David Wonschewski | Musikjournalist & Schriftsteller

Melancholisch-sarkastische Literatur für Schwarzhumoriker, Musikenthusiasten und andere glückliche Menschen.

Die Frau in der Literatur. Soeben ausgelesen: James Hadley Chase – „Eva“ (1945)

von David Wonschewski

Vorabfazit: 3 von 5 Sternen

Die Damen, die Herren – kein Grund zur Aufregung. Nein, bei der Buchreihe „Die Frau in der Literatur“ handelt es sich nicht um eine weitere Geschlechtsentgleisung des aktuell dafür so langsam aber sicher berüchtigten S.Fischer Verlags. Und auch der Ullstein-Verlag, der hier verantwortlich zeichnet, würde das heute gewiss nicht mehr so auflegen. Der Roman stammt von 1945, die, ehm, bemerkenswerte „wir schauen jetzt mal auf die Frauen“-Fokussierung aus der Mitte der 80er-Jahre. Man erkennt: Ich habe mir mein bereits wacker zerlesenes Exemplar auf dem Jahrmarkt ausrangierter Träume geschossen: eBay. Ist neu, wenn ich den Markt da korrekt sondiert habe, nämlich schon gar nicht mehr zu bekommen. Dieser mittlerweile zum Indie-Juwel runtergeschranzte Klassiker eines hierzulande kaum noch bekannten globalen Bestsellerautors.

Um das mit der „Frau in der Literatur“ gleich mal abzuhaken: Geschrieben hat das Buch ein Mann, Protagonist darin ein reicher, charismatisch-charmanter Herr mit plötzlich erwachtem Bock auf Rotlichtbezirk, Nachwort: Jörg Fauser. Lache ein jeder gerne da am lautesten, wo sie möchte. „Pretty Woman“ war definitiv radikaler als diese Buchreihe. Dass vorne auf dem Cover auch noch einer der größten Filmstars der 1950er- und 1960er-Jahre zu sehen ist, klotzt dem „wir machen was für die Unsichtbaren“-Fass von Ullstein natürlich komplett den Boden raus. Ist zwar meine Zweitlieblingsschauspielerin (oder wie man das als erwachsener Mann nennen soll), aber das macht es doch irgendwie noch viel ekelhafter.

Nun aber zum Pluspunkt für Ullstein, denn völlig doof waren die da in Berlin-Mitte auch vor 35 Jahren nicht. Denn dieser James Hadley Chase ist als Autor durchaus ein Knaller. Knapp 100 Romane hat der Brite zwischen 1939 und 1984 geschrieben, knapp 35 davon wurden verfilmt, seine Hauptfiguren von mitunter ziemlich großen Stars gespielt. Hauptsächlich schrieb er feinsinnige Krimis, die eine große Gemeinsamkeit hatten: Die Frauen waren hier die Mächtigen, die Strippenzieherinnen, diejenigen, die die oftmals honorablen, zugleich aber eben genetisch auch etwas vertrottelten Männer zu diesem und jenem brachten. Auch ein beispielsweise Raymond Chandler umgab seine weiblichen Figuren gerne mit einer Aura, bei denen Männer schnell mal die Luft ausging, aber so ein Philip Marlowe hatte immerhin noch seine Waffe und sein Einzelgängertum, um sich davor in Sicherheit zu bringen. Bei James Hadley Chase haben die Kerle oftmals nicht einmal mehr das.

Quizfrage: Vom wem stammt das folgende Zitat – Alice Schwarzer oder James Hadley Chase? „Ich bin überzeugt, dass die Frauen den Männern einwandfrei überlegen sind, im Guten wie im Schlechten, an Willenskraft und an Entschlußfreudigkeit. Sie sind widerstandsfähiger, was Schmerzen anbelangt, sie haben mehr Energie, kurzum, neben ihnen sind die Männer im allgemeinen Waschlappen. Diese Regel wende ich in meinen Romanen an, aber ich bin überzeugt, dass es im täglichen Leben nicht anders ist.“ Tja, wäre es von Schwarzer, würde ich jetzt ordentlich misogynisch abmotzen. Da es aber ja nun ein Mann, Chase, gesagt hat, bin ich schwuppdiwupp geneigt, Weisheit darin zu erkennen, dem Ganzen qua eigener Lebenserfahrung sogar zuzustimmen. Ich patriarchaler Typ, ich.

