Zuviel schlechte Musik – Ein Radio- und Musikjournalist dreht durch. Lesen Sie „Schwarzer Frost“, den bitterbösen Debütroman von David Wonschewski. Mehr Informationen zu diesem Buch entnehmen Sie bitte den Seiten dieses schattigen Blogs. Oder aber tummeln sich direkt HIER.
von David Wonschewski
Kaum ein Songanfang ist berühmter als dieser: “Hello darkenss my old friend..” Ein Beginn, der einen der berühmtesten Hits der Pophistorie markiert, ein Stück, das für viele ein gleichermaßen politisches wie gesellschaftliches wie philosophisches Statement ist: “The Sound of Silence” von Simon & Garfunkel.
Was haben Generationen von Hörern nicht alles in dieses Lied hineinintepretiert, ein Anti-Kriegssong, der perfekt in die Zeit des Vietnam-Kriegs passte, diesen in einer fast schon gandhihaften Art sanft und heftig zugleich anprangerte. Ein Manifest fürs Innehalten, für die mentale Einkehr, gegen die Hektik und Schnelllebigkeit der Zeit und gegen all das, was wir Menschen uns allein mit Worten einander antun. Ein weises Lied, geschrieben von einem freien, empfindsamen und unabhängigen Geist!
Nee, nichts da: Pustekuchen. Sagt wer? Sagt Paul Simon – und der muss es wissen, denn er hat “The Sound of Silence” bekanntlich geschrieben. Er hielt und hält das Stück nur seiner einfachen Melodie wegen für enorm gelungen, nicht aber wegen seines Textes, den er seither als das juvenil- selbstverliebte Frühwerk eines unerfahrenen und privilegierten gehobene Mittelklasse-Bübchens betrachtet. Die Anfangszeile – eben jenes Hello Darkness, my old friend – beispielsweise spielt lediglich auf die Zeit an, als sich Paul Simon als kleiner Junge gerne im Dunkeln im Bad einschloss und vor sich hin sang. Da er sich dann ganz der Akustik der Kacheln hingeben konnte, die seine Stimme so schön reflektierten, mit einem feinen sanften Hall versahen. Ein Hoch auf die Faszination musikalischer Produktion also bestenfalls, nix mit Depressionsverarbeitung, nix mit von Nostradamus geschwänger Untergangsprophetie. Im weiteren Laufe des Textes, so sagt Paul Simon und so stimmen ihm im Übrigen nicht wenige Kritiker zu, macht er genau das, was man als Künstler ja eigentlich nie machen sollen. Er suhlt sich pathetisch in seiner ach so poetischen Empfindsamkeit – und packt, nicht zu knapp, den belehrenden Zeigefinger aus. Erklärt, dass er, gerade frisch mit der Schule fertig, die Welt verstanden hat, alle anderen aber nicht. Alle anderen sind schlecht, oh so schlecht.
Wie der längst im Rentenalter angelangte Paul Simon die verbalen Ausritte der “Fridays for future”-Generation sieht wäre vor diesem Hintergrund interessant zu erfahren, schließlich muss naiv und unerfahren nicht immer die schlechteste Eigenschaft sein, um Veränderungen herbeizuführen.
Besonders interessant ist “The Sound of Silence” allerdings auch wegen einer anderen Geschichte: Wäre alles mit rechten Dingen zugegangen, so hätte das Lied nie berühmt werden dürfen, Simon & Garfunkel nie von diesem Song aus eine globale Karriere starten dürfen. Das alles das doch geschah lag schlicht und ergreifend daran, dass Columbia Records und der von ihnen beauftragte Produzent Tom Wilson ganz fies eigenmächtig handelten. Simon & Garfunkel hatten den Song als lupenreine Akustiknummer auf ihrem Debütalbum veröffentlicht, dass jedoch grade einmal 2000 Abnehmer gefunden hatte. Verzagt, verstört und peinlich berührt von sich selbst trentten sich die beiden daraufhin, Art Garfunkel tauchte im College unter, Paul Simon flüchtete bis nach England. Bloß nichts mehr mit Musik machen! Tom Wilson – der auch für die berühmte Abkehr von Bob Dylan von reiner Akustikmusik (beim Newport Folk Festival 1965) mitverantwortlich zeichnet – kümmerte sich nicht um die beiden und legte über das ursprüngliche Folk-Stück eine Spur mit elektrischen Instrumenten. Die gerade arg in Mode kamen, nur bei den Folk-Traditionalisten und “alten Leuten” heftig verschrieen. Columbia Records informierte weder Simon, noch Garfunkel, brachte das Stück so neu raus. Und rief Paul Simon erst in England an als “The Sound of Silence” zum Hit mutierte. Ob dem perplexen Paul Simon seinerzeit der Hörer aus der Hand fiel, als er hörte, dass er ohne etwas davon mitzubekommen und auch ohne noch so richtig was dafür zu tun zum Star wurde, ist nicht bekannt. Bekannt ist lediglich, dass sich Simon & Garfunkel schnell wie der Blitz wieder zusammentaten.
