von David Wonschewski
Vorabfazit: 2 von 5 Sternen
Oh, doch, Texte von Sibylle Berg zu lesen bildet nicht nur, nein, es macht auch Freude. Zynisch, scham- und respektlos, geradeheraus – so sind die Texte der SPIEGEL-Kolumnistin. Und wer weiß: so ist vielleicht auch die Autorin selbst.
GRM ist, so bläuen es uns die Autorin und ihr Verlag vehement ein, keine Dystopie. Damit soll offenbar darauf verwiesen werden, dass diese Geschichte rund um aussteigende (oder zum Ausstieg gezwungene) britische Jugendliche nichts Schlimmeres als die nackte Realität, das horrorszenariohafte Hier und Jetzt abbildet. Brutal, kapitalistisch, polarisierend und last but not least: ziemlich einseitig. Mit einer kleinen handvoll Gewinnern. Und einem Heer an Verlierern. Opfern, Lemmingen. Schlachtvieh. Und so weiter.
Liest sich so dahinzusammengefasst gar nicht so verkehrt und wird von Berg mit viel brachial formulierter Zusammenhangslogik auch nüchtern bis zur Kotzgrenze dargestellt: Social Media-Overkill, digitaler Burnout, Orwell allüberall. Dazu: Sadismus, Sex, fehlgeleitetes Upper Class-Denken entmenschlichter und enthirnter Weicheier.
Der Plot als solcher ist schnell zusammengefasst: Ein paar Jugendliche werden aus Gründen zwischen Entfremdung und Grobheit aus den jeweiligen Elternhäusern vergrault, finden sich zusammen, nächtigen in einer Lagerhalle – und sinnen auf irgendwas gen Rache.
So weit so gut und wirklich toll, atemlos, mitunter spannend und durch den bekannten berg’schen Zynismus sehr oft irre lustig zu lesen. Derweil es, so in Summe, gar nicht so schwierig ist der Autorin permanent Recht zu geben. Ihren Überlegungen, was da eigentlich gerade so entsetzlich vor die Hunde geht in unserer westlichen Zivil- und Wertegesellschaft. Und warum. Wenn da nicht, ja, verdammt nochmal, wenn da nicht diese verdammte Einseitigkeit in der Täterdarstellung wäre. Man rechnet es ihr hoch an, dass sie Frauen in GRM keineswegs als schuldlos darstellt an der düsteren Beschaffenheit der Welt, der Realität. Und so weiter. Und doch ist klar, wer hier schuldig ist: Männer ab einem gewissen Alter. Und natürlich nur die Weißen.
Selbst das ginge noch klar, würde Berg nicht ein offensichtlich selbst sehr plattitüdenhaftes Schubladendenken offenbaren. Denn liest man GRM, so kann man sich nicht des Eindrucks erwehren, dass 80 Prozent aller weißen Männer in Wahrheit homoerotische Neigungen haben, die sie sich nicht eingestehen wollen und es daher vorziehen deformiert durch Leben zu laufen. Dass 90 Prozent aller Männer sich für Sex mit Kindern interessieren. Und 100 Prozent aller Männer aufrichtige Freude nur dann empfinden, wenn Kind oder Frau während des Liebesspiels gedemütigt, brutal vergewaltigt, blutend immer wieder ohnmächtig wird vor Schmerz – bestenfalls sterben. Und dass jeder weiße Mann mit dem Bewusstsein aufwächst ein natur- und gottgegebenes Anrecht auf Karriere und Erotik zu haben, en masse, auf einem Silbertablett serviert. So ist der weiße heterosexuelle Mann, sagt Berg.
Weitab von der Realität formuliert sie also etwas Pauschalisierendes und letztlich Sexistisches einfach so dahin. Für ne SPIEGEL-Frau etwas lütt.
Nun, das kann man gerne so sehen, auch so schreiben. Und Literatur, ja, die muss sowas nicht nur können, sondern auch dürfen. Wie der Literaturleser – auch wenn er selbst weiß und männlich ist – eine solche Darstellung abkönnen muss, sie über einige hundert Seiten einfach mal ertragen können muss. Um sich erst danach, mit Abschluss der Lektüre, dafür zu entscheiden, dass Bergs Gesellschaftsanalyse gleichermaßen erfreulich kompromisslos geraten ist wie hilflos und platt.
So bleibt, bei aller Qualität des Buches, leider, ein Schuss von Comedy, eine Spur Karneval. Wenn wieder eine Plattitüde aus dem Gender-Vorgestern hervorgekramt wird, Konfetti vom Himmel regnet, ein Kamelle-Regen sich ergießt. Und der Chor der privilegierten weißen Männer ab der Hälfte von “GRM” beständig versucht ist zu tuschen: “Tätää-Tätäää”.
Berg erweist sich mit GRM als die Hallervorden der Nonsens-Argumentation, das KlimBim der Gender-Literatur. Macht sich einen Schlitz ins Kleid und tut ganz empört. Sorry, aber da war die Steeger gedanklich reifer, weiter.
Sobald erwachsen wird Berg aber gewiss besser als der jüngste deutschsprachige Nobelpreisträger.
Lesen sollte man das Buch dennoch. Weil auch eine Dreiviertelwahrheit Ihren Wert hat.
Ein Kulturjournalist tobt sich aus – „Schwarzer Frost“, der bitterböse Debütroman von David Wonschewski. Mehr Informationen zu diesem Buch entnehmen Sie bitte den Seiten dieses schattigen Blogs. Oder aber tummeln sich direkt HIER.
Ja schade, ich finde auch, das klingt sexistisch in die andere Richtung. Und das kann ja auch nicht die Lösung sein.
Ja, dem Buch hätte Konzentration gut getan. Irgendwann wiederholen sich die Untaten ohne eine Handlung voranzutreiben. Ich fand das sehr schade, weil ich zu Beginn noch dachte, hier läge ein modernes 1984 vor.