Und, kann diese „Eva“ nun was? Stilistisch total. Wer auf elegant erzählte Stoffe steht, in denen distinguierte Männer noch in geschmackvollen Anzügen in ebenso geschmackvollen Autos durch die besseren Stadtviertel von L.A. fahren, um sich zum Lunch mit Drehbuchautorinnen zu treffen, abends dann in einer Lounge einen (selten mehr) Whiskey oder Brandy zu kippen, ist hier goldrichtig. Als Kind fragte ich mich immer, warum die fiesen, immer namenlosen, immer nur zum Abknallen oder zum aus dem Fenster werfen oder im Chevy in den Straßengraben zu drängenden Kanonenfutter-Typen in meinen Lieblingsserien der 80er-Jahre (A-Team, Knight Rider etc.) immer optisch so aufgestrapst daher kamen, immer piccobello, inklusive Schulterpolster. Heute vermisse ich das total. Völlig im Eimer, das serielle Gangsterwesen. Bei einem wie Chase, jaha, da war die Welt noch in Ordnung. Die Schreibe als solche macht unsagbare Lust auf mehr, werde ich mir auch geben, gibt es ja billigst als Lümmelware im Netz zu, ehm, ergaunern.

„Eva“ ist einer der weinigen Chase-Romane, die gemeinhin nicht als Krimi gesehen werden. Wir erleben hier den nicht einmal mittelmäßigen Schriftsteller Clive Thurston, der eher schön als begabt ist, dem jedoch durch Zufall das Manuskript eines soeben verstorbenen Dramaturgen in die Hände fällt. Flexibel im Hirn haut Thurston einfach seinen Namen unter das Mansukript, veröffentlicht es, zack – Welterfolg. Also ab nach L.A., die Tantiemen fließen nicht zu knapp, ab in die Anzüge und Luxusapartements, dazu eine offene Beziehung mit einer erfolgreichen Drehbuchautorin, Option auf mehr. Alles aber durchaus anständig, ein Fest für Moralisten. Dann aber trifft Thurston zufällig auf die Prostituierte Eva. Die gar nicht einmal mehr so jung ist und auch nie so wahnsinnig hübsch war. Aber von einer Kälte und Gleichgültigkeit beseelt ist, dass Thurston, der es gewohnt ist, dass charmantes Gehabe immer zum Erfolg führt, gar nicht anders kann, als komplett an ihrem Haken zu baumeln. Nicht einmal von seinem Ruhm und seiner Kohle lässt sich Eva erwärmen, ran lässt sie ihn sowieso nicht. Er ist nicht ihr Typ. Der gute Thurston blecht alsofür Stunden des Zusammenseins, aus rotlichtgewerblicher Sicht aber für: nichts. Und je egaler er ihr ist, desto irrer wird er an ihr. Sogar als sie ihm, man muss das so sagen und es ist auch nicht in irgendeinem übertragenen Sinne gemeint, richtig auf die Fresse gibt, kann er nicht von ihr lassen. Wobei es hier von Belang ist zu erwähnen, dass Thurston kein unterwürfiger SM-Typ ist, der genau das sucht. Nein, tut er nicht, er will ihre Bewunderung, will den Glanz ihrer Abhängigkeit von ihm, will beherrschen. Und zerschellt an der Frau.

James Hadley Chase entwirft hier ein psychologisch betrachtet wirklich interessantes und auch differenziertes, komplett jugendfreies Triebgemälde, das in der Realität tief verankert ist. Dass wir manchmal ausgerechnet den Menschen, die uns wie Dreck behandeln, die uns nicht guttun, am intensivsten hinterherhängen. Während wir die, die uns wirklich lieben, gerne mal übersehen, für gering erachten. Allein zu erleben, wie Thurston seine ganze Strategie auf die Minderwertigkeitsgefühle einer Prostituierten mit vermeintlich kaputter Vergangenheit hin ausrichtet, ohne zu merken, dass derjenige ist, dessen Ego auf Sand gebaut ist, der nach immer wiederkehrender Absolution lechzt, hat ein verdammt hohes Niveau.

Dass es schlussendlich nur ein Dreisterner wurde liegt daran, dass Chase für meinen Geschmack bei aller psychologischen Raffinesse mitsamt tollem Schreibstil letztlich einen ganzen Roman lang furchtbar auf der Stelle tritt. Wie ein verhinderter oder blockierter Krimiautor wirkt – der er hier ja auch irgendwie ist – der sich nicht zutraut, die für ihn sicheren Genregestade so ganz zu verlassen. Der selbst nicht so richtig weiß, wohin mit seinen Figuren, wenn hier keiner wen ausraubt, nicht einer den anderen mordet. Und eben weil er das nicht weiß im geschmacksneutralen weder Fisch noch Fleisch-Tal endet.

Unbeantwortzet bleibt die Frage, wer denn meine Lieblingsschauspielerin ist. Wenn Jeanne Moreau es nur auf Rang zwei schafft. Tja, das könnte ich hier ausplaudern, so von Angesicht zu Angesicht, schreiend und flüsternd. Käme in der Folge dann aber gewiss zu üblen Szenen meiner Ehe danach. Spar ich mir also besser.

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Lesen Sie „Schwarzer Frost“, den Debütroman von David Wonschewski. Mehr Informationen: HIER.

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