Vermutlich die hurtigste und geräuschlosteste Bandreunion aller Zeiten.
Lesen Sie auch die Hintergrundgeschichte zu:
Kansas – „Dust in the Wind“. Und zwar: HIER.
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Es ist die ewige Mär vom “Was will uns der Autor damit sagen?”. Aber meist sind die Autoren / Texter jene Menschen, die ihr Werk am schlechtesten interpretieren können, so hat es zumindest jemand kluges (dessen Name mir entfallen ist) mal ausgedrückt und ich kann dem nur zustimmen. Und gerade bei Musik ist doch das, was sie beim Rezipienten auslöst, was wichtig ist – und das hat nicht immer etwas mit dem Text zutun. Musik funktioniert auch ohne die Lyriks.
LG
Julia
Da hbe ich noch ne Anekdote, dir vermutlich nicht so unbekannt. Als ich “Schwarzer Frost”, meinen ersten Roman, veröffentlichte, begab ich mich nach Live-lesungen gerne noch ins Publikum (jaja, später dann nicht mehr so gern). Und es geschah, dass eine kam, sagte: “David, toll, toll, aber – spar dir den Versuch, witzig zu sein. Das ist zu sehr audf Komödie. Hey, lass den Zeitgeist, mit jeder Pointe die du dir sparst, gewinnst du! Denk mal dran!”. Und ich lauf 10 Meter weiter, schüttel Hände, und ein Typ: “David, toll, toll!! Aber: mir fehlt die Lockherheit, dir gfehlt der Witz. Du hast zig Ansätze, da ließe sich auch mal ne Pointe raushauen, so woodyallen-haft, Tragik meets Comedy. Man merkt aber du traust dich nicht, dich zur Lustigkeit zu bekennen, die du ja hast!! Denk mal dran!”.
So. Ist mir dauernd passiert. Und führte dazu, dass ich reaktionen nicht mehr ernst nahm. Weil ja eh ejder liest was er will. Der gleiche Text, zwei Ergebnisse, auf 12 Meter. Ich wollte eigentlich die beiden in ein Zu8immer schicken, es ausboxen. Aber die schauten nur mich an, als sei es an mir das Ergebnis zu verkünden…
Aber exakt das macht es so Faszinierend.
LG
Ja, lieber David, ich unterrichtete ein paar Jahre vor langer Zeit die Rezeption von Literatur an der McGill Universität in Montreal und das Thema interessiert mich immer noch. Ich finde nicht selten die Interpretationen interessanter als den Primärtext, auf jeden Fall sind sie häufig vielfältiger. Ist es nicht erstaunlich, was ein Text so alles hergibt, er geht oft über den Horizont des Autors weit hinaus. Über Musik und die Songtexte dort kenne ich mich überhaupt nicht aus und sollte besser schweigen.
Also mach’s gut
Klausbernd 🙂
Ich habe nie Rezeptionstheorie als intellektuellen Ansatz geelrnt(studiet/verfolgt. Interessant ist das Thema aber. Mir fällt immer Michael Stipe von R.E.M., der sich fast schon lustig gemacht hat über Kritker, die ihn so loben für seine Texte, während er selber so textet, weil er nicht anders kann, fast jede zweite Zeile nur entstand, weil er nen Reim brauchte, was fürs Versschema. Und alles was Sinn ergab nicht passte, aslo nahm er was was weniger Sinn ergab und schwupp: der geheimnisvolle Stipe, der was von der Welt weiß, was wir Minderbemittelten nicht wissen! Er hat wohl zugegeben später, als er schon etwas karrieremüde war, idiotische Zeilen einzustreuen nd Wetten darauf abzuschließen, dass gerade die wieder total interpretiert werden…;-)
Naja, was so die Künstler über ihre Werke denken …
Wie heißt es so richtig in der Rezeptionstheorie, ein Artefakt wird erst durch den Rezipienten zu einem ästhetischen Objekt. So würde ich, was ein Künstler sagt, nicht für so wichtig nehmen. Man könnte eher sagen, alles, was in ein Kunstwerk wie in ein Musikstück hineingelesen werden kann, schwingt als Bedeutung mit.
Danke, du hast uns sehr nachverfolgbar diese Musik nahe gebracht.
Alles Gute
The Fab Four of Cley
🙂 🙂 🙂 🙂
Einfach super, für alle Zeit…