass. Das war sein Glück.“

Es ist und bleibt Maurenbrechers Talent und Geschick bedeutungsschwangere Sujets in zumeist versonnen schwelgerische Kompositionen zu packen, veredelt wie eh und je durch seine unique Stimme, die gleichermaßen gutmütiger Erzählonkel wie unheilvoll-verworren vor sich hin mäandernder Endzeitapologet sein kann. Nie hundertprozentig zu wissen welche Rolle Maurenbrecher in welchem seiner Stücke einnimmt, macht „flüchtig“ zu einem Album, das auch nach zwanzig Hördurchgängen unentdeckte Tiefen offenbart. Und dabei nur wenige Ausfälle produziert, so wie das bierselig daherschunkelnde, in Summe vollkommen unnötige „Die Kuh macht Muh“. Ein Lied, das, man ahnt es fast, live hervorragend funktionieren wird, um zwischen all dem bedächtigen Zeugs für ein wenig Lockerheit zu sorgen. Auf Albumlänge aber wie ein Fremdkörper wirkt, bei dem es sich vergeblich nach Tiefe und Sinn suchen lässt. Und bei dem man sich dementsprechend im wahrsten Sinne des Wortes verschaukelt fühlt.

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Kansas – „Dust in the Wind“. Und zwar: HIER.

Kate Bush – „Wuthering Heights“. HIER.

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Ein Musikjournalist tobt sich aus – „Schwarzer Frost“, der bitterböse Debütroman von David Wonschewski.  Mehr Informationen zu diesem Buch entnehmen Sie bitte den Seiten dieses schattigen Blogs. Oder aber tummeln sich direkt HIER.

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